Karfreitag, 29. März

Karfreitag und Karsamstag sind die einzigen Tage im Kirchenjahr, an denen keine Messe gefeiert werden darf. Der Altar bleibt ungenutzt, der Tabernakel ist leer. Jesus ist abwesend, Jesus ist gestorben, Jesus ist im Tod.

Traditionellerweise wird damit etwas ausgedrückt, was heute nahezu vergessen ist, ja es war die Antwort auf eine Frage, die uns heute sogar lächerlich erscheint:

Wo war Jesus eigentlich zwischen seinem Tod am Kreuz und seiner Auferstehung am dritten Tag?

„Im Grab“ könnte die einfache Antwort sein.

Im Glaubensbekenntnis heißt es aber nicht: „gelitten unter Pontius Pilatus, gekreuzigt, gestorben und begraben, hinabgestiegen in das Grab“, sondern „gekreuzigt, gestorben und begraben, hinabgestiegen in das Reich des Todes“….in das Reich des Todes.

Jesus war also im Reich des Todes.

Haben Sie sich schon einmal gefragt, was das eigentlich heißen soll? Es ist ja ein Zusatz. Erst bekennen wir im Credo, dass er gestorben ist, dann, dass er begraben wurde und dann, dass er auch noch in das Reich des Todes hinabgestiegen ist. Das ist etwas aktives, genauso wie man hinaufsteigen kann, so kann man auch  hinabsteigen, in diesem Falle in das Reich des Todes.

An den Anfängen der Kirche haben  sich Leute tatsächlich gefragt, wo denn Jesus nun war.

Was mit seinem Leib geschehen war, war klar- der lag im Grab, aber seine Seele?

Von jedem gewöhnlich Sterblichen würde die Kirche lehren, dass die Seele gleich zu Gott geht, um dort gerichtet zu werden, aber von Jesus sagt sie das nicht, der wurde erstens nicht gerichtet, zweitens war er in einer Art Wartezustand, um dann drittens bald wiederaufzuerstehen.

Ob es mehr als ein Wartezustand war, so hat man sich damals wohl gefragt und ist zu der Antwort gekommen, ja, das war es.

Er ist in das Reich des Todes hinabgestiegen, so hat man das formuliert.

Das Reich des Todes- Hölle? Fegefeuer? Ein ominöser Ort, wo sich die Verstorbenen aufhalten, um dort, wie in einem Wartezimmer auf ihre wahlweise Auferstehung  in den Himmel oder auf die Verurteilung zur ewigen Verdammnis in der Hölle auszuharren?

Für uns wohl eher eine skurrile Vorstellung. Tot ist tot, so ist das bei uns- was soll ich mir denn noch Gedanken darüber machen, wo sich nach dem Tod wer aufhält. So denken wir.

Dabei ist das wohl eher ein Ausweis unseres Schreckens über den Tod. Damit wollen wir, bis es einen irgendwann selbst erwischt, nicht konfrontiert werden. Bringt ja eh nichts, was habe ich davon? Typische Fragen unserer westlichen Lebensart.

Mit dem Tod beschäftigen? Oh je, besser nicht. Mit dem Sterben schon, wie in den letzten Jahren die Diskussion in Deutschland und anderen Ländern um die aktive Sterbehilfe wieder zeigt. Wir wollen –nachvollziehbar- möglichst ohne Qualen sterben. Aber dann ist es auch gut. Das reicht an Auseinandersetzung mit dem Tod.

 

Dabei verkennen wir, dass der Tod, das Ausgelöscht-Werden, das ewige Nichts, eine der Urängste des Menschen ist. Bloß nicht vergessen werden, ein bisschen berühmt werden, ein wenig herausstechen aus der Masse der Gesichtslosen- das ist das Motto nicht nur unserer Tage, aber besonders unserer Tage. Vor dem Tod ist alles, danach ist nichts.  Die Urangst vor dem Tod in der Zukunft gebiert die verrücktesten Formen des Lebens in der Gegenwart. Das heutige moderne Heischen nach Aufmerksamkeit ist nur auf dem Hintergrund dieser Urangst zu verstehen: Der Mensch möchte wenigstens ein PAAR Spuren hinterlassen. „Bitte vergesst mich nicht“, schreit es aus jeder Pore.

 

Sich auf dem Hintergrund damit zu beschäftigen, wo Jesus zwischen seinem Tod und seiner Auferstehung war? „Mit so was können sich auch nur Christen beschäftigen- die haben in ihrem langweiligen Leben eh nichts Besseres zu tun“.

Tun wir es trotzdem einmal.

Jesus ist also hinabgestiegen, hinabgestiegen in das Reich des Todes. Das war damals ein ziemlich revolutionärer Gedanken. Das Christentum  kommt ja bekanntlich aus der Gedanken- und Glaubenswelt des Judentums. Und da  hat es  Jahrhunderte gedauert, bis dieser jüdische Glauben zu der Auffassung kam, dass mit dem Tod nicht alles aus war. Zunächst war man der Überzeugung, dass die Verstorbenen in eine Schattenwelt, eine Art Halbwelt gingen, eine Welt jedenfalls, in der man nicht richtig weiter existierte, sondern nur noch ein Schatten seiner selbst war. Erst kurz vor der Zeit Jesu kamen umstrittene Strömungen  innerhalb des Judentums auf, die an ein wirkliches Leben nach dem Tod glaubten, ein Leben bei Gott, wirkliches Leben, nicht ein Hinvegetieren in irgendeiner Schattenwelt.

Für die ersten Christen war klar, dass Jesus nicht nur für die zu seiner Zeit Lebenden der Erlöser war, sondern für alle, die jemals gelebt hatten. Gott hatte sich so klein gemacht, dass er Mensch wurde und in Christus hatte  Gott sich so klein gemacht, dass er sogar zu den Toten ging, selbst diese sollten erlöst sein.

„Hinabgestiegen in das Reich des Todes“ hieß und heißt, dass Jesus Leben, seine Verkündigung, seine Frohe Botschaft für alle gilt, für Lebende UND Tote. Es gibt keine Grenze  zwischen den beiden Welten; Christus hat sie überwunden, sie ist aufgehoben.

Gott umfasst alles, der Allmächtige, der Ewige umfängt das Reich der Lebenden UND der Toten. Es gibt keinen gottfreien Raum, keinen Ort, in dem Gott nicht wäre.

„Was aber ist denn mit der Hölle?“ werden einige fragen. „Das haben wir doch gelernt, es gibt doch die Hölle- da ist doch der Teufel und sicherlich nicht Gott.“

Ja, was ist mit der Hölle? Nach christlicher Vorstellung der Ort, an dem Gott wirklich nicht ist, ein Ort frei von Gott, frei von Erlösung, ohne jede Hoffnung, ohne Erbarmen, ohne Liebe, nichts, gar nichts existiert dort.

Gar nichts existiert dort. Wenn dort aber gar nichts existiert, dann ist er leer, die Hölle ist leer.

Die Hölle existiert in der Theorie, sie ist die Möglichkeit, Gott abzulehnen, nichts und nie etwas mit ihm zu tun  haben zu wollen. Die Hölle ist das Zugeständnis an die Freiheit des Menschen, Gott ablehnen zu können. Der Mensch- und viele tun das bekanntlich ja auch, kann die Existenz Gottes leugnen; oder wenn er ihn nicht leugnet, kann er ihn ablehnen. Er kann sagen, dass er Gott nicht will, ihn schrecklich findet, nicht von ihm abhängen will, all das kann er sagen- zumindest während des Lebens. Aber auch nach dem Tod? Theoretisch ja. Auch wenn der Mensch im Moment des Todes Gott gegenüber steht, kann er immer noch seine Ablehnung ausdrücken. Gott, mit Dir will ich nichts zu tun haben.

Aber praktisch? Geht das auch praktisch?

Christen dürfen glauben, dass Gottes Gegenwart im Moment des Todes so überwältigend großartig ist, dass seine Liebe so ansteckend, so faszinierend, so unglaublich ist, dass jeder Mensch seinen Widerstand, seine Ablehnung aufgibt. Die Strahlkraft der Liebe ist so groß, dass jeder Hass dahinschmilzt.

Wir dürfen uns vorstellen, dass mir in der Begegnung mit der ewigen Liebe, mein Leben wie in einem Film noch einmal ganz bewusst wird, ich mich an jedes gute und schlechte Detail erinnern kann und ich mich damit selbst richte. Im Angesicht der Liebe wird mir klar, wie ich wirklich war. Im Angesicht der Liebe brauche ich nichts von all meinem Elend, meinen Fehlern, meinen Sünden verstecken, es liegt alles offen da. Und diese Begegnung mit meinen eigenen Unzulänglichkeiten wird mir in diesem Moment zur Hölle, die Erkenntnis über mich selbst wird mich so erschrecken, dass es höllisch weh tut.

Gottes Liebe aber, der ich da begegne, lässt das hinwegschmelzen, wie im Hochofen trennt sich die Schlacke meines Lebens von mir, wird verbrannt von der Liebe Gottes, fegt wie in einem Feuer alles  hinweg, Fegefeuer nennen wir das.

Und wenn ich dann, angesichts dieser befreienden Liebe immer noch sagen sollte, dass ich Gott, dass ich diese befreiende Liebe nicht will, diese ablehne, dann bin ich in der Hölle, der Ort eben, an dem ich ewig mit meiner Schlacke, meinen Fehlern, meinen Sünden, gottlos leben werde.

Man darf annehmen, dass das niemand tut- die Hölle ist leer, weil niemand echter, unendlicher Liebe widerstehen kann.

„Hinabgestiegen in das Reich des Todes“- Christus hat die Liebe Gottes überall hingetragen, auch in das Reich des Todes, Gottes Liebe ist eben grenzenlos.

 

Wir werden gleich das Kreuz verehren, eine Blume dort niederlegen. Und natürlich verehren wir nicht diesen Gegenstand, sondern dass uns im Leben und im Tod Jesu Christi klar werden konnte, was und wie Gott ist: grenzenlose Liebe, die vor nichts halt macht, der jedes Mittel recht ist, den Menschen von dieser Liebe zu überzeugen; so groß, dass sie sogar vom Himmel herabsteigt zu den Menschen, zu den Lebendigen UND den Toten.