Ostern

Ostern 2022

 

Merkwürdige Wochen liegen nun seit dem 24. Februar hinter uns. Das, was sich in der Zeit davor angedeutet hatte, von uns aber nicht als wirklich möglich angesehen wurde, war wahr geworden: Die Russen marschierten in die Ukraine ein.

Neben den schrecklichen Folgen, die dieser Krieg nun für so viele Menschen hat, die direkt davon betroffen sind und um ihr Leben fürchten müssen oder ihre Heimat verlassen mussten, haben diese letzten Wochen auch auf viele von uns,  Einfluss genommen- nämlich und zunächst mal vor allem auf unsere Psyche, auf unsere Seelenlage.  Etwas, das man nicht direkt wahrnimmt, etwas, das einem nicht zugleich offen auf der Straße entgegentritt. Denn: Nicht, dass wir nun plötzlich unseren Alltag umstrukturieren müssten, bestimmte Gewohnheiten verändern müssten, nicht, dass sich direkt etwas verändert hätte. Im Gegenteil: Man hat das Gefühl, dass das Ganze, zusammen mit den Erfahrungen der zwei davor liegenden Coronajahren zu einer Haltung geführt hat, die man mit „Jetzt-erst-recht“ umschreiben könnte. Jetzt erst recht in den Urlaub, jetzt erst recht Tapetenwechsel, jetzt erst recht Parties, Jubiläen und Feste nachholen. Jetzt erst recht versuchen, die Reste vom alten Leben zu genießen. Wer weiß wie lange das noch geht. Wer weiß, welche Entwicklung der Krieg nehmen wird, wer weiß, welche Covidvariante uns demnächst erreichen wird und wer weiß wie lange wir uns all das wegen der dräuenden Klimakrise noch erlauben können. Jetzt erst recht.

Die länger schon belastete Unbeschwertheit des Lebens ist nun endgültig zerstört. Zweifel machen sich breit, Sorgen ob die eigenen Zukunftspläne noch Zukunft haben oder ob man gezwungen sein wird, vieles ganz anders zu machen. Das Grundvertrauen, dass alles doch schon immer irgendwie besser sein wird, dass die Zukunft nie schlechter sein kann als die Vergangenheit ist endgültig zerschellt. Überlegungen, von denen sich kaum jemand von uns frei machen kann. Auch wir Christen nicht- auch unter uns drehen sich viele Gespräche um die Zukunft: wie kann das weitergehen? Was wird sein? Was muss sich ändern, was wird sich ändern, ob wir es wollen oder nicht?

Krieg hinterlässt eben nicht nur wie in Mariupol oder Charkiw entsetzliche äußere Verwüstungen, sondern auch innere, selbst bei denen, die nicht direkt davon betroffen sind.

 

Und in dieser Gemütslage feiern wir nun die Karwoche und heute Ostern. Während die allgemeine Stimmung der Verwirrung, der tiefer liegenden Furcht und Ungewissheit noch ganz gut zu Gründonnerstag und Freitag passen, erscheint sie mit Ostern nicht wirklich kompatibel.

 

Wie feiert man in diesen Zeiten das Fest der Auferstehung? Wie redet man vom Leben, das den Tod besiegt? Wie singt man „Tod, wo ist Dein Stachel?“ wenn er noch so offensichtlich seine Kraft entfalten kann und Menschen Tag für Tag dahingemetzelt werden? Wie kann man das Osterhalleluja singen, wie das Gloria freudig anstimmen?“- so könnte man durchaus fragen.

 

Ja, wann, wenn denn nicht jetzt? Gerade jetzt!

 

Wenn furchtbare Ereignisse dazu führten, dass wir Ostern nicht mehr feiern könnten, wann hätten wir es je feiern können?

Hat es je Jahre gegeben, in denen Menschen nicht durch Krieg, Katastrophen oder Terror ums Leben gekommen wären? Hat es je seit der Auferstehung Jesu ein Jahr gegeben, in dem Menschen nicht Grund zum Wehklagen und Verzweifeln gehabt hätten?

Ja, wir waren in Mitteleuropa in den vergangenen Jahrzehnten auf einer Insel der Seligen versammelt, verwöhnt von immer mehr und immer besser. Das Ende der Geschichte verkündeten manche gar als der Kommunismus Anfang 1990 zu Grabe getragen wurde und die sogenannte Spaßgesellschaft feierte bis zum frühen Morgen, möglichst jeden Morgen.

Einzelschicksale, verursacht durch schwere Krankheiten oder schlichtweg durch Pech im Leben hat es natürlich gegeben, aber ansonsten wurden wir von allem Elend der Welt verschont.

Heile Welt. Nun hat uns endgültig die bittere Wirklichkeit eingeholt, die für einen größeren Teil der Menschen schon länger Realität ist oder immer war.

Es gilt sich neu zu justieren, neu einzustellen auf diese Wirklichkeit. Das Elend und die Not der Welt griffen in jüngster Zeit auf uns über, warfen zunächst in Millionen von fliehenden Menschen und durch die Gewalt in Syrien ihre langen Schatten auf unsere lichten Eilande des Wohlstandes. Erzeugten mit Corona für Viele Zeiten der wirtschaftlichen Existenznot und mit dem 24.2. sind nun endgültig alte Ängste wiederaufgetaucht, von denen wir gedacht hatten, sie wären für uns längst überwundene Dämonen der Vergangenheit.

Offenbar falsch gedacht. Traurig, aber nicht zu ändern.

Wir müssen feststellen, daran nur bedingt etwas tun zu können, nur mit langem Atem und Geduld.

 

Ich habe aber eben gesagt, dass es gilt, sich neu zu justieren, mit der Betonung auf „sich“. WIR müssen uns neu einstellen.

Das ist die einzige Schraube, an der jeder von uns unmittelbar drehen kann. Die anderen kann ich nur schwerlich verändern, auf jeden Fall nicht von heute auf morgen. Das gilt auch in gewisser Hinsicht für die Veränderung der eigenen Einstellungen, aber immerhin ist das eigene Ich der einzige Bereich, den ich selbst unmittelbar beeinflussen kann.

 

Und hier kommt Ostern für mich ins Spiel. Die Auferstehung Jesu. Als Einzelereignis nun knapp zweitausend Jahre her; und darüber hinaus noch für viele Christen angezweifelt, da so unwahrscheinlich und bisher auf einen einzigen Fall beschränkt. Das mag so sein; aber für mich inakzeptabel. Christsein ohne Auferstehung geht nicht. Christsein ohne aufzustehen geht nicht. Christsein ohne an die Auferweckung zu glauben, ist kein Christsein, Christsein ohne aufzuwachen, ist keines. Das sage ich nicht als Glaubenswächter, als jemand, der dafür zu sorgen hat, dass die ihm Anvertrauten doch gefälligst das „Richtige“ glauben, was auch immer das Richtige sein mag.

Ich sage das als jemand, der sonst mit seinem eigenen Glauben am Kreuz stehen bleiben würde. Am Kreuz käme mein Glaube zum Stehen, zum Stillstand. Wenn Jesus nicht auferstanden wäre, dann wäre auch sein Tod von keinerlei Bedeutung. Dann wären seine Ideen schöne Ideen gewesen, die aber an der Wirklichkeit der Welt zerbrochen wären. Erst die Auferstehung bestätigt die Wahrheit seines Lebens, die da hieß: „Auf Gott ist Verlass“. Tiefstes Vertrauen in den, den er seinen lieben Vater genannt hat, das war das, was Jesu Leben gekennzeichnet hat. Vertrauen darauf, dass er selbst sogar durch den Tod gehen kann ohne von Gott verlassen zu werden, ohne vom Leben verlassen zu werden, ohne von der Liebe verlassen zu werden.

 

Die Auferstehungsgeschichten der Bibel erzählen uns, dass es weiterging. Es hatte kein Ende. Aus den trauernden, niedergeschlagenen Jüngern wurden enthusiastische, andere ansteckende Botschafter des Lebens, der Liebe Gottes.

 

Wenn die gegenwärtigen Ereignisse schon sein müssen, dann bitte in einer Zeit, in der wir Ostern feiern, dann bitte in einer Zeit, in der wir uns an Tod UND an die Auferstehung Jesu erinnern; denn dieses Fest wirft auf alles ein anderes Licht, dieses Fest des Lebens hat die Kraft uns neu zu justieren, zu neuen Einstellungen zu führen. Und das ist ja unbedingt notwendig und nicht mit den sonst üblichen Mechanismen zu bewältigen.

 

So versuchen z.B. viele von uns in diesen Tagen ein wenig durch Ferien und Verreisen den schlechten Nachrichten zu entfliehen. Eine sehr natürliche und nachzuvollziehende Reaktion. Erst einmal raus. Wir erwarten uns davon einen gewissen Abstand, einfach mal auf andere Gedanken kommen.

Aber unterschätzen wir nicht die Kraft der Ereignisse, Ereignisse, die sich unbewusst auf uns auswirken. Unterschätzen wir nicht die Ängste, die diffuse Furcht, die sich drohen in uns einzunisten.

Die werden wir nicht einfach so los, indem wir mal wegfahren.

Die fahren mit, auch in den Urlaub. Dort kann man sie ein wenig verdrängen, unter die Strandliege oder unter die Ski schieben, aber sie sind nicht einfach weg. Sie werden uns noch auf unbestimmte Zeit begleiten.

Deswegen bleibt nur, sie anzuschauen, sie als das, wahrzunehmen, was sie sind: Schutzmechanismen der menschlichen Psyche, um vor möglichen Gefahren zu warnen.

Wenn sie aber übermächtig werden, dann warnen sie nicht mehr nur vor Gefahren, sondern gewinnen eigene Macht über mich. Sie schaden dann mehr als dass sie nützen, sie vergiften erst mich und dann diejenigen, mit denen ich zu tun habe.

 

Es ist nicht einfach, in diesen Zeiten einen kühlen Kopf zu bewahren. Ich wollte noch nie mit Politikern tauschen, aber jetzt sicherlich erst recht nicht. Bei jeder zu treffenden Entscheidung steht viel auf dem Spiel.

 

Überreizt man, wenn man nun auch schwere Waffen liefert und provoziert damit noch größere Gewalt? –  oder lindert man damit eben genau diese, weil sie den Aggressor zurückdrängt?

 

Verzichtet man jetzt und sofort auf Energie aus Russland und dreht damit den wichtigsten Geldhahn der Kriegstreiber zu oder lässt man es, weil sonst viel zu viele Existenzen im eigenen Land zerstört werden?

 

Spricht man mit Putin, wie es Kanzler Nehammer versucht hat oder wertet man ihn damit nur auf?

Bestraft man auch China, wenn es seinen Bund mit Russland nicht aufgibt oder erhält man lieber die Bande zu einer der wichtigsten Macht der Gegenwart und Zukunft?

 

Moral, Wirtschaft, Klima, Freiheit und Wohlstand wollen so miteinander abgewogen werden, dass die Zukunft doch eine bessere sein wird als es zu befürchten steht.

Wonach richtet man sich aus? Was soll das eigene Handeln bestimmen?

 

Nun sind wir keine Politiker, jedenfalls keine auf der gerade beschriebenen Ebene, aber wir sind mindestens Wahlvolk. In unseren Demokratien richtet sich die Politik zumindest mittelbar nach unseren Stimmungen, nach unseren Einstellungen und damit auch nach unseren Emotionen- und damit im Moment auch nach unseren Ängsten und nach unserer Furcht.

Und damit ist es nicht egal und gleichgültig wie wir selbst mit unseren Ängsten umgehen; es ist nicht für uns selbst gleichgültig, und auch nicht für unsere Gesellschaften.

Es hat einen Einfluss auf die Zukunft aller wie Du, wie ich, wie wir alle denken und fühlen. Unsere Einstellungen beeinflussen die Zukunft.

Es bedeutet einen Unterschied, ob wir aus Überlegung und Weitsicht oder aus Angst, Furcht oder gar Hass und Wut handeln und entscheiden.

 

Die Auferstehung Jesu legt eine andere Saat in uns:  Eine Saat, die gerade besonders kostbar ist: Die Saat des Vertrauens, der unzerstörbaren Kraft der Liebe und des Lebens.

Christen stehen immer da mit Jesus auf gegen alles, wo Tod, Hass und Angst sich verbreiten wollen.

 

Was das im konkreten Alltag bedeutet muss von jedem Einzelnen immer selbst durchbustabiert werden. Darauf gibt es keine allgemeingültigen Antworten- und auch die Gefahr des Irrtums ist nicht ausgeschlossen. Denn auch Christen haben nicht die Weisheit mit Löffeln gefressen. Davon zeugt schon unsere eigene Geschichte.  Aber sie haben einen Orientierungsrahmen, der von Jesus vorgegeben wurde und an Gründonnerstag, Karfreitag und Ostern von ihm vorgelebt wurde. Aus diesem ergibt sich unmissverständlich, dass wir immer dann aufstehen müssen, wenn Angst, Furcht, Hass oder Wut sich ausbreiten wollen, auch und gerade in uns selbst. Sie führen nur zu dem, was sie selbst sind: Tod, Hass, Wut und Angst.

Sie waren die Kennzeichen des Karfreitages, zu Ostern gehört das Gegenteil davon: Leben, Liebe und Mut.