2. April, Palmsonntag
Trial and error- diese Überschrift könnte man dem Palmsonntag verleihen. Versuch und Irrtum. Daraus lernen wir.
Es ist ja merkwürdig, dass wir immer mit dem Triumphzug Jesu nach Jerusalem beginnen und dann ziemlich schnell die Stimmung umschlägt hin zur Traurigkeit von Jesu Leidensgeschichte. Es passt hinten und vorne nicht zusammen. Und es fällt schwer auf Anhieb darin einen Sinn zu erkennen.
Dabei ist die sogenannte Heilige Woche, die wir von heute bis zum Ostersonntag feiern etwas, was sehr gut zu diesem Stimmungswechsel passt. Denn alle diese vier Feste haben etwas gemeinsam. Sowohl heute als an Gründonnerstag, an Karfreitag und an Ostern feiern wir den Wechsel, die Veränderung, verbunden mit grundstürzenden Erkenntnissen von Gott und Mensch.
Wir beginnen an Palmsonntag mit der zwar frustrierenden, aber vergleichsweise doch harmlosen Erkenntnis, dass wir uns eben irren können und enden an Ostern mit der faszinierenden und revolutionären Idee, dass der Tod nicht das Ende ist. Von trial and error hin zu surprise, surprise.
Palmsonntag erzählt seine Geschichte durch die Palmprozession und das Verlesen der Leidensgeschichte von alleine, weswegen es nicht großer Auslegung bedarf. Nur ein paar Andeutungen und Hinweise:
Wir betonen immer an Palmsonntag, dass es dieselben Leute waren, die erst Hosanna jubelten und dann später Kreuzige ihn schrien. Historisch belegt ist von den Ereignissen nicht wirklich viel, und erst recht wissen wir nicht, ob es in der Tat dieselben Personen waren. Aber es würde passen- es würde zu uns passen, es passt zum Menschen.
Wie einfach lassen wir uns doch beeinflussen, wie schnell können wir unsere Standpunkte umschmeißen, manchmal gar verraten und korrumpieren. Wie einfach haben es Demagogen immer wieder mit uns- gerade, wenn wir in der Masse sind.
Jede aktuelle Demonstration im Moment in Frankreich, jedes WM-Fußballfinale, jeder Reichsparteitag der NS-Zeit, jeder Volkskongress der chinesischen KP, jede Veranstaltung, bei der unzählige Menschen zusammenkommen, ist geeignet uns durch Parolen, durch Gefühle, durch einpeitschende Reden oder Musik zu einer relativ einfach zu lenkenden, blind folgenden Menge zu machen, in der das Individuum sich mit Freuden dem Ganzen, dem Gesamt, hingibt. Morgens Hosanna zu schreien und abends Kreuzige ihn ist bei näherer Betrachtung nichts Verwunderliches mehr, sondern etwas zutiefst Menschliches.
Das hält uns der Palmsonntag sozusagen als Nebenprodukt vor Augen, denn entscheidend ist etwas anderes: Die Anhänger Jesu mussten lernen, dass dieser nicht ihren Erwartungen entsprach. Viele von ihnen hatten offenbar mit Jesus die Vorstellungen verbunden, die aus ihrer Sicht zum Messias gehörten: Befreiung von der Herrschaft der verhassten Besatzer, nämlich den Römern und die Errichtung eines neuen jüdischen Großreiches- ähnlich dem unter den Heldenkönigen David und Salomon. Stattdessen hält da jemand nicht auf dem Schlachtross Einzug, sondern auf einem Esel- jämmerlicher für einen König geht es nicht. Das war also schon einmal nichts. Und statt zum Kampf gegen die Besatzer aufzurufen, predigt er davon, selbst dem Feind noch die andere Wange hinzuhalten. Nachdenken, Innehalten, den anderen wahrnehmen, ihn gar zu verstehen oder zumindest nachzuvollziehen, was ihn bewegen könnte- das ist nichts für die Massen. Diese will Triumphe, den schnellen und den Gegner überwältigenden Sieg, Heil- und gerne laufen wir den Schurken und Verbrechern nach, die uns das verheißen.
War wohl nichts, muss man wohl im Hinblick auf Jesus sagen. So einer war er nicht. Und was tun wir mit denen, die unsere Erwartungen nicht erfüllen? Ausbuhen, links liegen lassen oder eben kreuzigen.
Den Gott, von dem uns Jesus erzählt ist für die vielen in der Masse nicht sonderlich attraktiv- sein Weg erscheint mühsam, nimmt Rücksicht, sieht im anderen immer das Abbild Gottes, wo wir am liebsten nur den zu vernichtenden Gegner sehen- das ist nicht sonderlich attraktiv, boring würden viele in der Massenmediengesellschaft sagen.
Und so wird der Palmsonntag zu einem Ereignis, bei dem ich meine ach so menschlich- unmenschlichen Instinkte hinterfragen kann: Wem laufe ich hinterher? Was halte ich aus welchen Gründen für attraktiv? Wo bin ich mit einfachen Werbungstricks zu packen? Wo setzt mein Verstand aus? Wo lass ich mich verführen, selbst zu Dingen, die ich bei näherem Hinsehen und später bereue oder gar verachte?
Wo übertrage ich menschlich- simple Vorstellungen auf Gott?
Wo erwarte ich von Gott eher menschliches statt göttliches?
Trial and error- sie hatten es mit Jesus als Befreier von der Herrschaft der Römer versucht- Irrtum. Das war er nicht, das ist er nicht- und das wird der nie sein. Was er ist, enthüllt sich in der Feier dieser Tage- an Ostern wissen wir mehr