Weihnachten

Was tun wir hier eigentlich? Was machen wir hier?

 

Wenn wir nicht mit der Tradition von Weihnachten groß geworden wären- was wird hier veranstaltet?

 

Doch etwas ziemlich Merkwürdiges:

Wir feiern Geburtstag von einem Kind, von dem es historisch betrachtet so gut wie keinen überprüfbaren Nachweis gibt.

 

Wir schwelgen in Traditionen, die lediglich auf zwei – und dann auch noch unterschiedlich erzählten- Geschichten beruhen: Krippe, Hirten und Engel kommen nur im Lukasevangelium vor, die Sterndeuter bei Matthäus;

Johannes und Markus wissen nichts davon oder erwähnen es gar nicht.

Auch wenn Steuerzählungen bei den Römern üblich waren, taucht die konkrete Steuerliste, die bei Lukas erwähnt wird sonst nirgendwo als Dokument auf- und wir wissen heute, dass Lukas sie nur erwähnt, um einen Grund zu finden, warum nun Maria und Josef statt an ihrem Wohnort Nazareth gezählt zu werden, nach Bethlehem mussten, dem Ort aus dem angeblich Josef stammte, der aber wichtig war, weil nach dem Prophet Micha der Messias aus Bethlehem zu erwarten war.

Neutestamentliche Beweisführung, damit Jesus für den Messias gehalten werden konnte.

 

Was machen wir hier?

 

Wir feiern ein Kind, von dem behauptet wird, dass es nicht nur ein Menschenbaby, sondern auch Gott war, ein Kind, das nicht entstand, weil Maria und Josef miteinander schliefen, sondern, weil der Hl. Geist Maria überschattete, wie es so schön heißt, und die junge Frau dabei Jungfrau blieb.

 

Was feiern wir hier?

 

Offenbar etwas, was heutigen Standards von Geschichtswissenschaft und auch den Standards der Biologie nicht standhält.

Da wurde herumgeschrieben und gedichtet, dass sich die Balken biegen und wir kommen aus diesem Anlass dennoch feierlich zusammen und begehen das für viele gesamtgesellschaftlich emotionalste und wirtschaftlich wichtigste Fest des Jahres.

 

Was ist da los?

 

Nun, zunächst einmal zeigt das, dass wir Menschen eben nicht nur aus der Ratio leben, nur vom Verstand, sondern auch auf anderer Ebene angesprochen werden wollen.

 

So fühlt es sich z.B. gut an, etwas Verbindendes zu feiern.

Durch Zufall bin ich am Montag beim Vorbeigehen in eine Kirche in der Innenstadt geraten, in der gerade ein kleines Konzert gegeben wurde. Wildfremde Menschen fanden zusammen und als die afrikanische Frau, mit der ich mir das ausgegebene Liedblatt teilte und wir am Schluss mit allen anderen zusammen Venite adoramus sangen, fühlten wir uns alle selig miteinander verbunden und konnten uns offenen Herzens frohe Weihnachten wünschen bevor jeder wieder seiner Wege ging.

 

Wir benötigen Gemeinschaftserlebnisse, Ereignisse, die uns miteinander verbinden, die uns fühlen lassen, dass wir als Einzelwesen dennoch nicht alleine sind.

Gesellschaften funktionieren nur, wenn sie etwas haben, das die Mitglieder dieser Gesellschaft miteinander verbindet. Davon gibt es nicht mehr so vieles und umso heiliger werden uns die Momente, die noch dazu gehören. Und das ist auch einer der Gründe, warum trotz allem was in und außerhalb der Kirche geschieht, die Gottesdienste zum Fest nach wie vor gut gefüllt sind. Darüber freue ich mich sehr. Ich bin froh, dass Sie alle hier sind und wir damit auch einen Beitrag zum Zusammenhalt der Gesellschaft leisten.

 

Das ist wichtig, aber nicht das einzige und aus religiöser Sicht nicht das Wichtigste.

 

Es mag dem aufgeklärten Bürger westlicher Gesellschaften zunächst zu vernachlässigen sein, aber dieses Fest kommt unser aller Sehnsucht nach. Unserer Sehnsucht danach, dass Frieden möglich ist, dass Menschen zusammenfinden können, dass das Unmögliche doch wahr werden könnte, dass gar Gott und Mensch zueinander finden können, dass unsere Begrenztheit nicht die ganze Wahrheit ist, dass wir mehr sind als zum Vergehen verurteilte.

 

Die Geschichte von Weihnachten- vorausgesetzt wir können an einen Gott glauben, der als tiefere Kraft hinter unserer Welt steckt- überwindet unsere Begrenztheit auf die Welt, unser Eingeschlossen Sein in diese.

Wenn wir glauben können, dass in diesem Säugling Jesus mehr zu finden ist als „nur“ ein Mensch, sondern auch Gott, dann steckt darin die Aussage, Du Mensch bist mehr als das, was Du an Dir siehst und erfährst. Wenn Jesus auch Gott ist, dann ist die Welt, unsere Schöpfung, alles Leben, auch unser persönliches Leben, mit Gott, mit dem Ewigen verbunden.

Meine manchmal so fröhliche, manchmal so traurige, aber immer vom Tod begrenzte Existenz ist auf einmal erweitert, größer und unbegrenzt.

Die Trennung zwischen Menschenwelt und Gotteswelt, die Trennung von Erde und Himmel ist in Jesus einmal aufgehoben. Die Trennung zwischen dieser Welt, in der immer wieder Hass, Wut und Gewalt herrschen ist verbunden mit der Welt der Liebe, der Barmherzigkeit und des Friedens. Ein Loch in der Wand zwischen Himmel und Erde hat sich aufgetan, eine Lücke, durch die das Licht des Himmels auf die manchmal so düstere Erde fällt.

 

Das klingt sehr poetisch, aber auch sehr unkonkret. Dabei geht es um existentielle Fragen, es geht um die Frage, wer bin ich als Mensch? Was bin ich als Mensch?

Von den Naturwissenschaften her ist es schon erstaunlich genug, dass sich und wie sich Leben im Universum entwickeln konnte, erstaunlich, dass sich überhaupt etwas entwickeln konnte. Und dennoch müssen wir dabei feststellen, dass im Universum das Gesetz des Neuwerdens aus dem Alten besteht. Leben entwickelt sich nur dort, wo altes Leben stirbt. Und wir Menschen sind nicht davon ausgeschlossen, natürlich nicht, wortwörtlich, von der Natur aus nicht. Und wir sind diesen Gesetzen unterworfen, den Naturgegebenheiten, dem was die Natur uns mitgegeben hat; auch all unseren Fähigkeiten zum Aufbauen unserer Welt, aber offenbar auch  zum Niederreißen, wie wir immer wieder schmerzhaft erfahren müssen.

 

Und gleichzeitig scheint uns etwas mitgegeben zu sein, das in uns die Sehnsucht nach etwas wachhält, das darüber hinausgeht.

Wir können nicht glauben, dass Alles, dass Wir geschaffen wurden, nur um zu vergehen. Wir ahnen in unserem tiefsten Inneren, dass hinter all diesem etwas stehen muss, das alles Geschaffene, alles Existierende unter- und miteinander verbindet.

Wir nennen das Gott.

Wir erkennen darin die Kraft, die Alles ins Dasein gerufen hat, Alles, auch Dich und mich. Dich UND mich.

Damit ist der Glaube an diese Kraft nicht nur ein Mittel, das jedem Einzelnen Mut machen will, dass seine Existenz nicht umsonst ist, nicht vergänglich, sondern sie ist auch das Mittel, das uns alle miteinander verbindet: Die Zuwendung Gottes gilt für mich, aber eben auch für Dich. Barmherzigkeit, Friede und Liebe als Ausdruck dieses Gottes gelten für mich, aber eben auch für Dich!

Diese Kraft, dieser Gott wird damit zum Mittel, uns miteinander zu verbinden, nicht nur mich mit Gott, sondern mich mit Dir und Dir und Dir und Dir und immer so weiter.

Der Gegensatz von Erde und Himmel, von Mensch und Gott ist in Jesus aufgehoben, und damit auch ein Rezept an die Hand gegeben, den Gegensatz von Mensch und Mensch aufzuheben. Und wo das geschieht, da ist Frieden auf Erden. So verkünden es die Engel. Frieden auf Erden. Welch große Sehnsucht wird da angesprochen und beantwortet.

 

Was tun wir hier eigentlich also? Warum sind wir eigentlich hier?

Wir feiern Frieden, wir feiern die Überwindung der Grenzen zwischen Himmel und Erde, zwischen Gott und Mensch, den möglichen Frieden auf Erden. Gloria in excelsis Deo.