Gründonnerstag, 28. März
Predigt Gründonnerstag
Seit inzwischen zwölf Jahren reise ich ja nun schon mehrmals im Jahr nach Saudi-Arabien, um dort mit den ortsansässigen dt.sprachigen Christen Gottesdienst zu feiern.
Nun im März war ich zum ersten Mal während des Ramadans dort.
Dieser begann am 10.3. und wird noch bis zum 9.4. andauern.
Ein Monat des Fastens- obwohl, wenn man genauer hinschaut ist es eher ein Monat, an dem der Tag zur Nacht und die Nacht zum Tag gemacht wird.
Während die wenigen nichtmuslimischen Gäste sich über das in einem abseitig gelegenen Teil des Hotels über das große Frühstücksbüffet hermachen konnten, verfiel der Rest des Hotels in den Dornröschenschlaf.
Und wenn abends die Sonne untergegangen war, der Nichtmuslim sich mit einem leichten Abendessen auf die Nacht vorbereitete, wurden für alle anderen die Tische gedeckt bis sie sich bogen, auf den Straßen begann das Leben und bis weit nach Mitternacht saßen die Menschen überall zusammen.
Ich erzähle das heute hier, weil mir eines an diesem Erlebnis noch nachgeht: Das Gefühl von Gemeinschaft, das ich auf doppelte Weise verspürte: zum einen merkte ich deutlich nicht dazuzugehören. Nicht, weil man mich aussperrte, sondern einfach, weil ich den Rhythmus des Fastens und Essens nicht übernahm. Ich war einfach nicht Teil dieses gemeinsamen Geschehens.
Zum anderen merkte ich wie verbindend der Ramadan für die Menschen war. Ich vermute zwar, dass- wenn ich tiefer schauen würde- es genügend Menschen gibt, die sich dem entziehen möchten, aber der gesellschaftliche Druck ist so groß, so dass man das einfach mitmacht.
Und wenn es wegen des gesundheitlichen Aspektes ist, wie mir ein junger Mann freimütig bekannte.
Es täte ihm gesundheitlich einfach gut, einmal im Jahr für einen Monat von Sonnenaufgang bis -untergang nichts zu sich zu nehmen. Intervallfasten würden wir das wohl nennen und ist unter diesem Namen bei uns sehr modern.
Jedenfalls konnte ich mich diesem Alle verbindendem Gefühl nicht entziehen. Ein ganzes Land, eine ganze Gesellschaft lebt für einen Monat im selben Rhythmus. Ein Gefühl, das ich von unseren Gesellschaften in dieser Form nicht mehr kannte- allenfalls noch von dem was man in Deutschland das Sommermärchen nennt, das Feiern der Fußballfans bei der Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland, wo sich Wildfremde in den Armen lagen und beim Public viewing Millionen miteinander verbanden.
Dass Sie mich richtig verstehen: Ich bin dankbar und froh darüber, dass sich in unseren Gesellschaften der Einzelne sein Leben so gestalten kann, wie er es möchte.
Es gibt natürlich auch hier gesellschaftliche Zwänge, Vorgaben und Moden, aber man kann auch darauf pfeifen. Völlig egal. Solange ich keine Gesetze übertrete, kann ich tun und lassen, was ich will.
Darüber ist aber etwas in den Hintergrund getreten, was für uns Menschen von großer Bedeutung ist: Gemeinschaft. Wir haben inzwischen unsere Gesellschaften so atomisiert, dass wir Gefahr laufen, kaum noch etwas wirklich Verbindendes vorzufinden- bis auf Konsum vielleicht und dem Wunsch, – ja eben- individuell zu sein.
Selbst bei den wichtigsten Themen tauchen zwar immer mal wieder gemeinschaftliche Elemente auf: So gingen für eine Zeit viele junge Leute bei Fridays for Future mit.
Dann gab es unter der Teilnahme von Hunderttausenden in vielen Städten Deutschlands Demonstrationen für die Demokratie.
Auch die Bauern haben lautstark, auch hier in unserer Stadt vorgestern noch, auf ihre Anliegen aufmerksam gemacht und damit zeitweise Gemeinschaft gezeigt.
Wir wissen, dass Gemeinschaft uns stark machen kann, uns, den Einzelnen über sich hinauswachsen lassen kann. Und dennoch zerbricht Gemeinschaft schnell wieder, wenn der Einzelne sein Interesse verliert oder diese nicht mehr seinen Interessen dient.
Zu einer Gesellschaft jedenfalls, in der Ereignisse und Traditionen so synchronisiert sind, dass man das Gefühl hat, zu einem Großen Ganzen zu gehören, werden im Gewand einer westlichen Demokratie jedenfalls auf absehbare Zeit nicht wiederkommen. Und wegen der vielen Nachteile, die dieses Modell eben auch hat, in dem sich viele mehr unfreiwillig als freiwillig unterordnen müssen, ist es vermutlich auch gut so. Und dennoch: Für das Zusammenleben von Menschengruppen ist neben dem Wunsch, sich persönlich entfalten zu können eben auch das Verbindende notwendig. So bilden sich in jeder Gesellschaft Untergruppen, die in sich geschlossen sind und dem Einzelnen das Gefühl geben, dazuzugehören. Im Idealfall sind einzelne der Gruppen so attraktiv, dass sie wachsen und für immer mehr Menschen Heimat werden.
Die Kirchen werden das wohl im Moment nicht sein, aber das muss ja nicht so bleiben.
Ich bin jedenfalls davon überzeugt, dass wir nach wie vor einen Schatz verwalten, den es für viele neu zu entdecken gilt- und das gilt auch für das Thema „verbindende Gemeinschaft“.
Der Gründonnerstag bietet dafür einen großartigen Anschauungsunterricht.
Hier werden die Grundlagen christlichen Zusammenseins ausgeführt, indem zwei Säulen, die eine Gruppe ausmachen, beschrieben werden: Die Regeln des Umgangs innerhalb der Gruppe und der Ursprung, die Basis der Gruppe.
Die Fußwaschung beschreibt die grundsätzliche Regel. Die Hierarchie ist bei Euch herumgedreht. Der Herr wäscht die Füße des Knechtes- oder vielmehr: Herr und Knecht sind nicht mehr Herr und Knecht, sondern Bruder und Bruder, Herrin und Magd werden Schwester und Schwester.
Diese Stelle der Fußwaschung findet sich ja nur bei Johannes. Die anderen Evangelien wissen nichts davon oder erwähnen es nicht. Bei Johannes ist es der Startpunkt zu den sogenannten Abschiedsreden, in denen Jesus das Verhältnis der Menschen zu ihm und zu seinem Vater, zu Gott, also beschreibt. „Ich nenne Euch nicht mehr Knechte, sondern Freunde“ ist da sein Kernwort. Und auch das Bild vom Weinstock findet sich dort, in dem alle miteinander verbunden sind, ebenso wie der Satz, dass seine Anhänger sich lieben sollen, wie er sie geliebt hat und so wie er mit dem Vater verbunden ist, sollen wir es untereinander auch sein.
Dies ist die Grundlage unserer Gemeinschaft: Der radikale Umsturz der gewöhnlichen Hierarchie. Nicht Rang und Namen, Titel und ererbte oder erworbene Stellung zählen, sondern ausschließlich der gemeinsame Ursprung in Gott, der uns alle zu Brüdern und Schwestern macht, zu Freunden und nicht zu Knechten Jesu.
Dass die Realität bei uns eine andere ist, wissen wir. Die Kirche ist eine der hierarchischsten Organisationen der Welt- mit den entsprechenden Nebenwirkungen. Trotz oder gerade deswegen fällt einem aber immer wieder dieser revolutionäre Wahnsinn Jesu auf, der aus diesen Zeilen und aus der Fußwaschung spricht. Gegen alle Gewohnheiten, gegen eines der menschlichsten Bedürfnisse nach Hackordnung setzt Jesus das Gegenbild der Gleichheit aller.
Dass man das nicht verordnen kann, haben die Versuche des Sozialismus und Kommunismus im vergangenen Jahrhundert gezeigt. Lenin wollte die entsetzlichen Verhältnisse des russischen Feudalstaates verändern und war der Auffassung, dass man der Durchsetzung des Gleichheitsprinzips schon einmal mit Gewalt nachhelfen musste. Die grauenvollen Exzesse dieser Grenzüberschreitung haben Millionen das Leben gekostet.
Ohne Frage hätte man Ende des 19. Jahrhunderts als Christ mit dem 13.-15. Kapiteln des Johannesevangeliums die sozialen Verhältnisse in Russland, aber auch in vielen anderen Staaten der Welt kritisieren können und müssen. Die Wege mussten sich aber dort trennen, wo die einen die Gegner ins Lager oder an den Galgen bringen wollten, während die anderen, nämlich die Christen durch Jesus ermutigt, diesen die Füße waschen wollten, im anderen nicht den zu beseitigenden Feind sehen wollten, sondern den Bruder und die Schwester, das Abbild Gottes.
Wie kamen Christen nur auf diese sonderbare Idee? Und auch heute darf man das doch sicher wieder fragen, wo die Neigung des Menschen zur Gewalt so offen zu Tage tritt.
Wie kamen Christen auf die Idee?
Es war die Erfahrung des Abendmahls, des letzten Abendmahls. GottesDienst am Menschen. Gott macht sich in Jesus zum Diener der Menschen, Gottes Dienst am Menschen. Nicht weil das so lustig ist, nicht weil das eine besondere Pointe der Religionsgeschichte wäre, sondern, weil die Umkehrung des Verhältnisses Gott/Mensch durch Gewaltlosigkeit den Menschen selbst zur Umkehr bringen kann. Gott macht sich so klein, dass er uns dient. Er verteilt sich wie Brot und Wein unter den Menschen. Gott gibt sich uns zur Nahrung. Wir werden mit ihm eins. Und vereint mit ihm verändern wir die Welt nicht nach menschlichen Maßstäben, sondern nach Gottes Maßstäben.
DAS ist es, was wir heute feiern: Die Umkehrung der Verhältnisse, die dem möglich ist, der sich ganz auf Gott einlässt, ihn an sich heranlässt, ihn wortwörtlich sogar in sich aufnimmt.
Ja, die Idee ist eigentlich bizarr, aber eben auch faszinierend. Und in Jesus kann man sehen, wie sie sich auswirkt, wenn man sich ganz darauf einlässt.
Dafür muss nicht eine ganze Gesellschaft gemeinsam fasten. Im Wettbewerb der Ideen, wie und aus was eine Gemeinschaft leben kann und soll, erscheint mir die christliche als eine höchst attraktive. Wir müssten nur beginnen, sie umzusetzen.