Pfingsten, 28. Mai
Viele von Ihnen wissen, dass ich auch eine Nebendienststelle in Saudi-Arabien habe.
Gestern bin ich mit neuen Eindrücken von dort zurückgekommen.
Vor allem geht mir noch ein Abend an der Seepromenade in Jeddah am Roten Meer durch den Kopf. Es ist eine km-lange Promeniermeile, die vor allem an den Abenden Abertausende anlockt.
Zum Sonnenuntergang hört man dann die Muezzins aus den umliegenden Moscheen zum Gebet rufen. Bis vor kurzem konnte man dann viele der Anwesenden beobachten wie sie sich auf ihren mitgebrachten Teppichen gen Mekka wandten. Eine andächtige Stille legte sich dabei über die Promenade, die auch mich, den Christen anhielt, auf seinem Platz zu verharren und ruhig am Geschehen teilzunehmen.
Bis vor kurzem war das so.
Jetzt war alles anders.
Der Muezzin rief zwar zum Sonnenuntergang weiterhin zum Gebet, aber statt sich auf die Teppiche zu knien, taten die Allermeisten das, was man fast überall auf der Welt im Anblick eines schönen Sonnenuntergangs tut: sie zückten das Handy und machten Fotos.
Der Gesang des Muezzins war zu dem degradiert, zu dem auch Kirchenglocken in hübschen Alpendörfern degradiert sind: hübsche Geräuschfolklore, die im Hintergrund für eine angenehme Atmosphäre sorgt, aber sicher in den wenigsten Fällen ihren eigentlichen Zweck erfüllt, zum Gebet aufzurufen.
Ich erzähle das, weil mir dabei klar geworden ist, welche Kraft gemeinsame Rituale haben- denn sie verbinden uns. Das gilt für das gemeinsame Gebet, ob hier und heute oder an der Seepromenade von Jeddah, oder eben auch durch das gemeinsame Ritual von Fotografieren, Hochladen und Liken.
Ausgelöst durch die Befriedigung, die wir dabei bekommen, wenn Menschen unsere Fotos mit einem Daumen liken, können wir kaum der Versuchung wiederstehen alles Mögliche zu fotografieren und es ins Netz zu stellen. Und die daraus gewonnene Befriedigung ist so groß, dass sie über alle kulturellen Grenzen hinweg funktioniert. Dafür lässt man auch schon mal den Muezzin links liegen und bedient lieber den Geist von Instagram und Co.
Sollte jemand danach fragen, was uns Menschen untereinander verbindet, dann ist das eine mögliche Antwort: Die Sehnsucht nach Likes, nach Anerkennung, nach Geliebt werden.
Allerdings ist das nur vordergründig etwas, das uns verbindet, denn gleichzeitig trennt es uns, ja es setzt uns sogar in Konkurrenz zueinander.
Denn die Likes sind eine Gabe, die erarbeitet werden muss. Mein Foto muss besser sein als das der anderen, damit ich mehr Likes als die anderen bekomme. Aus dem gemeinsamen Ritual wird ein Wettbewerb. So können Tausende an der Promenade von Jeddah stehen und scheinbar in einem großen Ritual vereint sein, aber eigentlich kämpft jeder für sich um die gereckten Daumen der anderen Netznutzer.
Welch anderen Spirit feiern wir doch an Pfingsten.
Die Geschichte ist zwar inzwischen 2000 Jahre alt, aber immer noch geeignet, uns den Spiegel vorzuhalten.
Da waren sie also zum großen Fest in Jerusalem zusammengekommen, aus allen Ecken des östlichen Mittelmeerraumes, geprägt von ihren je eigenen Traditionen und Gebräuchen und aufgewachsen in der jeweiligen Muttersprache. Naturgemäß ist auf solch einem Hintergrund Verständigung nicht einfach. Und doch geschah es: Der Hl. Geist kam in Feuerzungen über sie und sie konnten einander verstehen.
Der Geist Gottes überwand alle kulturellen und sprachlichen Grenzen und verband sie untereinander zu einem größeren Ganzen. Kein Wettbewerb, kein Konkurrieren, kein Gegeneinander, sondern die gemeinsame Freude daran, Teil von etwas Größerem zu sein.
Damit greift diese Geschichte von Pfingsten eine tiefe Sehnsucht in uns Menschen auf- nämlich die Sehnsucht nach der Einheit und die Hoffnung, Teil von etwas zu sein. Tief in uns wollen wir miteinander verbunden sein, uns vereinen und die Grundeinsamkeit des Geschöpfs überwinden.
Es ist eine merkwürdige Sehnsucht, weil sie immer mit einer anderen Kraft in uns konkurriert: Der Kraft der Abgrenzung, des Gegeneinanders, des Wettbewerbs und der Konkurrenz.
Mit dieser Geschichte von Pfingsten tragen wir Christen einen wertvollen Schatz in unseren Händen, einen, der nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Gerade auch auf die Zukunft hin.
Wenn alle Prognosen der Wissenschaft stimmen, dann laufen wir auf eine Zeit zu, in der die immer noch mehr werdenden Menschen um immer weniger Ressourcen konkurrieren werden. Der Überfluss wird ein Ende haben, uns bisher selbstverständliche Dinge werden seltener sein und wir alle werden um unsere Lebensgrundlagen Auseinandersetzungen führen.
Was mit Dürren in Frankreich, mit Hitzerekorden in vielen Teilen der Welt, mit Fluten in Italien beginnt, wird zu immer größeren Verwerfungen führen, bei denen damit zu rechnen ist, dass sie nicht friedlich bleiben werden.
Wir wollen das natürlich nicht hören, wir wollen das nicht wahrhaben, wissen aber in unserem Innersten, dass wir um diese Wahrheiten nicht herumkommen werden.
Ob wir es wollen oder nicht interessiert den Planeten nicht.
Die Grundsätze der Physik nehmen keine Rücksicht auf unsere Träume und Hoffnungen. Wer 1 und 1 zusammenrechnen kann, wird erkennen müssen, dass wir zu erheblichen Veränderungen gezwungen werden, weil wir viele Grenzen schon überschritten haben, die unsere bisherige Lebensweise nicht mehr zulassen werden.
Das kann man Panikmache nennen, man kann es aber auch als nüchterne Klarheit bezeichnen, die erst die Voraussetzung schafft, Entscheidungen zu treffen, die notwendig sind, um als Menschheit nicht weiter dem Abgrund entgegenzutaumeln.
Nun sind wir hier keine Parteiversammlung der Grünen oder ein Mitgliedertreffen der Last Generation. Wir sind hier als Christen versammelt.
Unser Beitrag in einer immer mehr um die seltener werdenden Ressourcen kämpfenden Menschheit wird sein, den Geist der Verbundenheit wachzuhalten. Wir nennen diesen Geist den Heiligen Geist. Er ist nicht nur deswegen der HEILIGE Geist, weil er der Geist Gottes ist, sondern er ist heilig, weil er heil machen kann, das, was Unheil bringt, was Trennung und Abgrenzung fördert, überwinden kann und Heilung verspricht.
Christen haben den Auftrag zusammenzuführen, statt zu spalten. Das ist in guten Zeiten, in Zeiten des Wohlstands einfach. Da kann man gut miteinander teilen. Die Bewährungsprobe kommt, wenn es für alle knapper wird. Das gilt vor allem für die Ebene des Materiellen. Ein Beispiel nur: Wenn das Wasser knapper wird, steht die Entscheidung an, ob die Industrie mehr davon bekommt oder die Landwirtschaft- so gerade in manchen französischen Regionen. Diese Fragen werden uns auf viele Ressourcen hin beschäftigen. Wer bekommt was? Und wer rettet dabei die Schwächeren? Denn es steht außer Frage, dass in Krisensituationen immer der Stärkere zu gewinnen droht. Werden wir es schaffen, nicht mit dem Ellenbogen zu kämpfen, sondern mit dem Schwert der Gerechtigkeit? Ich habe meine Zweifel.
Auch auf anderen Ebenen gelten diese Fragen.
So sind auch wir Kirchen im Wettbewerb untereinander.
In einer Gesellschaft, die sich immer mehr von uns abwendet, kämpfen wir Kirchen um das Gut der Aufmerksamkeit. Wir müssen plötzlich auf uns hinweisen, müssen unsere Vorteile hervorkehren, uns von unserer besten Seite zeigen.
Aber auch da gilt der Auftrag des Zusammenführens für uns alle. Schaffen wir es, uns auf das Verbindende zu konzentrieren, schaffen wir es, uns daran zu erfreuen, wenn es in einer Gemeinschaft gut läuft ohne neidisch darauf zu schauen und uns im konkurrierenden Wettbewerb gegenseitig auszubremsen?
Die Ökumene ist in unseren Breiten stark erlahmt, auch – so glaube ich- weil die Kirchen zunächst einmal versuchen ihr jeweils eigenes Überleben zu sichern.
Dabei interessiert das außerhalb von uns Kirchen niemanden.
Gefragt wäre jetzt ein viel größeres Miteinander von uns Kirchen. Zusammen müssten wir den uns mitgegebenen Schatz des Evangeliums nach außen tragen.
Wir können nur dann zusammenführen, wenn wir uns selbst zusammenführen. Ein Mittler, der in sich selbst gespalten ist, kann keine Spaltungen überwinden helfen. Er ist unglaubwürdig.
Das ist ein Auftrag nicht nur für unsere Dachverbände, nicht nur für EKD und Bischofskonferenz. Das gilt für uns Gemeinden genauso. Zusammenführen, zusammenführen und noch einmal zusammenführen. Das ist das Gebot der Stunde.
Ich möchte dazu aufrufen, unserer aller Phantasie auf die Entwicklung von Projekten zu verwenden, die das MITEINANDER fördern. Unser Dienst an der Welt ist ein Dienst der Einheit. Kirchen müssen am Miteinander erkennbar sein. Jedes Vorhaben muss durch diese Brille betrachtet werden: Führt es zusammen oder trennt es Menschen voneinander? Lässt es uns als Schwestern und Brüder zusammenwachsen oder fundamentiert es das Gegeneinander?
Die Welt braucht keine Diskussionen um Amts- und Abendmahlsverständnis, sondern ein Vorbild des Miteinanders, der Einheit.
Pfingsten nach ist das keine Einheit, die alles nivelliert. Die vielen in der Apostelgeschichte genannten Völker bleiben ja, wer sie sind, ob Parther oder Meder, Elamiter oder aus Mesopotamien, Judäa oder Kappadozien. Aber sie verstehen plötzlich einander, haben zu einer tieferen Ebene des Verstehens gefunden, sind sich eins im gegenseitigen Respekt.
Die Zukunft wird uns in dieser Hinsicht noch einiges abverlangen.
Jetzt gilt es sich dafür zu rüsten.
Den Test der Zukunft, der sich um die Ressourcen dieser Welt drehen wird, wird uns viel Gegeneinander bescheren. Menschen drohen zum Feind des anderen zu werden.
Wir Christen können uns nicht früh genug auf unsere Ressource besinnen- und die heißt: Heiliger Geist.
Beten wir um ihn