15. Mai, 5. Sonntag der Osterzeit

Ich vermute, dass viele von Ihnen den Namen Charles de Foucauld schon gehört haben, dass aber gleichzeitig viele von ihm wenig wissen.

Das mag sich in diesen Tagen ändern, weil er just am heutigen Tag in Rom heiliggesprochen wird.

 

Vielleicht aber auch nicht-  denn sein Lebens- und Glaubenszeugnis mag faszinierend sein, aber es ist uns vor allem auch ziemlich fremd, um nicht zu sagen, völlig fremd. Dabei könnte es gerade in der heutigen Zeit ein Ideal sein, das für viele unserer gegenwärtigen Probleme Lösungen verheißen würde.

 

Aber eins nach dem anderen:

 

In seinen jüngeren Jahren war dieser Mann aus dem Elsass alles andere als ein Heiliger.

Er hatte von seinem Großvater im Alter von 20 Jahren eine große Erbschaft gemacht und diese genutzt, in dem er sie- so muss man das wohl sagen- in fast täglichen, oder besser nächtlichen- Trink- und Essgelagen verschleuderte.

Gleichzeitig hatte er sich bei einer Militärschule eingeschrieben und wurde zum Dienst nach Algerien versetzt.

Dort wurde er wegen seines Lebenswandels unehrenhaft aus dem Militärdienst entlassen.

Fast überflüssig zu erwähnen, dass er sich vom Glauben abgewandt hatte.

Bei einer Forschungsreise, die er einige Jahre später durch Nordafrika machte, war er fasziniert von der tiefen Frömmigkeit vieler Muslime, die er dabei kennenlernte.

Dies ließ ihn nach seinen eigenen Glaubensüberzeugungen fragen, was 1886 dazu führte, dass er nach tiefen Gesprächen mit einem Priester in Paris, seine Lebensbeichte ablegte und von da an fasziniert von Jesus und seinem Leben aus der Liebe heraus eine 180°-Kehrtwende vollzog und beseelt von dem Willen, Jesus und seine Liebe zu bezeugen, immer tiefer im Glauben verwurzelt wurde- zunächst als Mönch des Trappistenordens, dann als Priester und anschließend als Einsiedler in der Wüste Südalgeriens.

Dort wurde er in seiner Einsiedelei durch Aufständische im Jahre 1916 ermordet.

 

Faszinierend, dass jemand durch den Glauben einen solchen radikalen Wechsel in seinem Leben vollziehen kann.

 

Ich vermute, dass sich das keiner von uns vorstellen kann.

Ja, wir sind davon fasziniert, aber wenn es dann um die Umsetzung geht, darum es ihm nachzumachen, verlässt uns der Mut.

Bequemlichkeit, Angst vor der eigenen Courage, Furcht sich auf unbekanntes Terrain voller Unsicherheit und abseits der normalen Pfade zu begehen, lassen uns schnell von solchen Gedanken zurücktreten.

 

Und wenn man dann auch noch seine vielen Aufzeichnungen liest, die sich oftmals und vor allem darum drehen, seinem geliebten Jesus immer ähnlicher zu werden, so zu leben, zu handeln, zu denken und zu sprechen wie es Jesus getan hat, dann spätestens drehen wir ab.

Das geht nicht, das schaffe ich nicht, was sollen die anderen denken, dafür habe ich doch nicht studiert, dabei brauche ich Unterstützung, alleine geht das doch gar nicht, dann müsste ich ja alles aufgeben, was ich mir bisher aufgebaut habe usw. usw., was uns so alles einfallen würde.

 

Damit also hat man den Namen von Charles de Foucault zwar schon einmal gehört, aber seine so strikte Lebensentscheidung erscheint uns viel zu fremd als dass wir uns weiter mit ihm beschäftigen würden. Zumal man auch nicht von einem erfüllten, glücklichen Leben sprechen kann. Er litt sehr unter seiner Einsamkeit, wollte unbedingt Gefährten finden, die seine Überzeugungen mit ihm leben wollten, fand aber keine- und sein brutales Ende erwecken auch nicht gerade die Sehnsucht in uns, es ihm nachzutun.

 

Was aber wenn wir es täten? Was wenn wir das, wozu Jesus uns im heutigen Evangelium auffordert, tun würden?

Ein neues Gebot gebe ich euch:
Liebt einander! Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben.
Daran werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid: wenn ihr einander liebt.

Charles de Foucauld schreibt dazu in einer Art Meditation, einer Art Gebet:

Das ist wie Dein Testament, das ist Deine höchste Empfehlung: das ist ein neues Gebot, nicht grundsätzlich neu, aber neu durch die Inständigkeit, mit der Du es uns empfiehlst, neu durch die Ausweitung, die Du ihm gibst: „die Menschen lieben wie Du sie geliebt hast”, neu durch das Gewicht, das Du ihm gibst: „Daran wird man erkennen, dass Ihr meine Jünger seid”, neu durch die Feierlichkeit, mit der Du es aufstellst, indem Du daraus Dein wichtigstes Testament machst, den Ausdruck Deiner letzten Empfehlung in dieser Grabesnacht. Lieben wir Gott, der uns so sehr liebt, dass er sich uns schenkt, sich uns anvertraut, sich uns ausliefert, sich uns hingibt ganz und gar, der uns seinen Leib und seine Seele voll zu eigen gibt, um sie mit unserem Leib und unserer Seele zu vereinen, sie in uns zu haben als vollkommenen Besitz….

 

Soweit das Zitat, das seinen Betrachtungen zu eben dem heute gelesenen Evangelium entnommen ist.

 

Genau das wollte er tun:

Die Menschen lieben wie Jesus es getan hat. Er wollte sie für Christus durch sein eigenes Lebensbeispiel gewinnen. Er hieß jeden willkommen, teilte das Wenige was er hatte, lehrte das, was er wusste und wollte Jesus immer ähnlicher werden.

 

Ich denke oft darüber nach, warum es uns so schwerfällt, bestimmte Entscheidungen zu treffen auch wenn wir wissen, dass sie genau richtig wären.

 

Wir wissen alle ganz genau, was zu tun wäre, um z.B. den Klimawandel aufzuhalten, wir wissen ganz genau, dass unser Gesellschaftsmodell uns zwar enormen Reichtum und Wohlstand gebracht hat, wir unseren Planeten aber damit nicht wieder gut zu machenden Schaden zufügen. Wir wissen, dass wir uns ändern müssen, radikal, sonst ändert uns das Leben. Wir wissen es. Und doch tun wir es nicht.

Wir wissen, wie wir mit einem Leben aus der Bergpredigt, aus dem Geist Jesu heraus, unsere Welt verändern könnten, wir wissen, dass bei uns niemand in Not bleiben müsste, niemand hungern müsste, niemand auf der Straße um ein paar Euros betteln müsste, wenn wir unsere Gesellschaften anders organisieren würden. Wir wissen, dass die einen viel zu viel Geld verdienen, diesem Fetisch alles unterordnen und damit andere viel zu wenig haben, wir wissen es. Wir wissen sogar wie wir es anders machen könnten. Es gibt die Modelle und die Ideen dazu. Wir tun es aber nicht.

 

Wir wünschten wir könnten es- schaffen es aber nicht.

Und so schauen wir mit Faszination auf Menschen wie Charles de Foucauld, aber schauen dann auch schnell wieder weg- denn solche Menschen, solche Christen stellen uns in Frage.

Sind wir überhaupt Christen, wenn es welche gibt, die es viel überzeugender tun als wir?

Warum tun wir es ihnen nicht nach? Warum?

 

Es gibt einen Moment im Leben Charles de Foucaulds, der mir ein Schlüsselmoment zu sein scheint: Das ist der seiner Lebensbeichte.

Er hatte sich im Oktober 1886 an den Pfarrer der Kirche St. Augustin, Abbé Huvelin mit der Bitte gewandt, ihn in der christlichen Religion zu unterwesen. Stattdessen fordert dieser ihn auf, zu beichten.

 

In dem Moment fällt alles von ihm ab, er wirkt völlig befreit danach, so wird es beschrieben. Es ist mehr als die Freude darüber, von seiner Sündenlast befreit zu sein, es ist viel mehr.

Es muss sich in seine innere Leere dieser Jesus eingenistet haben.

 

Sein ganzes Suchen, das sich in seinem ausschweifenden Lebensstil manifestiert hatte, in seinem Militärdienst, der in durch unterschiedliche Länder führte und auch in seiner beruflichen Suche ausdrückte, fand hier ein Ende. Er hatte gefunden, was er suchte. Seine ganz innere Unruhe kam zum Stillstand und plötzlich konnte er sich wie befreit von allen anderen Karrierewünschen ganz dem einzigen Karrierewunsch hingeben, der ihn noch beschäftigte: Jesus immer ähnlicher zu werden. Sonst nichts mehr.

Und der, der sonst immer das Laute, das Abwechslungsreiche, das Abenteuer suchte, konnte sich zurückziehen in die absolute Stille der Einsiedelei in der größten Wüste der Welt.

 

An seinem Leben, vor allem an seiner 180°-Lebenswende lässt sich ablesen, dass Glaube immer Geschenk ist. Gnade, wie die Theologie das nennt. Diese innere Gewissheit, ganz mit diesem Jesus verbunden zu sein, so sehr, dass alles Weltliche nichts Faszinierendes für ihn hatte, kann man nicht produzieren, nicht einfach herstellen, nicht durch eine Willensentscheidung herbeiführen.

Und deswegen würde ich auf die Frage, ob wir denn auch Christen sind, wenn es doch welche gibt, die es viel eindringlicher und vorbildlicher sind als wir, immer antworten: Ja. Ja, wir sind es auch, aber wir haben noch nicht das Geschenk erfahren, was es bedeutet, sich ganz auf diesen Jesus einzulassen, wir haben es noch nicht gewagt, ihm mehr zu vertrauen als unseren eigenen Kenntnissen und Vorstellungen, wir sind noch nicht leer genug, dass er uns füllen könnte.

Wir haben noch nicht aufgegeben, unser Leben nach unseren Zielen zu führen, wir haben verlernt, in den Tag hineinzuleben, ungeplant, unverplant, von der Hand in den Mund, ohne Ziel. Wir sind nicht mehr die Kinder Gottes, die sich seiner Führung anvertrauen, sondern Erwachsene Gottes, der bitte nach unserer Führung handeln möge.

Leer werden heißt frei werden. Sich binden heißt ungebunden sein- dann kann Jesus seine Wunder wirken- auch an uns. Bis dahin hilft es auf die zu schauen, die genau das schon geschafft haben. Menschen, Heilige, die uns nicht einschüchtern wollen, sondern Mut machen wollen, es auch zu versuchen. Denn offenbar kann es gelingen!

Heiliger Charles de Foucould, bitte für uns!