Christi Himmelfahrt (Bischof Manfred Scheuer)

 

In den Himmel? Nur mit den anderen!

 

„Brave Mädchen kommen in den Himmel, schlimme Mädchen überall hin.“ Dieser Satz drückt etwas aus, was sich im Lebensgefühl vieler wie­der findet. Ist der Himmel mit dem Verzicht auf Glück und Lebensfreude verbunden? Nur wenige werden sich zwar den Himmel genau so vorstellen, wie er in dem Stück „Der Münchner im Himmel“ dargestellt wird. In diesem Stück von Ludwig Thoma muss der Münchner vormittags und nachmittags abwechselnd Halleluja oder Hosianna singen, und er findet das ausgesprochen langweilig. Man hat keine große Sehnsucht, dorthin zu kommen. Der Himmel scheint für viele doch sehr langweilig zu sein.

Der Glaube an den Himmel steht unter dem Verdacht der Jenseitsvertröstung. Ist es bloß so, dass Menschen, die hier auf Erden zu kurz kommen, hoffen, dass es ihnen später – im Himmel – bessergeht? Oder sind die gläubigen Christen solche, die sich hier nicht einsetzen und nicht mühen für das Wohl einer besseren Welt, und alles auf eine spätere Welt verschieben? „Wir wollen hier auf Erden schon das Himmelreich errichten. Wir wollen auf Erden glücklich sein und wollen nicht mehr darben, verschlemmen soll nicht der faule Bauch, was fleißige Hände erwarben. Es wächst hienieden Brot genug für alle Menschenkinder, auch Rosen und Myrten, Schönheit und Lust und Zuckererbsen nicht minder. Den Himmel überlassen wir den Engeln und den Spatzen.“ (Heinrich Heine) Wer keine Vertröstung im Leid, wer keine Entsagung in der Trauer, wer keine bessere Welt woanders will, wer eine bessere Welt hier und jetzt will, glaubt der nicht an den Himmel?

„Himmel“ im biblischen Sinne meint immer ein „Leben in Fülle“ – erfüllt mit Liebe, Glück, Frieden, Gesundheit, kurzum: mit Heil. Im Unterschied zum vergänglichen irdischen Leben währt dieses Leben in Fülle „ewig“, grenzenlos, ohne Abbruch, ohne Ausgeliefertsein an das Vergehen und Verwesen. Himmel ist im übertragenden Sinn Identitätsfindung durch die „beglückende“ Liebe Gottes. Darin erst ist die Freiheit des Menschen von aller Unfreiheit und aller Unwahrheit befreit.

 

Ich rufe dich bei deinem Namen

 

Wir feiern haute die Taufe. Im Leben eines jeden von uns spielt der Name eine große Rolle. Der bei der Geburt bzw. bei der Taufe gegebene Name begleitet uns ein Leben lang. Wir werden bei unserem Namen gerufen, angesprochen, mit dem Namen sind wir identifizierbar, mit dem Namen geben wir unsere Unterschrift. Mit dem Namen sind wir anrufbar. Wenn wir einen Menschen bei seinem Namen rufen, eröffnet sich eine persönliche Beziehung. „Fürchte dich nicht, ich rufe dich bei deinem Namen.“ (Jes 43,1) Einen Namen haben: jeder Mensch ist einzigartig auf der Welt, kei­ner ist wiederholbar und ersetzbar, keiner ist eine Nummer oder ein Serienprodukt; er ist kein Zahnrad, kein bloßer Funktionär, keine Maschine, kein Computer. Jeder Mensch hat eine einzigartige Würde und einen unendlichen Wert. Wir haben bei Gott einen Namen: Gott hat sich jeden und jede einzeln ausgedacht als Wunder mit einem speziellen Auftrag. Wir sind nicht Gottes vergessene Kind, die ihm gleichgültig wären. Einen Namen zu haben, das ist nicht idealistisch zu verstehen.

Mit dem Namen allein können wir mit dem Geheimnis eines Menschen noch nicht ganz vertraut werden. Der Name allein bleibt irgendwie abstrakt und hängt in der Luft, wenn er nicht einem konkreten Gesicht zugeordnet werden kann. Jeder Mensch hat ein unverwechselbares Gesicht, das seine Originalität zum Ausdruck bringt. Wie ein Mensch mit seinem Namen anrufbar ist, so ist er mit seinem Gesicht anschaubar und ermöglicht damit eine ganz persönliche Beziehung zu einem anderen Menschen. Name und Gesicht machen aus einem Menschen eine ganz konkrete Person. Der Name ist ein Beziehungswort. Und aufgrund des Gesichts kann ich von anderen Menschen angeblickt werden und kann ich selbst andere Menschen ansehen und ihnen so Ansehen geben.

Im Gesicht drückt sich die unverwechselbare Identität, drückt sich die Innenseite der Seele aus. Im Antlitz sprechen sich auch Beziehungen aus. Wir spüren, wie wohltuend und heilend liebende Aufmerksamkeit ist, wie wichtig es ist, wahrgenommen zu werden, ein „Ansehen“ zu haben. Es kann aber auch verletzend sein, wenn jemand, der körperlich da, mit den Gedanken aber ganz wo anders ist. Blicke können flehentlich sagen: Ich brauche dich, bitte lass mich nicht im Stich, lass mich nicht allein. Ein Blick kann unbedingt in Anspruch nehmen: Du musst mir helfen! Oder: Du darfst mich nicht töten! Oder: Schau mir in die Augen, d.h. sag mir die Wahrheit! Mit Blicken und mit der Gestik des Gesichtes können auch Kälte, Gleichgültigkeit und Verachtung signalisiert werden. Ohne Worte sagt da einer: Du bist für mich überflüssig, reiner Abfall und Müll, den zu verwerten und dann zu entsorgen gilt, du bist eine Null, ein Kostenfaktor, den wir uns in Zukunft nicht mehr leisten wollen. Blicken können kontrollieren, überwachen, fixieren und lähmen. Wenn Blicke töten könnten …, heißt es nicht umsonst in der Alltagssprache.

„Und weil das Auge dort ist, wo die Liebe weilt, erfahre ich, dass Du mich liebst. … Dein Sehen, Herr, ist Lieben, und wie Dein Blick mich aufmerksam betrachtet, dass er sich nie abwendet, so auch Deine Liebe. … Soweit Du mit mir bist, soweit bin ich. Und da Dein Sehen Dein Sein ist, bin ich also, weil Du mich anblickst. … Indem Du mich ansiehst, lässt Du, der verborgene Gott, Dich von mir erblicken. … Und nichts anderes ist Dein Sehen als Lebendigmachen.“[1] Christen haben von Gott her ein Ansehen.

 

Das Antlitz als Pforte zum Himmel

 

So ist der Himmel eine soziale Größe. Wir finden unsere Erfüllung als Menschen nur, wenn wir nicht bei uns selbst bleiben, sondern aus uns heraustreten und lieben, wenn wir also unsere Freiheit nicht zum eigenen Vorteil benutzen, sondern sie zum Dienst für die anderen einsetzen. „Die Hölle, das sind die anderen“[2], sagt die Hauptfigur Garcin in der „Geschlossenen Gesellschaft“ (1944) von Jean Paul Sartre. Dem soll Gabriel Marcel am Ende einer Aufführung von Sartres Stück entgegengestellt haben: „Für mich, das Paradies, das sind die anderen“.[3]

Diese Hoffnung auf den Frieden und auf die Gemeinschaft mit Gott gibt die Kraft, sich nicht abzufinden mit den Unrechtsverhältnissen, wie sie damals eben waren. Der Himmel ist das genaue Gegenteil von Gleichgültigkeit und Resignation gegenüber Gewalt und Ungerechtigkeit. „Keiner kommt auf asoziale Tour in den Himmel. Wer nur auf sich und sein eigenes Seelenheil bedacht ist, lebt a-sozial. Das ist im Himmel wie auf Erden unmöglich. Gott selbst ist nicht a-sozial; er ist nicht ein einsames, sich selbst genügendes Wesen. Der dreifaltige Gott ist in sich „sozial“, eine Gemeinschaft, ein ewiger Austausch der Liebe. Nach dem Modell Gottes ist auch der Mensch auf Beziehung, Austausch, Teilhabe und Liebe hin angelegt. Wir sind füreinander verantwortlich.“[4] Er hatte nicht nur das eigene Glück und Leiden im Blick, sondern auch das Glück und Leiden der anderen.

„Jedes menschliche Antlitz ist eine genau bezeichnete Paradiespforte, die mit keiner anderen Himmelstür zu verwechseln ist und welche niemals von mehr als einer einzigen Seele durchschritten werden kann.“[5] „Wir müssen miteinander selig werden. Wir müssen miteinander zu Gott gelangen, miteinander vor ihn hintreten. Wir sollten nicht einer ohne den anderen dem guten Gott begegnen. Was würde er wohl sagen, wenn wir einer ohne den anderen zurückkehrten?“[6]

[1] Nikolaus von Kues, De visione Dei/Die Gottesschau, in: Philosophisch-Theologische Schriften, hg. und eingef. Von Leo Gabriel. Übersetzt von Dietlind und Wilhelm Dupré, Wien 1967, Bd. III, 105-111.

[2] Jean Paul Sartre, Geschlossene Gesellschaft: Stück in 1 Akt. Neuübers. von Traugott König. Reinbek: Rowohlt-Theater-Verlag, 1985.

[3]  René Habachi, Trois itinéraires — un carrefour: Gabriel Marcel, Maurice Zundel et Pierre Teilhard de Chardin, Québec 1983, 23.

[4] Youcat. Deutsch. Jugendkatechismus der Katholischen Kirche. Mit einem Vorwort von Papst Benedikt XVI., hg. von der Österreichischen Bischofskonferenz, München 2010, Nr. 122.

[5] Leon Bloy, Tagebücher 1892-1917, hg. ausgewählt und zum Teil erstmals aus dem Französischen übertragen von Peter Weiß, Wien/ Leipzig 2008, 59.

[6] Charles Péguy (1873-1914)