Trinitatis, 4. Juni 2023

Ich weiß nicht, ob es Ihnen schon einmal aufgefallen ist. Vermutlich aber nicht.

Wenn Sie aus dem Gemeindehaus austreten und auf das Gebäude gegenüber schauen, werden Sie ein über die ganze Fassade gespanntes Werbeplakat sehen, was für eine Immobilienfirma wirbt und seit 2 ½ Jahren feststellt, dass die Firma „is investing in a a sustainable future“.

Von meinem Wohnzimmer aus, habe ich Tag für Tag dieses Plakat vor Augen und habe vor einiger Zeit der entsprechenden Firma eine Mail geschrieben, dass ich dieses Plakat für eine Art von visueller Umweltverschmutzung halte. Die Reaktion kam schnell: Man sei traurig, dass ich das so empfände, wäre aber zuversichtlich, dass im Sommer mit den Umbaumaßnahmen des Hauses begonnen würde und das Plakat dann entfernt würde.

 

Viele von Ihnen werden meine Reaktion vermutlich für übertrieben halten. Ich kann das nachvollziehen, weil uns überall und an allen möglichen Orten Plakate ihre Werbebotschaften entgegenschreien. Wir haben uns so sehr daran gewöhnt, dass es uns schon gar nicht mehr auffällt.

Und das ist das Problem.

Machen Sie doch mal den Test und schauen mal mit offenen Augen bei der Rückfahrt nach Hause darauf, wo und wer überall seine Werbebotschaft im öffentlichen Raum verbreitet. Das sind ja nicht nur die großen Plakate. Das sind Poster, Aushänge, Aufschriften auf öffentlichen Verkehrsmitteln, aber auch Logos an Ihren Pullovern, Blusen, Jacken, Autos, Fahrrädern oder Taschen. Die würden alle prächtig ohne den Namen der Marke darauf funktionieren. Die haben nur einen einzigen Zweck, nämlich den der Verführung. Und wir beten in jedem Vater Unser „und führe uns nicht in Versuchung“- da kann man nur bitter lachen.

Werbung ist omnipräsent, allgegenwärtig- fast wie der liebe Gott.

Aber wenn wir als Kirchengemeinde ein Kreuz an unsere Fassade anbringen möchten, dann gilt plötzlich, dass wir uns in der Nähe und auf der Sichtachse eines UNESCO-Weltkulturerbes befinden, unser Haus denkmalgeschützt ist und an der Fassade nichts angebracht werden darf, das den Charakter der Straße beeinträchtigt. Dass wir trotzdem ein dezentes Kreuz an der Fassade angebracht haben, ist einem gewissen zivilem Ungehorsam geschuldet und der Laissez-Faire-Politik lokaler staatlicher Stellen.

Dass aber nur am Rande.

Aber dass gleichzeitig eine Immobilienfirma ihr protziges Plakat Tag für Tag in mein Wohnzimmer  und die Wohnzimmer von vielen anderen Anwohnern strahlen lassen darf- nachts wurde es nämlich zeitweise sogar noch beleuchtet- scheint niemanden zu stören: keine Denkmalschutzbehörde, keinen anderen Nachbarn, niemanden.

Ich finde das entlarvend: Firmen, die ja unser Wirtschaftsleben am laufen halten, dürfen halt alles. Das wird der Grund sein. Die dürfen Fußballstadien mit den dämlichsten Namen versehen, so dass das eine Signal-Iduna-Park heißt, das andere nach Continental oder nach der Allianz benannt wurde oder aber nach Mercedes-Benz. Die dürfen jeden Skifahrer, jeden Formel1-Piloten und jeden Fußballspieler mit ihren Botschaften zukleistern, so dass die wie wandelnde Litfaßsäulen aussehen. Wer zahlt bestimmt den Namen, wer zahlt darf sein Plakat aufhängen, wo er will und was er will.  Und wenn wir wollten und eine Firma Interesse daran hätte könnten wir uns statt St Paulus z.B. St Jägermeister nennen.

 

Wann hat das eigentlich begonnen? Seit wann dürfen Firmen nicht nur dezent auf sich aufmerksam machen, sondern ihr Gift der Verführung in unser aller Köpfe träufeln, Tag für Tag an jedem Ort der Erde? Wann wurden aus Hinweisschildern auf den örtlichen Schmied, Schuhmacher oder Bäcker alle Sinne ansprechende Verführungsmaschinen?  Wann begann das einkaufsfördernde Musikgesäusel in allen Geschäften, manchmal sogar in öffentlichen Straßen, wie z.B. in Brügge? Wer hat gestattet, dass die Plätze und Orte, die wir uns alle teilen, von zahlenden Firmen geprägt werden, deren Botschaften niemand von uns entgehen kann? Wer lässt das warum zu? Wer schützt unsere Kinder vor dem Zugriff? Macht sich überhaupt jemand Gedanken darüber, was diesen Tag für Tag damit vermittelt wird? Welche Botschaften sie en passant damit erlernen?

Das ist das erschreckendste daran: dass das niemanden mehr zu stören scheint. Die Wirtschaft hat es geschafft uns so einzulullen, dass wir es als gottgegeben empfinden. Es ist halt so.

 

Nun ist heute Dreifaltigkeitssonntag und das, was ich bisher ausgeführt habe, scheint so gar nichts mit diesem Fest gemeinsam zu haben.

Es gibt dennoch etwas, das beides verbindet. Es geht um Bilder, um Botschaften, die wir in den öffentlichen Raum senden.

Denn im gewissen Sinne ist auch die Aussage, dass Gott dreifaltig ist ein in die Öffentlichkeit gesendetes Bild- eines zwar, das erklärt und übersetzt werden muss, aber es ist eines. In der Werbeindustrie wäre das natürlich schon ein No-Go. Ein Produkt, das erklärt und übersetzt werden muss ist schon mal ein schlechtes.

Und dennoch: versuchen wir es mal. Uns Christen ist es ja nichts Neues: wir glauben an den dreieinigen Gott, an Vater, Sohn und Hl. Geist. Drei in Einem. Ein logischer Widerspruch, der uns in der Auseinandersetzung z.B. mit dem Islam immer wieder die Kritik einbringt, nicht mehr an einen einzigen, sondern an mehrere Götter zu glauben.

Da widerspricht jeder christliche Theologe: Wir glauben an einen, der aber dreifaltig ist, drei Ausformungen, drei Erscheinungsformen besitzt. Klingt schrecklich kompliziert und scheint auch keinem höheren Zweck zu dienen. Dabei ist es eine zwar komplizierte, aber dennoch ungemein wichtige Aussage über unsere Gottesvorstellung, die bekanntlich darauf abzielt uns vor Augen zu führen, dass der Gott der Christen in sich schon Beziehung ist. Das heilige Dreieck der Kommunikation. 1+1+1 oder aus 1+1 wird drei. Die Begegnung von zweien trägt Frucht. Sogar Gott ist kein in sich abgeschlossener Monolith, sondern das Urbild von Beziehung. Und der Mensch ist Abbild dieses Gottes, nach seiner Vorstellung auf Beziehung hin geschaffen. Wir sind aufeinander hin geschaffen, weil Gott so ist wie er ist. Gott ist Beziehung, weil Gott Liebe ist. Und Liebe kann nicht für sich sein, Liebe ist Beziehung.

Mit diesem Bild von Gott vermitteln Christen oder könnten es zumindest, dass wir vom Ursprung her schon aufeinander angewiesen sind. Christen sind überall dort an erster Stelle zu finden, wo Gemeinschaften gebildet werden, dort wo Menschen füreinander einstehen, füreinander leben, den anderen nicht aus dem Blick nehmen.

Unsere Werbebotschaft ist eine, die auf Gemeinschaft abzielt, nicht auf Vereinzelung und ganz sicher ja nicht auf das Glück durch Konsum.

Sie ahnen, dass ich wenig Probleme damit hätte, wenn alle Plakate dieser Welt, die Selbstlosigkeit, die Gemeinschaft oder das Aufeinanderbezogensein aller Menschen bewerben und promoten würden. Wenn alle Botschaften im öffentlichen Raum uns zueinanderführen würden, uns daran erinnerten, dass wir eine GEMEINSAME Menschheit sind, die nicht in Konkurrenz miteinander steht, sondern in gemeinsamer Verantwortung füreinander- ja dann dürfte auch die Fassade am gegenüberliegenden Haus meinetwegen  über und über mit Plakaten bedeckt sein. Aber das ist sie eben leider nicht.

Alle Werbeplakate der Konsumwelt wollen uns zum eigennützigen Kauf ermutigen- und damit indirekt  zum Gegenteil, wofür Christen einstehen sollten. Wir stehen nicht in Konkurrenz zueinander, sondern unser Gott, der in sich schon auf Beziehung aufgebaut ist, hat uns auf Beziehung hin, auf das Miteinander hin geschaffen.

Ich wünschte die Dreifaltigkeit wäre so populär und öffentlich sichtbar wie die großen Markennamen dieser Welt, ich wünschte Fußballstadien wären nach ihr benannt und am Time Square leuchteten die Symbole des Gottes der Gemeinschaft- aber so ist das leider nicht.

Wir sind die Werbebotschaft für diesen Gott, wir sind die wandelnden Litfaßsäulen für den Gott der Liebe und der Beziehung. Das stünde uns besser als jede Louis-Vuitton-Tasche oder jedes ADIDAS-T-Shirt. Aber dafür müssten wir erst einmal wieder unsere Sinne schärfen, damit der Gott der Dreifaltigkeit  Platz finden kann in unseren umnebelten Seelen. Es wäre es allemal wert, eine weitaus wertvollere Investition als alle Käufe, die wir so oft und so verführt tätigen.