2. Advent

Halt, da fehlt doch was, könnte man meinen. Das soll der Anfang des Evangeliums sein?

Wir haben gerade die allerersten Verse des Markusevangeliums gehört, des ältesten, des ursprünglichsten der vier Evangelien in der Bibel. Und kein Wort von der Geburt Jesu. Nichts.

Jesus taucht erst ein paar Verse später auf, als Erwachsener, der die Taufe durch  Johannes im Jordan sucht.

 

Da feiern wir die Wochen des Adventes, singen Lieder vom Jesuskind, haben schon die Krippe im Stall von Bethlehem vor Augen- und beim Evangelisten spielt das nicht die geringste Rolle.

Wo Jesus her ist? Egal.

Wo er geboren ist? Wen interessiert es?

Wer die Eltern sind? Wozu soll das wichtig sein?

 

Während Lukas und Matthäus durch ihre Geschichten vom Stammbaum Jesu und seinem Geburtsort Beweise herbeischaffen wollen, dass dieser, genau dieser Jesus DER erwartete Messias ist, setzt Markus einen ganz anderen Akzent. Da wird nicht lange herumgeredet, keine blumigen Geschichten erzählt, keine Poesie entwickelt, aus der sich unsere ganze Weihnachtstradition speist, sondern da geht es gleich  zur Sache. Die ersten Worte, die er Jesus sagen lässt, finden sich gleich im 14. Vers: Die Zeit ist erfüllt, das

Reich Gottes ist nahe. Kehrt um und glaubt an das Evangelium!

Peng. Kehrt um!

 

Man vermutet, dass Markus sein Evangelium bewusst auf dem Hintergrund der Ereignisse um die Herrschaft der Römer angelegt hat. Denn im Jahre 69 war Vespasian Kaiser in Rom geworden, eben jener Vespasian, der in vielen Jahren versuchte, den jüdischen Aufstand niederzukämpfen und dabei auch ziemlich brutal gegen die Bevölkerung Judas vorgegangen war.

 

Evangelium, das war schon bei Homer der Fachbegriff für eine gute Nachricht. Unter den Römern wurde Evangelium genutzt, um eine Nachricht zu bezeichnen, die sich auf den Kaiser bezog.  Wenn dieser z.B. den Thron bestieg, war das ein Evangelium, eine gute Nachricht. Man vermutet, dass Markus dem Evangelium von der Thronbesteigung Vespasians, dieses Judenschlächters, das Evangelium vom Thronbesteiger Jesus entgegensetzen wollte, dessen Herrschaft eben eine andere war als die des Vespasians.

Und die ersten Worte dieses Jesus waren eben „Kehrt um- glaubt an das Evangelium“, also glaubt an DIE gute Nachricht, dass die Zeit erfüllt ist und das Reich Gottes nahe ist.

 

Manches erinnert dabei an heute.

Immer noch werden Thronbesteigungen von Menschen als gute Nachricht, als Evangelium bezeichnet, bei denen man eigentlich nur mit dem Kopf schütteln kann.

Die Reihe derer, deren Herrschaft eher als schlechte Nachricht bezeichnet werden muss ist lang, ob sie nun in Nordkorea, den USA oder auch in manchem europäischen Land sitzen.

Natürlich, an fast jedem Herrscher, Präsidenten oder Kanzler scheiden sich die Geister. Was für den einen eine gute Nachricht ist, ist für den anderen eine Katastrophe.

 

Jedenfalls taucht die Hoffnung nach einer neuen Art von Herrschaft, nach einem gerechten Reich, immer wieder auf. Utopien werden entwickelt, Ideologien erdacht, doch am Ende scheitern sie alle wieder. DIE gerechte Form der Herrschaft gibt es nicht oder ist noch nicht erfunden worden. Und so bleibt immer nur die Hoffnung danach, dass bald ein anderer übernimmt, der es endlich schafft, ein gerechtes Reich zu errichten.

Nach Markus ist das offenbar kein Reich der Menschen, sondern Gottesreich.

 

Nun auch da haben wir so unsere  Erfahrungen. Gottesstaaten haben auch nicht zum Paradies auf Erden geführt. Und das Wort Gottesstaat ist in unserer Gegenwart eher mit Terror als mit dem Himmelreich verknüpft.

Was also tun?

Nun, solange die Welt so ist wie sie ist, werden Menschen über andere herrschen. Wo das nicht so ist, stellt sich nicht von alleine das Paradies ein, sondern Anarchie.

Christen hoffen, so wie alle anderen Menschen auf eine gerechte Herrschaft, aber sie wissen auch um die Beschränktheit menschlicher Herrschaft.

 

Solange das Gottesreich nur nahe  und noch nicht Wirklichkeit ist, müssen Reiche mit dem gebaut werden, was vorhanden ist- und das sind nun mal wir Menschen.

Wenn das Schicksal von Menschen durch die Herrschaft von Menschen bestimmt ist, bleibt also nur den Menschen  zum Guten zu formen.

Deswegen setzt das Evangelium des Markus eben dort an, beim Menschen. Er appelliert an uns, an jeden Einzelnen: Bereitet dem Herrn den Weg, kehrt um.

Denn für die Herrschaft von Menschen ist entscheidend, wer in ihren Herzen regiert. Aus welchem Geist heraus Herrschaft ausgeübt wird. Deswegen: Kehrt um. Begutachtet Eure Entscheidungen, überprüft Eure Motivation. Macht Euch bewusst, was Euch bestimmt.

 

Nun sind die meisten von uns KEINE  Herrscher, wir üben kein Amt aus, in dem wir große Macht über andere haben, drehen nicht das große Rad der Zeitgeschichte.

Aber das taten die Zuhörer des Johannes damals auch nicht. Ganz normale Menschen auf der Suche nach Gerechtigkeit und Frieden in unruhigen Zeiten. Damals wie heute. Und dennoch: Bereitet dem Herrn den Weg, ebnet ihm die Straßen.

 

Es ist von entscheidender Bedeutung, auf wen wir uns einlassen, wem wir den Weg bereiten und die Straßen ebnen.

Den Schreihälsen, den Verführern, denen, die ihre Macht ausschließlich für eigene Zwecke missbrauchen oder eben denen, die sich für Menschen einsetzen, durch ihre Herrschaft Diener der Menschen sind.

Johannes gewinnt seine Zuhörer durch seine einfache Lebensweise und dadurch, dass er keine Träume und Phantasien verkaufen will. Ihm geht es nicht um sich, er weist nur hin, verweist auf einen anderen. Nicht er steht im Mittelpunkt seiner Kampagne, sondern Jesus, das Reich Gottes, das Programm der Barmherzigkeit, der Gerechtigkeit und des Friedens.

„Kehrt um und wachet auf“ sind nicht umsonst DIE Aufrufe des Adventes.

In dieser Woche bin ich zum ersten Mal in diesem Jahr in der Innenstadt auf einem der Weihnachtsmärkte gewesen. Und ich liebe das ab und zu und war dort sicher nicht das letzte Mal. Und dennoch: Nichts könnte der adventlichen Botschaft ferner sein als das einlullende Gesäusel der vielen kleinen, schnuckeligen Stände auf diesen Märkten und die vernebelnde Wirkung des  Glühweins, denn es geht ja um etwas anderes im Advent:

Kehrt um, wachet auf. Schaut darauf, auf welche Mächte Ihr Euch einlasst, welchem Herrscher Ihr dienen wollt.

 

Im Kirchenjahr gibt es kaum politischere Wochen als die des Adventes. Haltet die Augen und die Ohren auf. Überprüft alles auf den einen Maßstab hin, den Ihr mitbekommen habt, auf das Kind im Stall von Bethlehem hin. Schaut auf SEINE scheinbar ohnmächtige Art der Herrschaft, schaut auf SEINEN Umgang mit den Menschen, nehmt Euch IHN zum Vorbild.

Dann ebnet Ihr dem Herrn die Bahn, dann bereitet Ihr ihm den Weg.

 

Markus hält sich nicht mit der Erzählung von der Geburt auf, er hat vor allem erfahren, welche verändernde Kraft von diesem Jesus auf Menschen ausging. Davon möchte er erzählen.

Es muss nicht alles bleiben wie es ist, ihr könnt etwas verändern, ihr habt etwas in der Hand. Ihr könnt Euch an diesem Jesus ausrichten, Euch von ihm verändern lassen, Euch anstecken lassen von seinem Geist, von seiner Art des Lebens und Handelns. Dann werdet Ihr die Welt verändern. Das letzte Wort darüber hat zwar  Gott am Ende der Tage, am Ende EURER Tage, aber jetzt schon könnt Ihr, da, wo Ihr steht, die Welt verändern; das ist Euer Auftrag, das ist unser Auftrag.