Ostern, 31. März

Die Älteren und die ganz Alten erinnern sich sicherlich noch an die Zeit, in der die Kirche in unseren Breiten noch von mächtiger Bedeutung war. Zeiten, in denen die Moral von den Vorgaben des Katechismus bestimmt waren, das 6. Gebot zu schlechtem Gewissen und zur ausführlichen Betrachtung in der regelmäßigen Beichte führte;

Zeiten, in denen Hirtenbriefe zur Bundestagswahl völlig normal waren und es keinen Zweifel gab, welche Partei da für einen guten Christen zu wählen war- die mit dem C natürlich;

Zeiten, in denen kaum jemand auf die Idee gekommen wäre, Aschermittwoch oder am Karfreitag, Fleisch anzurühren oder gar zu einer Tanzveranstaltung zu gehen;

Zeiten, in denen der Pfarrer noch eine nicht zu hinterfragende Institution im Dorf- oder auch im Stadtleben war;

Zeiten, in denen jemand, der in ein Formular nicht rk für römisch-katholisch oder wenigstens evgl. für evangelisch, sondern o.B. für ohne Bekenntnis eintrug, schräg angeschaut wurde;

 

Lange ist das her- und manch einer mag das vermissen. Andere werden froh sein, dass der Zugriff der Kirche auf das eigene, persönliche Leben vorüber ist.

 

Ob vermissen oder begrüßen- es wird auf absehbare Zeit im größeren Teil Europas nicht mehr so sein. Die Realität ist heute eine andere.

Die Kirche wird nicht mehr durch mächtige, im Zentrum einer Stadt stehende Kathedralen symbolisiert, sondern eher durch in Seitenstraßen oder wie unsere kleine Kirche hier hinter Hausfassaden verborgenen Gebäuden vertreten.

Wer schon einmal die St. Patrick’s Cathedral in New York gesehen hat, wie das eigentlich mächtige Gebäude im Meer der Hochhäuser verschwindet oder die Chapel im Herzen des EU-Viertels vor Augen hat, der hat ein realistisches Bild von der schrumpfenden Bedeutung der Kirche in unseren Breiten vor Augen.

 

Mir fallen zur Kirche nicht mehr in erster Linie Osterlieder wie „Erschalle laut Triumphgesang“, sondern eher „Das Weizenkorn muss sterben“ ein.

Und bevor sich bei dem ein oder anderen nun gleich empörter Widerstand meldet, will ich Ihnen sagen, dass ich das nicht schlimm finde, sondern darin Chancen sehe.

Das Weizenkorn muss sterben, sonst bleibt es ja allein, der eine lebt vom andern, für sich kann keiner sein- Geheimnis des Glaubens, im Tod ist das Leben

Geht es noch österlicher?

Im Tod ist das Leben!

 

Selbstverständlich wünschte ich mir, dass wir mit diesem Satz „Im Tod ist das Leben“ möglichst viele erreichen könnten, schließlich bin ich zutiefst davon überzeugt, dass die hinter dieser Aussage stehende Botschaft für viele stärkend und Mut machend sein könnte. Und dafür war es einfacher als wir noch wahrnehmbarer waren.

Und doch hat ihr die geistliche Macht, die die Kirche vor einigen Jahrzehnten noch hatte, oft selbst im Weg gestanden; sie war verführt im Machtspiel der Großen mitzumachen; viel zu oft saß sie mit denen im selben Boot, die nicht die Armen und Vernachlässigten im Blick hatten, sondern den eigenen Vorteil.

 

 

 

Wer nicht mehr zu viele Bündnispartner hat, muss auch nicht mehr auf eben diese Bündnispartner Rücksicht nehmen. Am Ende verspricht der Bedeutungsverlust auch einen Gewinn, nämlich den an Freiheit.

Wer selber auf goldenen Thronen sitzt tut sich schwer damit, glaubhaft die Botschaft vom armen Wanderprediger zu vermitteln.

Wer mit Präsidenten und Königen an einem Tisch sitzt, ist eher geneigt, diesen nach dem Mund zu reden als ihnen unter dem Tisch einmal kräftig vor das Schienbein zu treten.

 

Befreit von den Verstrickungen der Macht, fällt es viel leichter, wieder auf den Kern zu schauen und vor allem diesen Kern zu leben und auszustrahlen.

 

Wie schwer muss es Leidenden und Benachteiligten gewesen sein im Prunk der Kirchenleute den fast nackten, sterbenden Jesus am Kreuz zu erkennen?

Die Kirche wirkte oft so als wäre sie schon das Leben in Fülle, als wäre sie schon prunkvoll, auferstanden und strahlend im Himmel, während viele ihrer Anhänger leider noch im Fegefeuer des alltäglichen Lebens und manche gar noch in der Hölle des Kampfes ums ÜBERleben steckten.

 

Nein, unser Schrumpfprozess mag wehtun, aber er löst auch die Frage aus, ob wir über das Richtige trauern.

Vermissen wir nur die Zeit, in der wir zur Mehrheit gehörten?

In der wir nicht hinterfragt wurden?

In der unsere Traditionen und Wertvorstellungen ohne Anfechtungen Leitkultur waren?

Es wäre verständlich, aber wir übersähen dabei die Gefahren, die darin bestehen, das Wesentliche der Botschaft Jesu Christi zu verwässern oder ihr sogar im Wege zu stehen.

 

Der Kern der Botschaft Jesu Christi dreht sich von Anfang bis zum Ende um das Einstehen für die Machtlosen und um die Überwindung des Todes und aller seiner Schattierungen, die sich in den Benachteiligten und Armen finden. Für viele begann der Tod und beginnt der Tod schon im Leben. Auf deren Seite stand Jesus von Nazareth und auf deren Seite steht heute der auferstandene Jesus Christus.

Sein irdisches Leben begann in einer Krippe im armen Stall von Bethlehem und endete am Galgen des Kreuzes in Jerusalem.  Ohnmächtig von Anfang bis zum Ende.

Am Anfang auf die Hilfe eines mitleidigen Bewohners angewiesen, der Maria und Josef einen Stall für die Niederkunft anbot bis zum Ende, wo nur noch Maria und Johannes weinend unter dem Kreuz standen und auf sein Ende warten mussten.

 

Sein Leben hatte nie etwas von Triumph, selbst der eigentlich starke Einzug nach Jerusalem fand nicht auf einem Schlachtross in voller Montur eines Siegers statt, sondern auf dem Rücken eines Esels- und er dauert nicht lange, sondern endete bekanntlich ein paar Tage später auf Golgotha.

Es gibt nicht den geringsten Hinweis darauf, in keinem der vier Evangelien, dass Jesus jemals auf der Seite der Mächtigen gestanden hätte, niemals. Immer war er bei den Benachteiligten, Kranken, Armen und Hoffnungslosen.

 

 

Nur einmal sehen wir ihn anders: Drei Tage nach seinem Tod. Da ist er plötzlich der Mächtige, derjenige, der dem stärksten Feind des Lebens, dem Tod, die Stirn geboten hat.

 

Und das feiern wir heute und nennen es Ostern.

 

Deswegen gehören zu diesem Fest alle Symbole des Lebens. Das Licht, das wir im Feuer entzündet haben, das Wasser, mit den wir uns nachher bekreuzigen werden und auch die Eier, die wir uns schenken werden. Alles Zeichen für das Leben.

Ab Ostern ist klar, dass der Weg Jesu in den Augen Gottes der richtige Weg ist, SEIN Weg ist. Die Auferweckung Jesu durch Gott ist die Besiegelung des Lebens Jesu, sozusagen das Diplom, das Gott Jesus überreicht.

 

Wir feiern mit dem heutigen Fest nicht nur die Überwindung des Todes NACH dem Leben, sondern auch den Einsatz für die Überwindung der vielen Spuren des Leides und des Todes IM Leben. Christen leben nicht für das Leben nach dem Tod, sondern aus der Hoffnung auf das Leben nach dem Tod.

Hier und jetzt zeigt sich, woran wir glauben, wofür wir einstehen, zeigt sich, ob wir Jünger Jesu sind.

 

Dazu dürfen wir heute dieses Fest in vollen Zügen genießen und uns erfüllen lassen, auftanken, geistlich, geistig und auch körperlich. Dann aber gilt es wieder rauszugehen, zu zeigen, wem wir nachfolgen- dann muss der Kirche, dann muss uns nicht bang sein vor der Macht- oder gar Bedeutungslosigkeit.

 

Denn: Das Weizenkorn muss sterben, sonst bleibt es ja allein. Der eine lebt vom andern, für sich kann keiner sein- Geheimnis des Glaubens, im Tod ist das Leben