30. April, 4. So. d. Osterzeit

Die bibl. Texte der Osterzeit befassen sich alle mit den Folgen von Ostern: Nach der Auferstehung Jesu war alles anders: Lebenseinstellungen veränderten sich, Gemeinden bildeten sich, und damit auch Strukturen und Regeln, sowie ethische und moralische Grundhaltungen, die durch die Geschehnisse von Ostern neue Impulse erhielten.

Viele der sogenannten Briefe an die unterschiedlichen neu entstandenen Gemeinschaften sind Zeugnis dafür.

 

Was wir eben in der zweiten Lesung gehört haben, wird Ihnen nicht direkt aufgefallen sein, ist aber diesbezüglich einer der interessantesten Texte. Er wird dem Hl. Petrus zugerechnet, alles spricht dafür, dass einer seiner Schüler ihn verfasst hat und unter seinem Namen versandt hat.

Warum er so spannend ist?

Weil er sich mit den gehörten Zeilen an eine Gruppierung von neuen Christen richtet, die wir sicherlich nicht – wie sagt man so schön- auf dem Schirm haben: An Sklaven, richtig gehört: An Sklaven.

Diese stellten einen nicht geringen Teil der Mitglieder der neuen Gemeinschaften dar.

 

Das ist insofern interessant als dass es zeigt welche Hoffnung sich mit dem neuen Glauben an Christus verband. Die Unterdrückten und Versklavten fühlten sich angesprochen. Ihnen gaben Leiden, Sterben und Auferstehung Jesu große Kraft.

Das Christentum begann nicht als Religion der Starken und Mächtigen, sondern als Kirche der Armen, der Unterdrückten und Verachteten. Die fühlten sich angesprochen, die fanden Trost darin, und die Kraft zum Durchhalten.

Dies hat sich in vielen Weltgegenden zum Glück auch so erhalten. Das Christentum ist gerade dort stark, wo es Menschen in ihrer Armut zur Seite steht, dort wo es konkret Bildung, Nahrung und materielle Grundsicherungen anbietet- sich um das Existentielle kümmert. Dort, wo Menschen in ihrer trostlosen Situation Hoffnung gegeben wird, geistig und materiell.

 

Deswegen ist dieses Zeugnis des 1. Petrusbriefes bis heute indirekt eine Aufforderung an uns, eben diese Gruppe von Menschen nicht aus den Augen zu verlieren.

 

Man könnte nun natürlich einwenden, dass es heute in unseren Breiten keine Sklaven mehr gibt. Das ist sicher richtig, aber Abgehängte gibt es genug.

Natürlich ist z.B. der arme Uber-Essensbote auf seinem Fahrrad kein Sklave, aber die Arbeitsbedingungen sind so schlecht, dass man am liebsten gar nicht so genau hinschaut. Die vielen Subsub-und nochmals Subunternehmen, die sich vielerorts gebildet haben und de facto tarifungebundene und mindestlohnumgehende Arbeitsverhältnisse geschaffen haben, nutzen Menschen oft genug ungehemmt aus- und das mitten im so zivilisierten Westeuropa.

Das Immer-Mehr und Immer-Billiger unserer Gesellschaftsform führt zu Immer-Weniger und Immer-Teurer für eine größer werdende Zahl von Menschen.

Keine Sklaven im klassischen Sinne, aber Menschen, die oft genug ihren Verhältnissen so ausgeliefert sind, dass es für sie kein Entrinnen gibt. Eine Unfreiheit, die sie zu Sklaven der herrschenden Verhältnisse macht.

 

Hier hätten wir Kirchen Ansatzpunkte, das Befreiende unseres Glaubens auszuformulieren.

Und in manchen Ländern des sogenannten Globalen Südens geschieht das auch. Und sicherlich bemüht sich auch die ein oder andere chr. Gemeinde in unseren Breiten: Das Engagement vieler Christen für die Anliegen von Flüchtlingen und Obdachlosen in den großen Städten Europas spricht ja für sich.

Dennoch muss man sich viel zu oft an die eigene christliche Nase fassen und fragen, wo wir als Institution stehen:

Wie werden wir wahrgenommen? Wenden sich Benachteiligte an die Kirchen? Wo stehen wir im politischen Spektrum? Würde der oben zitierte Uber-Radfahrer sich, wenn er überhaupt noch wählen geht, für eine christliche Partei entscheiden? Was ist eine christliche Partei? Die mit dem C drin? Wenden diese Parteien sich an diese Bevölkerungsschicht?

 

Das Evangelium vom Guten Hirten heute stellt Christus als den dar, der sich den Verlorenen zuwendet. Wo stehen wir Christen? Auf der Seite der 99 Schafe, die fein ihrem normalen Leben nachgehen oder verlassen wir auch ab und an die eingetretenen Pfade und suchen im Gebüsch, im Dreck und im Abseits der Normgesellschaft nach dem verlorenen einem Schaf?

 

Ob der Benachteiligte, um seine Existenz kämpfende Teil unserer Gesellschaft seine Anliegen in der Kirche wiederfindet, die er konkret erlebt oder über die in den Medien berichtet wird?

Ich befürchte, dass die ehrlichen Antworten darauf, sehr schmerzhaft für uns sein würden.

Sicher würden wir schnell Gegenbeispiele finden, wo doch geholfen und unterstützt wird und man müsste dem auch zustimmen, aber es geht um die Grundtendenz unserer Kirchen hier im immer noch reichen Westen des europäischen Kontinents. Wie werden wir da wahrgenommen? Besteht ein erheblicher Teil unserer Gemeindemitglieder aus den modernen Sklaven unserer Welt? Die Antwort muss ich gar nicht erst geben, sie liegt für jeden sonnenklar auf der Hand.

 

Und wenn ich den 1. Petrusbrief und den Teil, den wir heute gehört haben, genauer anschaue, ließe es sich auch gut dahinter verstecken.

Da hieß es: Geliebte, wenn ihr recht handelt und trotzdem Leiden erduldet, das ist eine Gnade in den Augen Gottes.

Dazu seid ihr berufen worden; denn auch Christus hat für euch gelitten und euch ein Beispiel gegeben, damit ihr seinen Spuren folgt. Er hat keine Sünde begangen und in seinem Mund war keine Falschheit. Als er geschmäht wurde, schmähte er nicht;

als er litt, drohte er nicht, sondern überließ seine Sache dem gerechten Richter.

Der Geschmähte überließ seine Sache dem gerechten Richter. Der Petrusbrief ruft nicht zur Revolution auf, sondern er tröstet den armen Sklaven damit, sich an Christus zu orientieren, der keine Sünde begangen hat und nicht schmähte als er geschmäht wurde.

Nachfolge Christi- so könnte man es interpretieren- heißt sein Schicksal klaglos anzunehmen, es Christus am Kreuz gleich zu tun und auf den verdienten Ausgleich für das erlittene Leid im Himmel- nach dem Tod- zu warten.

So könnte man das lesen. Und wo wurde und wird es auch oft gelesen.

Wenn Christen sich in die Politik einmischen, dann wird ihnen, falls sie unbequem werden, oft entgegengeschleudert, sich um ihre Dinge zu kümmern, Seelsorge zu treiben und den Rest bitte den Profis zu überlassen.

Der Text hier aber wäre dabei aus meiner Sicht zu kurz gelesen:

Er richtet sich ja an echte, wirkliche Sklaven, Menschen, die ihrem Schicksal nicht entfliehen können, Menschen, die so gefangen sind, dass es für sie keine Alternative gibt. An wirklich Gefangene des Schicksals. Sie will der Text trösten, sie, die ganz allein gelassen sind in ihrem Elend, will er wenigstens noch ein wenig Mut machen mit Blick auf das Kreuz….

Aber eben in diesem Fall NUR diese. Für alle anderen beinhaltet er auch eine Aufforderung- nicht direkt ausgesprochen, aber durch das beispielhafte Tun Jesu intendiert.

Der Text des Petrusbriefes fordert die Sklaven nicht zur Revolution auf, er will sie trösten. Damit beweist er Realitätssinn- denn schließlich sagt man einem am Boden Liegenden auch nicht, nun solle er mal sehen, dass er gegen diejenigen, die ihn zu Boden geworfen haben, revoltieren solle. Dem Ohnmächtigen hilft es nicht, ihn aufzufordern mächtig für sein Recht aufzustehen.

ABER: diejenigen, die die Macht dazu haben, diese werden durch das Evangelium immer wieder aufgefordert, für gerechte Verhältnisse zu sorgen. Die Versklavten mögen mit dem Blick auf das Kreuz in ihrer ausweglosen Situation Trost im mitleidenden Christus finden, aber die anderen sollen im Denken und Handeln Jesu Stärke und Kraft finden, sich für diejenigen einzusetzen, denen es selbst an Stärke und Kraft dazu fehlt.

Werdet selbst zu guten Hirten, die dem Verlorenen nachgehen, öffnet Eure Gemeinden nicht nur für die „Normalen“, haltet die im Blick, die alle anderen aus dem Auge verlieren oder am liebsten übersehen.

Wenn wir dazu überzeugende Wege finden, mache ich mir um unsere Kirche keine Gedanken. Abgehängte, Versklavte und Arme gibt es zuhauf und wird es immer geben. Helfen wir denen, die sich nicht selbst helfen können. Die haben es nötig, die anderen kommen gut ohne unsere Hilfe aus. Der Hirte hat die 99 immer mal wieder eine Zeit allein gelassen, um dem Verlorenen nachzugehen, weil er wusste, dass diese ihn in dem Moment nicht benötigten. Aber das Verlorene- da wollte er hin, das, das sich von ihm entfernt hatte, dem wollte er den Weg zurück zeigen. Das sollte uns Vorbild sein.

Viele heute Versklavte kennen die kirchlichen Gemeinschaften nicht mehr aus eigener Anschauung, sondern nur das, was man über diese liest. Wüsste ich es nur auf diesem Wege, wäre ich auch nicht mehr bei den Christen, aber ich habe anderes erlebt- und Sie hoffentlich auch. Deswegen bin ich, deswegen sind Sie noch dabei. Zeigen wir es denen, die es heute nötig haben- und der Geist Jesu findet Gelegenheit die zu erfassen, die so bitter nach Erlösung schreien.