3. Advent 17.12.

Ja geht es denn noch?  Freut Euch zu jeder Zeit!? Dankt für alles!?

Im Angesicht all der Krisen und Katastrophen? Mit Flüchtlingselend, Krieg hier und Krieg da, Klimakrise und Inflation, Syrien und Myanmar, Afghanistan und weiß der Himmel was im Hinterkopf-  „Freut Euch zu jeder Zeit?“

Mit dem Sterben von nahen Angehörigen, mit schwersten Erkrankungen und anderen persönlichen Schreckenssituationen verunsichert- „Dankt für alles“?

Gut, die Sätze wurden von  Paulus vor 2000 Jahren aufgeschrieben. Da gab es –bis auf Syrien, die oben erwähnten Namen alle noch gar nicht. Aber dafür hatten die Katastrophen andere Namen. Namen, die wir heute nicht mehr kennen.

Also Paulus, geht es denn noch? Bist Du  vollkommen im Träumen angelangt? Alle Bodenhaftung verloren?

So könnte es einem doch gehen, wenn man aus den mühseligen Diskussionen und Analysen dieser  Tage kommt, dem schwermütigen Nachdenken über die Zukunft dieser Welt und unserer Gesellschaft. Es passt nicht zusammen. Freuen und Danken zu jeder Zeit als Rezept wirken wie zwei zur Hochzeit gekleidete Brautleute auf einer Beerdigung.

Irgendetwas ist hier arg erklärungsbedürftig.

Wenn wir uns nicht denen anschließen wollen, die die Bibel sowieso als ein veraltetes, museales, höchstens noch historisch von Bedeutung seiendes Buch betrachten, dann müssen wir eine Erklärung für den vermeintlichen Widerspruch finden.

 

Paulus ist ja nun kein Mensch gewesen, dem das Leben fremd war. Im Gegenteil- er hatte immer mittendrin gestanden, hatte Menschen befehligt, Menschen verfolgt, Menschen Leid angetan- und hatte später als er nach seiner Bekehrung selbst verfolgt wurde und im Gefängnis saß, genug eigenes Leid erfahren.  Sorgen und Elend waren ihm nicht fremd. Und dennoch: Freut Euch alle Zeit und dankt für alles.

Was für eine Haltung.

Seine Wandlung vom Saulus zum Paulus hat offenbar eine solch tiefgreifende Wirkung nach sich gezogen, dass aus einem jammernden, zynischen, verbitterten Christenverfolger ein seliger, erlöster, visionärer Menschenfreund werden konnte.

Da soll noch einmal jemand sagen, die Begegnung mit Gott würde einen Menschen nicht berühren, nicht verändern. Paulus jedenfalls ist ein vollkommen anderer geworden, jemand, den man bis heute bewundert, bekanntlich sogar Kirchen nach ihm benennt.

Der Schlüssel zu seiner Wandlung liegt in der dritten Aufforderung, die zwischen dem „Freut Euch zu jeder Zeit“ und dem „Dankt für alles“ liegt; und die heißt: „Betet ohne Unterlass.“

Betet ohne Unterlass- ein Satz, der uns nicht in das stille Kämmerlein verbannt, nicht auf die Kniebank oder in den Beichtstuhl, sondern ein Satz, der uns auf die Beziehung zu Gott verweist, auf den Gott, der befreit, der erlöst, der liebt, der heilt. Paulus war genau diesem Gott begegnet, hatte sich von ihm berühren lassen. Danach sah die Welt für ihn anders aus. Diese Berührung ist Gebet: Lasst Euch von Gott berühren, ohne Unterlass. Dann folgen daraus Freude zu jeder Zeit und Dank für alles.

Die Beziehung, die Verbindung zu dem Gott Jesu  Christi ergibt einen anderen Blick auf die Welt, auf alles, was dazu gehört, auf die Katastrophen ebenso wie auf die Hoch-Zeiten des Lebens. Der in Beziehung zu Gott Lebende legt alles Geschehen in die Hände Gottes. Das klingt ganz fromm, bedeutet aber Verantwortung abzugeben, bedeutet frei davon zu  werden, alles regeln, alles planen, alles vorgeben zu müssen. Es bedeutet, frei für die Überraschungen des Lebens sein zu können, es lässt mich jeden Morgen aufwachen mit dem Gedanken, „Was Gott hast Du heute vor?“ mit mir, mit der Welt. Nicht: „Was muss ich alles heute wieder tun?“ oder „was wird heute wieder grauenvolles geschehen?“, sondern:  „Gott, was willst Du mir mit dem heute Passierenden mitteilen?“

Wenn Gott die Welt umfasst und wir niemals aus seiner Welt fallen können, nie aus seiner Hand entweichen, dann ist doch die Frage nach dem Wozu die angemessenste. Die Frage WARUM Dinge geschehen, ist verständlich, aber weiterführender ist die Frage WOZU.

Wozu geschieht dieses und wozu jenes? Was kann ich dadurch erlernen? Welche Aufgabe hat mir Gott damit in die Hand gegeben?

In dem Sinne kann Paulus allem was geschieht zumindest etwas abgewinnen. Wenn manches Erlebte schon rätselhaft ist, dann soll es wenigstens nicht ohne jeglichen Sinn bleiben. Die Frage nach dem Wozu führt nicht direkt vor die Wand, sondern eröffnet neue Horizonte. Sie kann zur Veränderung von eigenen Haltungen und  Einstellungen führen; sie kann manchmal sogar das Auftreten einer schweren Krankheit erläutern, Lebensgewohnheiten verändern oder Auffassungen.

In dem Sinne fordert Paulus zur grundsätzlichen Dankbarkeit auf: er hat für sich erlebt, dass ein mit Gott verbundenes Leben immer reich ist, immer aufgefangen, nie verloren gehen kann. Mit dieser Haltung wird ihm alles Grund zum danken.

Das könnte man nun als verschrobenes Denken eines Einzelnen hinstellen, ist es aber nicht. Zumindest nicht in der Bibel.

Was wir heute von Jesaja gehört haben ist von ähnlichem Kaliber:

Ich lese es noch einmal vor:

Er (der Herr) hat mich gesandt, damit ich den Armen eine frohe Botschaft bringe und alle heile, deren Herz zerbrochen ist, damit ich den Gefangenen die Entlassung verkünde und den Gefesselten die Befreiung, damit ich ein Gnadenjahr des Herrn ausrufe.

Von Herzen will ich mich freuen über den Herrn.

Genauso ein Träumer- könnte man sagen: Alle sollen geheilt werden, deren Herz zerbrochen ist, Gefangenen die Entlassung verkündet werden, den Gefesselten die Befreiung und durch das Gnadenjahr soll jedem ein Neunanfang ermöglicht werden.

Wodurch? Auch hier wieder durch die Verbindung zu Gott: Jesaja hat es für sich erlebt, aus ihm, der sich Gott gegenüber als unwürdig empfand wurde ein wortgewaltiger Prophet eben dieses Gottes.

Denn „er kleidet mich in Gewänder des Heils, er hüllt mich in den Mantel der Gerechtigkeit“, wie er es am Ende der heutigen Lesung formuliert hat.  So hat er es für sich erlebt: geheilt und gerecht gemacht.

Und der dritte, der uns am heutigen Sonntag durch die Lesungen vor Augen gestellt wurde ist Johannes. Ein Mann der Askese, des Einsiedlertums, ein Mann der Mahnung, ein Mann, der zur Umkehr aufrief. Er sah seine Aufgabe darin, auf  Gott hinzuweisen. Für ihn war Gott das Licht, dafür wollte er Zeugnis ablegen, wie es bei Johannes eben hieß.

Drei gänzlich unterschiedliche Personen: Paulus, Jesaja, Johannes, alle erfüllt von Gott, wie beschwipst von der Begegnung mit ihm.

So wirkten sie von außen betrachtet auf manchen bizarr, merkwürdig und dennoch anziehend. Von ihnen ging eine Kraft aus, die sie nicht als ihre eigene, sondern als eine von Gott kommende Kraft bezeichnet hätten.

-und sie veränderten die Welt, wirksam bis heute.

Dem Gebet wird oft vorgeworfen, nicht wirksam zu sein. Es wird ihm vorgeworfen, darüber die Welt zu vergessen, das Handeln würde durch das Gebet hintangestellt. Nein, es ist erst die Voraussetzung für das Handeln- jedenfalls für den Christen.

Diese drei Personen wurden durch ihre Beziehung zu Gott zu anderen Menschen, verändert, ihrer selbst und ihrer Aufgabe in dieser Welt bewusst. Auf die Frage nach dem Wozu haben sie ihre Antworten gefunden, die sie immer in Bezug zu Gott stellten. Sie beteten in diesem Sinne ohne Unterlass, freuten sich zu jeder Zeit über ihre Aufgabe und dankten für alles, was ihnen begegnete.