22. Mai 22, 6. Sonntag d. Osterzeit

Frieden ist ein viel gefragtes Wort in diesen Tagen. Es werden Friedensgebete gehalten, Friedensmärsche oder Friedenskonzerte veranstaltet und alle hoffen auf Friedensverhandlungen, je eher desto besser. Die Sehnsucht nach Frieden war lange schon nicht mehr größer als in diesen Wochen. Nachvollziehbar. Wir wollen Frieden in und für die Ukraine, wir wollen, dass Putin endlich Ruhe gibt, wir wollen wieder ohne sorge vor Krieg leben- ja, wir wollen unseren Frieden haben. Und natürlich wenden wir uns in unserer Sehnsucht nach Frieden auch an Gott. In keiner Fürbitte darf die Bitte um Frieden für die Ukraine fehlen. Und so hoffen wir und hoffen und hoffen.

 

Aber aufmerksame Mitbeter werden schon bemerkt haben, dass diese Art von Fürbitten weniger geworden sind, nicht in jedem Gottesdienst geht es mehr um den Frieden in der Welt und nicht jedes gebet endet mit Gedanken, die sich um diesen Themenkreis bilden.

 

Das hat natürlich mit etwas Furchtbarem zu tun, was wir aber alle gut kennen: der Gewöhnungseffekt. Nach einer gewissen Zeit können wir Dinge nicht mehr hören, wir brauchen neues und selbst das Schlimmste und Fürchterlichste muss mit Neuem ersetzt werden. Ein Effekt, dem sich der ukrainische Präsident offenbar sehr bewusst ist und dem er sich mit bewundernswertem Elan entgegenstemmt. Nichts könnte den Russen besser passen als wenn wir uns bald wieder anderen Dingen zuwenden würden, unserem Bedürfnis nach Ablenkung von den schrecklichen Bildern nachgäben und Putin im Schatten der Weltöffentlichkeit seinen finsteren Plänen nachgehen könnte.

Diesen Gefallen sollten wir ihm nicht tun.

Das aber nur am Rande

 

Dem Frieden also sollte unsere größte Aufmerksamkeit gewidmet sein. Und wie passend, dass im heutigen Evangelium endlich vom Frieden die Rede ist:  Frieden hinterlasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch; so hieß es da. Endlich. Die christliche Hoffnung auf Frieden bekommt neue Nahrung. Frieden hinterlasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch; wenn dem so ist, sollten wir also doch weiterbitten um Frieden.

 

Schließlich hat Jesus ihn uns in diesem Satz versprochen, ja, er hat ihn sogar unaufgefordert gesagt. Ich hinterlasse euch Frieden, ich gebe euch meinen Frieden. Der aufmerksame Zuhörer sollte aber hier schon nachdenklich werden, denn Jesus sagt ja, MEINEN frieden gebe ich euch. Und das wird im nächsten Satz noch konkretisiert: nicht, wie die Welt ihn gibt, gebe ich ihn euch.

Aha, nicht wie die Welt ihn gibt, sondern, so muss man es dann wohl ergänzen, sondern wie ich ihn gebe.

Offenbar ein erheblicher Unterschied. Wir wünschten uns zwar einen Gott, der eingreift, einer, der mit Feuer und Blitz die Ungerechten zerstört und den Benachteiligten zur Hilfe eilt. Aber das ist nicht der Gott Jesu Christi. Und diese Vorstellung von Gott war und ist immer Illusion gewesen. Sicherlich haben manche einen unerwarteten Sieg als ein Wunder empfunden, zumal wenn sie zuvor drum gebetet hatten, Priester ihre Waffen gesegnet hatten und sie zudem noch glaubten einer gerechten Sache zu folgen. Aber dem stehen viel zu viele Niederlagen derer entgegen, die ebenfalls gebetet haben, intensiv gebetet haben, sich sicher waren, selbst im Auge der Geschichte den Sieg verdient hätten, dennoch aber unbarmherzig vom Feind vernichtet wurden, ohne dass Gott eingriff.

Wir müssen konstatieren, dass gewünschte oder von Gott erbetene Siege Illusion sind und bleiben. Über Sieg oder Niederlage entscheidet nicht ein Gott, der als Schiedsrichter über den Wolken sitzt und die Würfel fallen lässt, sondern einzig und allein der Mensch. So sieht es nach allen Erfahrungen menschlicher Geschichte aus und so wird es allem Anschein nach auch sein. Gott macht nicht Frieden, Gott beendet keinen Krieg, wir sind es. Und dennoch stimme ich diesem Satz nicht völlig zu.

Und das hat mit diesem Zitat zu tun, das ich eben schon einmal aus dem heutigen Evangelium vorgelesen habe. Frieden hinterlasse ich euch,
meinen Frieden gebe ich euch; nicht, wie die Welt ihn gibt, gebe ich ihn euch.
Es geht also um einen Frieden nicht wie ihn die Welt gibt; ein Frieden wie ihn die Welt gibt, wäre ein Frieden, der nach Verhandlungen, nach zähem Ringen gefunden wird, ein Frieden, der durch Verträge stabilisiert wird oder durch Waffengleichheit oder durch starke Bündnisse wie die NATO, die andere so abschrecken können, dass sie es nicht wagen, einen Angriff zu starten. Das ist der Friede, wie ihn die Welt gibt. Sein Friede ist ein anderer.

Ich glaube, dass die Unterscheidung zwischen innerem und äußeren Frieden den Unterschied gut beschreibt. Jesus spricht von einem inneren Frieden, den er dem gibt, der sich ihm anschließt, sich ihm öffnet, sich auf die Verbindung mit ihm einlässt. Er setzt dort an, wo Frieden wirklich geschaffen werden kann- im Menschen, IM Menschen. Ein Mensch, der innerlich stabil ist, der mit seinen Verletzungen umgehen kann, der Heilung gefunden hat von dem, was ihn im Leben krank gemacht hat, benötigt nicht Macht, braucht keine Eroberungskriege, um Anerkennung zu gewinnen, kann auf die Beherrschung anderer verzichten, weil er aus etwas anderem lebt. Wer sich mit innerer Überzeugung auf die Lebensprinzipien Jesu, Barmherzigkeit, Liebe , Gerechtigkeit und Leben einlässt, aus der Beziehung zu seinem Ursprung, den er Vater nennt, sein Leben gestaltet, der findet zu Frieden. Und wer diesen Frieden gefunden hat und auf jemanden trifft, der aus dem gleichen Grundprinzip lebt, wird mit diesem keinen Krieg führen, sondern Frieden halten. Diesem wird es nicht um die Beherrschung des anderen gehen, sondern um die Beherrschung des Selbst.

Und bevor jemand einwirft, dass auch und viel zu oft gerade religiöse Menschen Krieg miteinander geführt haben, dem kann ich nur zurufen, verwechseln Sie nie religiöse Menschen mit Menschen, die in ihrem Globen Frieden mit sich und der Welt gefunden haben. Von den letzteren spreche ich. DIESE sind es, die Frieden haben und Frieden stiften.

 

Und diesen spricht Jesus denn auch noch seinen Trost zu: Euer Herz beunruhige sich nicht und verzage nicht. So heißt es gleich nach dem anderen zitierten Satz. Jesus weiß also, dass auch für den gläubigen Menschen gilt, dass er angesichts der Welt beunruhigt und verzagt sein kann und wird. Aber das braucht ihr nicht zu sein. Das ist seine Aufforderung.

Die Welt ist wie sie ist. Sie war immer so und wird sich in ihren fundamentalen Umständen und Grundsätzen auch nicht ändern. Sie ist so angelegt, so gemacht. Wir sind in sie hineingesetzt, um unser Leben zu leben, aus Gott kommend und wieder zu ihm zurückkehrend. Und aus dieser Gewissheit heraus konnte Jesus sein Leben leben wie er es tat. Und aus dieser Gewissheit heraus bittet er auch uns, unser Leben zu führen. Ihr seid mit mir verbunden, über mich mit dem Vater, dem Ursprung und Ziel allen Lebens und durch diese Verbundenheit lebt ihr, über den Tag Eures Todes hinaus. Der Tod hat seine Macht verloren, so singen und bekennen wir an Ostern. Aus der Angst vor dem Tod werden Kriege geführt, aus der Angst vor dem Vergessen, aus der Angst vor dem eigenen Untergang heraus. Euer Herz beunruhige sich nicht und verzage nicht. In mir, so ist die Verheißung Jesu zu verstehen, findet Ihr Frieden, damit stabilisiert Ihr Euch selbst – und wenn Ihr es schafft ändere mit dieser Art von Frieden anzustecken, dann kann sich Frieden, der auch ein äußerer Friede ist, ausbreiten. Aber gebt Euch keiner Illusion hin. Zum vollkommenen Frieden wird das nie führen, nicht hier, nicht in dieser Welt, nicht in diesem Leben. So ist diese Welt nicht angelegt.

Christlicher Auftrag in einer unfriedlichen Welt bleibt es, vom Frieden zu sprechen und diesen Frieden zu leben, den diese Welt nicht geben kann- eben, weil sie so ist wie sie ist. Und mit diesem Zeugnis darauf hinzuweisen, dass wir als Geschöpfe Gottes aus seinem Frieden kommen und wieder in seinen Frieden gehen werden. Diese Gewissheit macht das Leben lebbarer und auch friedlicher, weil es bei dem, der das glauben kann, zu innerem Frieden führt.

Jedes Gebet um Frieden ist deswegen vor allem ein Gebet um DIESEN Frieden, weil er es uns erst ermöglicht, auch äußeren Frieden zu schaffen, nie auf ewig, nie für immer, weil die Akteure naturgemäß immer wieder wechseln und alles wieder von vorne beginnt. Aber noch einmal. Euer Herz beunruhige sich nicht und verzage nicht- denn seid gewiss, ich bin bei Euch bis ans Ende der Tage, bis an den Tag an dem diese Welt endet, ihre Gesetzmäßigkeiten, ihr Auf und Ab, bis an dem Tag, an dem Ihr alle Frieden gefunden habt.