Taufe des Herrn, 9. 1. 22

Manche Texte der Bibel machen mich sprachlos- nicht, weil mir zu ihnen nichts einfiele, nicht, weil sie zu fremd wären, sondern, weil sie mich so anrühren.

Heute jedenfalls geht es mir wieder so, vor allem bei den beiden Lesungen, die wir gehört haben.

Am liebsten würde ich sie nur ganz in Ruhe für mich lesen, meditieren und wie einen Vitaminschub oder wie eine Frischzellenkur auf mich wirken lassen.

 

Nun ist es aber meine Aufgabe, das Wort Gottes auszulegen- das geht nicht, indem ich mich hier hinstelle und das Gehörte für mich lese und meditiere.

 

Ich will aber versuchen, Ihnen etwas von meiner Faszination für das heute Gehörte weiterzugeben und dabei hoffen, dass Sie ähnlich Tiefes darin entdecken wie ich es für mich durfte.

 

Es ist nichts Neues, nichts noch nie Gehörtes, nichts, was unmittelbar mein Leben umkrempelt. Es ist eher von der Art wie es in dem Wort „Vitaminschub“ eben schon einmal anklang: Es entfaltet seine Wirkung langsam, aber dauerhaft; es sickert in mir ein und kann mich tief durchdringen und prägen, vorausgesetzt, ich lasse es zu.

 

In einer Zeit, die vor allem zuletzt von eher lautem Geschrei geprägt wird, davon, wer am besten und schnellsten, am schrillsten und schrägsten seine Wahrheiten und Unwahrheiten durch die Welt twittert, spricht mich Jesaja an.

Die Zeilen, die wir heute gehört haben sind den Kapiteln des Propheten entnommen, die sich in der Babylonischen Gefangenschaft Israels als sogenannte Trostworte an die Verbannten wenden, ihnen die nahende Befreiung ankündigen wollen.

So spricht Gott, der Herr: Siehe, das ist mein Knecht, den ich stütze;
Ich habe meinen Geist auf ihn gelegt, er bringt den Nationen das Recht. Er schreit nicht und lärmt nicht und lässt seine Stimme nicht auf der Gasse erschallen. Das geknickte Rohr zerbricht er nicht und den glimmenden Docht löscht er nicht aus; ja, er bringt wirklich das Recht. 

 

Das geknickte Rohr zerbricht er nicht und den glimmenden Docht löscht er nicht aus.

 

Das ist so ganz anders als das, was bei uns zählt: Wir sind vom Starken und Hellen fasziniert, das zieht uns an, dem wenden wir uns zu, dem folgen wir. Das geknickte Rohr? Who cares. Der glimmende Docht? Der ist ja eh gleich verlöscht. Was soll’s. Die bringen nichts.

 

Jesaja kündet hier jemanden an, dem die Schwachen nicht egal sind. Er erzählt von einem Messias, der das geknickte Rohr aufrichtet, schient und wartet bis es wieder von selbst stehen kann.

Er berichtet vom Boten Gottes, der das Glimmende wieder anfacht, dem Licht neue Nahrung gibt statt der verlöschenden Kerze ihrem Schicksal zu überlassen.

Bilder, ja natürlich- aber so ganz andere als die, die unser Bewusstsein, und vor allem unser Unterbewusstsein ständig prägen: die Bilder vom Perfekten nämlich: vom schönsten Urlaub, vom besten Essen, von der schönsten Frau, vom bestaussehenden Mann, vom großen Haus in der tollsten Berglandschaft oder direkt 1. Reihe am Wasser.

DAS prägt uns, das ist unser Ziel, danach richten wir uns aus, DAS erzählen wir uns, DAS zeigen wir auf Instagram. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie schrecklich ich das finde, auch und gerade, weil ich die Faszination davon wie etwas Diabolisches in mir selbst spüre.

 

Und da kommt Jesaja und spricht das Unscheinbare an, das, was bei uns nicht die geringste Aufmerksamkeit bekäme: ein geknicktes Rohr, ein verlöschender Docht? Wen soll das interessieren?

Es sind aber Bilder für das, was einen Großteil der Menschheit symbolisiert: die Wenigsten, auch die wenigsten von uns sind die großen und die glänzendsten. Und wenn wir mal groß und glänzend sind, dann höchstens für eine gewisse Zeit- das vergeht. Instagram-fähig sind wir nur in den seltensten Momenten unseres Lebens;

wenn wir geknickt oder glimmend sind, will keiner ein Foto von uns sehen.

 

Und der Bote Gottes interessiert sich genau für diese.

 

Ja, er bringt wirklich Recht– so hieß es dann weiter im Jesajatext.

Ich, der HERR, habe dich aus Gerechtigkeit gerufen, ich fasse dich an der Hand. Ich schaffe und mache dich zum Bund mit dem Volk, zum Licht der Nationen, um blinde Augen zu öffnen, Gefangene aus dem Kerker zu holen und die im Dunkel sitzen, aus der Haft.

Darum geht es Gott, darum geht es seinem Boten, darum geht es denen, die ihm folgen. Die an so vielen Ecken aufkommende Faszination an starken Männern, an Anführern dagegen ekelt mich an.

 

Gott wendet sich den Schwachen  zu, ihnen gehört seine Aufmerksamkeit, seine Faszination sozusagen. Und das ist eben nicht nur eine Aufforderung an uns, uns auch dem Schwachen zuzuwenden, sondern es ist mindestens genauso ein Trost für uns selbst: Es ist die Zusage Gottes, die eben auch uns gilt. Denn in Wahrheit sind wir doch auch schwach. Es ist doch so Vieles Show, so Vieles ist Prahlerei, Angeberei und Geschrei, mit dem wir unsere eigenen Schwächen übertünchen, von ihnen ablenken wollen.

Gott löscht Deinen glimmenden Docht nicht aus.

Das ist ein Zuspruch, Trost, Verheißung- und wenn ich das innerlich spüre und annehmen kann, wenn  das als Erkenntnis in mich eindringt und mich prägt, dann ergibt sich daraus- als  Folge sozusagen- meine eigene Hinwendung zu den Schwachen, zu den Verlöschenden, den Geknickten. Dann brauche ich nicht mehr die große Show, den großen Auftritt, das jämmerliche Zählen von likes, von Bestätigung.

 

Bei der anderen Lesung, die wir eben gehört haben, geht es weiter: aus dem Brief des Titus, vermutlich ein Brief aus dem Schülerkreis Paulus. Auch hier noch einmal ein Kernsatz: Als die Güte und Menschenfreundlichkeit Gottes, unseres Retters, erschien, hat er uns gerettet – nicht aufgrund von Werken der Gerechtigkeit, die wir vollbracht haben, sondern nach seinem Erbarmen.

Gerettet nicht aufgrund von Werken der Gerechtigkeit. Der gleiche Hintergrund wie bei Jesaja: Eure Werke der Gerechtigkeit sind gut, aber zählen nicht besonders vor  Gott. Es zählt sein Erbarmen.

Übersetzt und schon so oft von mir hier gesagt: Ihr braucht- und vor allem Ihr könnt Euch nicht selber retten, groß machen, unsterblich und mit ewigem Ruhm ausgestattet, so dass noch Generationen von Euch sprechen werden. Das ist auch nicht nötig, weil Gott uns nach seinem Erbarmen rettet, nicht nach unseren Werken.

Das ist Erlösung: Unser ganzes Bemühen, großartig in dieser Welt da zustehen, ist schön und gut, aber es bindet viel zu viele Kräfte.

Und vor allem habt Ihr das nicht nötig:

Ihr seid von Gott geliebt, angenommen mit dem, was Ihr seid.

Das ist nicht alles gut und großartig, aber Gott weiß das- und er erbarmt sich dessen. Du musst das nicht selbst tun, Du musst Dich nicht selbst erlösen. Entspann Dich, Mensch, mach mal halblang. Lass Gott Raum, Dich erlösen zu können.

Und dann sind wir frei, uns um die Schwachen und Kraftlosen zu kümmern, um die Geknickten und die nur noch Glimmenden.

Wenn Gottes Stimme dann bei der Taufe Jesu aus dem Himmel kommt und von Jesus als seinem geliebte Sohn spricht, an dem er Wohlgefallen hat, dann ist das die Aufforderung an uns, diesem Jesus nachzueifern, ihm zu folgen: sein Weg, sich den Schwachen zuzuwenden ist unser Weg. Sein sich Verlassen auf den Vater im Himmel ist unser Vorbild für ein Leben voll Vertrauen.

Ich habe es zu Beginn gesagt: am liebsten würde ich diese Texte in Ruhe lesen und für mich meditieren. Das werde ich auch wieder tun und möchte es Ihnen anempfehlen. Es sind Texte, die uns impfen vor der Versuchung, dem Starken hinterherzulaufen, dem Lauten und dem Schrillen, Texte, die uns stark machen wollen, damit wir Kraft haben, uns dem Schwachen in  uns und dem Schwachen um uns zuzuwenden. Denn DAS ist es was zählt. Daran hat Gott sein Wohlgefallen.