14. April, 3. Sonntag der Osterzeit

Ich bin nicht sicher, ob ich viele weitere biblische Stellen finde, die mich in dunklen Stunden mehr anrühren und ansprechen als die eben gehörte oder gelesene.

Die gesamte Emmauserzählung ist ein zutiefst tröstliches Stück Evangelium, frohe Botschaft eben, aber darin ist der folgende Satz noch der tröstlichste: aber sie drängten ihn und sagten: Bleibe bei uns; denn es wird Abend, der Tag hat sich schon geneigt!
Da ging er mit hinein, um bei ihnen zu bleiben.

Es wird Abend werden, der Tag hat sich geneigt- und Jesus lässt sich überzeugen und bleibt bei ihnen.

 

In der gegenwärtigen Weltsituation mit so vielen ungeklärten Gegebenheiten, die einen manchmal ratlos über das was kommen wird zurücklassen, verspricht diese Stelle keine Lösung, aber sie hilft dann doch, auf ihre Weise.

Es ist oft genug gesagt worden, dass wir uns z.Zt. in einer Art Zeitenwende befinden- auf allen möglichen Ebenen: Politisch, militärisch, wirtschaftlich und in Bezug auf das Klima.

Bisher Verlässliches beginnt unverlässlich zu werden und Neues ist noch so konturlos, dass man nicht weiß, was da gerade beginnt.

Oder um es in der Sprache der heutigen Erzählung auszudrücken:

Es scheint als ob es Abend würde und sich etwas zum Ende neigt- und niemand so recht weiß, wie der neue Morgen aussieht.

 

Bleibe bei uns, denn es wird Abend werden und der Tag hat sich geneigt- und Jesus ging mit ihnen hinein und blieb bei ihnen.

Mich rührt dieser Satz immer zutiefst an, auf gleicher Ebene wie Psalm 23: Und wenn ich auch wanderte durchs Tal des Todesschattens, so fürchte ich kein Unglück, denn du bist bei mir; dein Stecken und dein Stab, sie trösten mich.

Urchristliche Botschaft, tiefer tröstlicher Zuspruch. Du bist nie allein, gerade dann nicht, wenn es dunkel und vermeintlich trostlos um Dich herum ist; sein Stecken und Stab trösten Dich.

 

Nun, zumindest die Emmausgeschichte ist ja mit dem eben zitierten Vers nicht zu Ende. Der eigentliche Höhepunkt kommt ja noch.

An der Stelle, an der die Jünger Jesus bitten, bei ihnen zu bleiben, wissen sie ja noch gar nicht, dass es Jesus ist. Bisher ist es nur der Unbekannte, der mit ihnen unterwegs war und mit dem sie sich über das Geschehen der vergangenen Tage in Jerusalem ausgetauscht hatten, über die Kreuzigung und darüber, dass einige behauptet hätten, dieser Jesu lebe, er sei auferstanden. Sie spüren lediglich eine tiefe Verbundenheit, sie spüren, dass das was sein könnte, dass mehr hinter diesem Fremden steckt, der da mit ihnen unterwegs war.

Bekanntlich erkennen sie ihn erst als er das tut, was er mit ihnen schon vor seinem Tod getan hat, mit ihnen das Brot zu teilen- wie bei seiner letzten Mahlzeit, bevor es zum Garten Gethsemane ging. Abendmahl halten.

 

Immer wieder, wie bei allen Berichten über die Auferstehung fragt man sich ja, warum die Jünger diesen Jesus zunächst nicht erkennen, ob nun Maria Magdalena im Garten beim Grab oder die traurigen Fischer am See oder eben nun hier die zwei, die nach Emmaus unterwegs waren. Sie haben so lange Zeit mit Jesus verbracht und erkennen ihn nicht?

Ich frage mal so: Sie, liebe Gläubige, haben schon so viel Zeit mit Gott verbracht-  und erkennen ihn nicht? So vieles von ihm gehört und glauben immer noch nicht an seine Gegenwart?

 

All diese Erzählungen nehmen doch unsere eigene Erfahrung der vermeintlichen Gottesferne auf.

Diese Stellen wollen eigentlich nur eines aufzeigen: Diese Gottesferne ist nur eingebildet. Ihr seht ihn nur nicht. Er geht neben Euch her, er begleitet Euren Lebensweg, nicht nur nach Emmaus, sondern überall hin, er ist da, an Eurer Seite, immer. Er redet mit Euch, ist offen für Eure Sorgen, er antwortet.

 

Die Jünger konnten ihm erzählen, wie traurig und besorgt sie über den Tod ihres Vorbildes waren.

Er hörte es, er sortierte es mit ihnen ein, er wich nicht von ihrer Seite und als sie ihn, als es dunkel wurde baten, bei ihnen zu bleiben, gab es gar keine Diskussion- na klar ging er mit hinein, na klar blieb er bei ihnen. Was denn sonst?!

 

Sie merkten es nur nicht.

Einbildung, dass Gott dabei ist? Eine Schimäre? Eine gnädige Einrichtung unseres Gehirns, die uns das Dasein erträglicher macht? Hat die Evolution als sie das Bewusstsein für unsere Spezies entwickelt hat, gleich das Trostpflaster der Religion mitgegeben, damit das Wissen um den eigenen Tod, um die eigene Gefährdung, die mit dem Bewusstsein einhergeht, erträglicher wird?

Vielleicht? Wissen kann man das nicht.

 

 

Aber alle Erfahrung so vieler Glaubender vor uns spricht eine andere Sprache: Da ist mehr, dieser Fremde ist zwar nicht direkt zu erkennen, aber man spürt, dass da was ist, dass an dem was dran sein könnte, dass der vermeintlich Unbekannte gar nicht so unbekannt ist.

 

Und im Falle des Christentums hat der Religionsstifter ein Zeichen seiner Nähe hinterlassen: Das, was wir Abendmahl, Eucharistie nennen. Am Brotbrechen erkannten sie ihn. Als er es ihnen austeilte, wussten sie, wer er war. Und im gleichen Moment war er fort, nicht mehr zu sehen, aber sie spürten seine Gegenwart ganz tief in sich. Brannte uns nicht das Herz als er mit uns redete…

 

In jeder Eucharistiefeier tun wir nichts anderes. Wir feiern Gemeinschaft, die sich im gemeinsamen Essen ausdrückt. Und noch etwas mehr, um etwas Entscheidendes mehr: Wir feiern Gemeinschaft, ja, aber es sitzen nicht nur wir am Tisch, sondern Gott sitzt dabei.

Das ist das, was den Jüngern an dem Abend in Emmaus aufgegangen ist: Wenn wir zusammen essen, so wie im Abendmahlssaal vor Jesu Hinrichtung, dann feiern wir nicht nur Gemeinschaft untereinander, sondern wir feiern auch Gemeinschaft mit ihm. Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten ihn; im gemeinsamen Mahl, gehalten wie im Abendmahlssaal ist Jesus dabei. In diesem Mahl erkennen die Jünger Jesus. Das ist das Entscheidende. Christen glauben, dass in der Feier des Abendmahles, Gott bei ihnen ist, anwesend ist.

 

Die Emmausgeschichte hört damit aber nicht auf.

Unmittelbar danach schreibt Lukas: dann sahen sie ihn nicht mehr.

Bumms, aus, vorbei. Sie hatten verstanden- und schon war er nicht mehr zu sehen. Zurück in den Alltag.

Irgendwann ist das Essen vorbei, das Mahl, das Festmahl und wir kommen ins Alltägliche mit all seinen Sorgen, Problemen und Herausforderungen zurück. Dann sehen wir Gott nicht mehr. Haben keinen Sinn mehr für ihn. Der Sensus ist erloschen. Feiern sind eben deswegen Feiern, weil sie sich vom Alltag unterscheiden. Der Alltag kann nicht ständige Feier sein. Alltag ist das, was alle Tage geschieht, Feier ist Höhepunkt, ist Ausnahmesituation. Aber auf Dauer prägt die Feier den Alltag, erleichtert ihn; die Feier gibt uns die Kraft, den Alltag zu meistern. Im Alltag bleibt etwas von der Erinnerung an die Feier. Brannte uns nicht das Herz in der Brust als er unterwegs mit uns redete?

Erst im Nachhinein entdecken wir die Spuren Gottes, erst hinterher wird uns manches klar. Wie oft sagen wir, ja, jetzt geht mir ein Licht auf, jetzt verstehe ich, warum dies und das so und so geschehen ist.

 

Nun, all das hier Beschriebene erschließt sich nicht automatisch. Eine gefeierte Eucharistiefeier wird nicht unbedingt immer zu einer Erleuchtung führen. Eher seltener. Nicht jedes gemeinsame Essen ist ein Fest, eher seltener. Aber es birgt das Potential in sich.

Der Spirit des Festes kann in jedem Essen ausbrechen, der Heilige Geist in jeder Eucharistiefeier. Und deswegen ist es es wert, sie immer wieder zu feiern.

 

Noch einmal zurück zu den Emmausjüngern: Sie hatten ja zu dem für sie noch Unbekannten gesagt, er möge bei ihnen bleiben, denn es würde ja schon Abend. Und bekanntlich muss man nachts schlafen, sich ausruhen, um am  nächsten Tage mit frischer Kraft weiterzumachen.

 

Es passiert aber etwas Erstaunliches: Noch in derselben Stunde brachen sie auf und kehrten nach Jerusalem zurück.

So heißt es da gegen Ende der Geschichte: In derselben Stunde, am Abend also noch. Nichts hielt sie mehr. Sie hatten verstanden. Sie waren begeistert. Sie mussten aufbrechen. Das Dunkel war plötzlich kein Hindernis mehr. Sie gingen nach Jerusalem zurück. Dorthin, woher sie gerade gekommen waren. Sie waren von dort aus Angst als Jünger des Hingerichteten erkannt zu werden weggegangen und gingen nun zurück, genau an diesen Ort.

Keine Angst mehr- und wenn es äußerlich noch so dunkel ist. Ihnen brannte ja jetzt das Herz. Es war Verwandlung geschehen, Wandlung sozusagen.

Erst dann konnten sie all das tun, was für ihre Gemeinschaft Merkmal wurde: Nächstenliebe und Versöhnung. Charakterzüge einer echten Kirche.

Aber erst nachdem sie mit diesem Jesus Mahl gehalten hatten. Deswegen ist Eucharistiefeier so zentral.

Die Teilnahme daran ist keine moralische Verpflichtung als täte man damit Gott einen Gefallen.

Abendmahl feiern heißt sich auf das zu besinnen, was zentral für Christen ist: wir leben in Gemeinschaft mit Gott, aus dieser Gemeinschaft heraus, aus ihr deuten wir unser Leben, sie macht uns zu dem, was wir sind: von außen betrachtet Kreaturen dieser Welt, von innen her Geschöpfe Gottes.