Ostern

Als ich mich am Donnerstagmorgen hinsetzte um mir Gedanken um die heutige Predigt zu machen, öffnete sich in einem Pop-up-Fenster ein Artikel in der Onlinezeitung Bruzz.be, die wieder einmal über das Elend der Flüchtlinge auf den Straßen von Brüssel berichtete. Es wurden zwei Menschen interviewt, wobei der eine aus Togo, der andere aus Äthiopien kam und wegen des Platzmangels in den Flüchtlingsunterkünften in Campingzelten am Kanal übernachteten.

Es war wieder einer der Momente, wo ich dachte, wie kann ich da oben in meiner schönen Wohnung an einer der sogenannten besten Straßen von Brüssel sitzen und mir Gedanken über eine sogenannte schöne Predigt für Ostern machen ohne da zu helfen? Wie kann ich von der Überwindung des Todes durch das Leben predigen, wenn wir es noch nicht einmal schaffen, diejenigen, die leben ins richtige Leben zu führen? Darf ich überhaupt hier eine schöne Liturgie feiern, mir gute Gewänder anlegen, anschließend mit vielen gut gekleideten und gut verdienenden Menschen ein sattes Frühstück einnehmen, um mich dann von der Osternacht zu erholen und dann im Anschluss wieder ein gutes Mittagessen zu haben und mit einem guten Wein das Ende der Fastenzeit zu begehen? Wie passt das zusammen?

Ich nehme an, dass jeder, der auch nur annähernd ein Gewissen hat, solche Gedanken kennt. Und genauso wird dieser jedermann die dann schnell folgenden Relativierungen kennen: Ja, aber Elend gibt es überall auf der Welt- man kann ja nicht in jeder Ecke des Planeten helfen. Und überhaupt- ich tue doch schon einiges und manchmal muss ich auch mal etwas für mich machen, um überhaupt in der Lage zu sein, zumindest ab und an punktuell etwas gegen die Not der anderen unternehmen zu können. Und weil das sicherlich richtig ist, ist das schlechte Gewissen doch bald wieder zur Seite geschoben und wir gehen zur Tagesordnung über.

Und das ist ja auch völlig nachvollziehbar. Es ist ja nicht so als säßen wir alle Tag für Tag auf unseren bequemen Möbeln herum, würden uns mit 7-Gänge-Menüs verwöhnen lassen und wie der gute alte Dagobert Duck ein regelmäßiges Bad in unserem Geldspeicher nehmen. Die meisten hier arbeiten ja hart oder haben es in ihrem Berufsleben jedenfalls getan. Und wenn Sie dazu noch junge Eltern sind, versuchen Sie meist händeringend Mama-/Papadasein mit der beruflichen Existenz und den darüber hinaus noch vorhandenen Freizeitstress überein zu bekommen. Da brauchen Sie nicht noch einen moralisierenden Pfarrer am Ostermorgen, sondern einfach nur einmal eine Stunde für sich, in der Sie Ihre ziemlich leeren Batterien mal wieder ein wenig aufladen können, nur um dann bald wieder in den Alltagswahnsinn einzutauchen.

Wenn man dann mal beide Seiten betrachtet, nämlich z.B. das Elend der Flüchtlinge auf Brüssels Straßen betrachtet und gleichzeitig auf die immer deutlicher hervortretenden Schwächen und Stresssymptome unserer eigenen Lebensweise, dann kommt man doch um die Erkenntnis nicht herum, dass in unseren Gesellschaften irgendetwas nicht stimmt. Vermutlich war auch das immer so- genauso wie das gleichzeitige Nebeneinander von Elend und Luxus – und dennoch fällt es im Moment mehr auf als z.B. in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts, die die meisten von uns gesellschaftlich als ruhig und friedlich erlebt haben dürften. Es hat sich  zuletzt das Gefühl eingeschlichen, dass etwas zu Ende geht ohne dass man wüsste, was danach kommt. Das verursacht Verunsicherung- ein Gefühl, das keiner gerne hat.

Was das mit Ostern zu tun hat?

Nun, zur Einführung in die Feierlichkeiten der Hl. Woche habe ich am Palmsonntag davon gesprochen, dass jeder Feiertag in eben dieser Woche eine Überraschung, eine Veränderung, eine Disruption, wie man auch heute sagt andeutet. An Gründonnerstag macht sich der Herr zum Diener, in dem Jesus den Jüngern die Füße wäscht und Gott macht sich so klein, dass er sich im Abendmahl in Brot und Wein mit uns verbindet.

An Karfreitag durchbricht Gott in Jesus das Gesetz der Vergeltung, in dem er nicht zurückschlägt, sondern seinen Sohn am Kreuz sterben lässt, sich selbst unter das Gesetz der Welt stellt, um den Kreislauf von Tod und Schuld zu unterbrechen.

Und an Ostern?

Da wird die Gewissheit, dass das Leben immer zum Tod führt zerstört durch die Erkenntnis, dass mit Jesu Auferstehung das Leben zum Leben führt.

Das Leben führt zum Leben. Wer Christus glauben kann, der ist gewiss, dass er zwar um den Tod nicht herumkommt, dieser aber nicht das Ende bedeutet, sondern einen Durchgang bezeichnet, der in das Leben bei Gott führt. Das Leben führt ins Leben.

Und so wie Jesus Leben verstand führt das Leben mit ihm nicht in das Leben in Elend, sondern in Fülle- wie es im Evangelium immer heißt. Leben in Fülle- das feiern wir hier, bringen es in der Liturgie zum Ausdruck, aber auch in unserem Festfrühstück und unseren Festessen. Leben in Fülle.

Nun haben wir aber durch Christus und durch den Hl. Paulus ausgedeutet lernen dürfen, dass Christus nicht nur für einen Hl. Rest von Auserwählten gestorben und wieder auferstanden ist, sondern für alle Menschen. Für alle Menschen soll das Leben in das Leben führen- und zwar in das Leben in Fülle, nicht in Elend.

Und da kommen eben wieder die Flüchtlinge ins Bild.

Ich las in einem anderen Artikel, in dem die Aufnahme von Flüchtlingen in zwei Regionen in Deutschland miteinander verglichen wurde, nämlich im Norden von Mecklenburg- Vorpommern mit einer Region in der Oberpfalz. In beiden hatte es zunächst erheblichen Widerstand gegen den Bau von Flüchtlingsunterkünften in ihren jeweils kleinen Gemeinden gegeben. Allerdings wurde dieser in dem bayerischen Dorf bald gebrochen und die Menschen kümmerten sich um die Ankommenden während in Mecklenburg der Widerstand bis heute anhält. Die Autoren des Artikels reflektierten über das Warum. Sie erwähnten die unterschiedlichen finanziellen Ressourcen der beiden Kommunen, das viel größere Gefühl in Vorpommern eher zu den Benachteiligten zu gehören als im properen Bayern und anderes mehr. Aber eines kam fast als Nebensatz daher: In Bayern kümmerten sich viele Ehrenamtliche aus den kirchlichen Gemeinden um die ankommenden Menschen, während kirchliche Netzwerke im Norden sehr dünn gesät seien und deswegen kaum eine Rolle spielen könnten.

Ja, die Kirchen haben ziemlich viel Mist verzapft zuletzt und mit Recht wird Vieles kritisiert, aber unsere Botschaft ist und bleibt eine dem Leben zugewandte. Menschen, die an Christus glauben, in ihm den sehen können, der ALLEN das Leben in Fülle anbieten möchte, gehen anders mit dem Elend der anderen um. Sie haben ein schlechtes Gewissen, wenn andere leiden und setzen sich mal mehr, mal weniger nach den eigenen Möglichkeiten für diese anderen ein. Dass da immer noch Luft nach oben ist, ist ohne Frage richtig und dass es Christen gibt, die nicht so handeln ist ebenso unübersehbar, aber es geht um die Tendenz. Christliche Werke überall auf der Welt sind nach wie vor Träger großer sozialer Hilfsprojekte. Ohne überzeugte und aktive Christen sähe die Welt an vielen Orten dunkler aus. Das wage ich mit gewissem Selbstbewusstsein zu behaupten. Dafür müssen wir uns nicht schämen, darauf dürfen wir mit Stolz schauen, der uns gleichzeitig Antrieb für noch größere Leistungen sein sollte.

Und Ostern ist die Quelle davon. Ostern macht Hoffnung, Ostern macht den Verzweifelten Mut, Ostern verändert die Sicht auf das Leben. Wer an den Sieg des Lebens über den Tod glauben kann, möchte dem Leben überall zum Sieg verhelfen, der gibt sich nicht dem Tod hin, der findet sich nicht mit dem Tod ab, sondern bekämpft ihn, wo auch immer und in welcher  Form auch immer er sich zeigt, ob am Krankenbett, im Elend von zerstörten Beziehungen, im Einsatz für Frieden und eben auch im Mitleiden mit den Flüchtlingen auf unseren Straßen. Dass wir dabei unsere eigenen Grenzen anerkennen müssen und dürfen ist ohne Frage richtig, aber wir versuchen immer wieder, dem Elend seine Spitze zu nehmen, uns nach unseren Möglichkeiten einzusetzen und uns nicht auf unseren goldenen Betten auszuruhen. Täten wir das nicht, dann würden wir die Botschaft der Auferstehung verraten, die uns auffordert, uns für das Leben in Fülle für alle einzusetzen.

Davor darf das Feiern stehen, denn es ist in der Tat etwas Großartiges, das wir zu feiern haben, aber wir bleiben nicht dabei stehen, resignieren nicht, nehmen die Herausforderungen des Lebens an, stützen uns dabei gegenseitig und lassen damit Christus in unserer Mitte immer wieder neu auferstehen.