26. März, 5. Fastensonntag

 

Ich weiß nicht wie Sie ihn sich vorstellen, Ihren letzten Atemzug auf dieser Erde.

In einem Krankenhaus oder im Altersheim? Alleine oder von Ihren Liebsten umgeben? Bewusst oder unbemerkt im Schlaf?  Geplant von einer Sterbehilfeorganisation mit einer letzten Fahrt in die Schweiz und mit Ihrer Lieblingsmusik oder ohne jede Vorbereitung bei einem Unfall von einem Auto überfahren oder bei einem Flugzeugabsturz?

 

Oder vielleicht haben Sie es sich noch gar nicht vorgestellt oder, sobald der Gedanke dazu kam, ihn schnell weggedrückt: Steht noch nicht an, erst morgen oder übermorgen oder wenn es so weit ist, dann ist es noch früh genug.

 

Wie auch immer, Sie es sich vorstellen, die wenigsten werden es sich so wünschen, wie es von manchem Heiligen berichtet wird- so auch vom Hl. Benedikt.

Als er bemerkte, dass es auf das eigene Sterben zuging, so erzählt es die Heiligenlegende, ließ er sechs Tage vor seinem Tod sein Grab ausheben und bat am siebten Tag seine Mitbrüder, ihn in die Kapelle zu führen;

dort stand er, gestützt von ihnen mit einem letzten Gebet auf den Lippen, den Weg zum Himmel offen sehend, um dann seinen letzten Atemzug zu tun und hinüberzugehen in das Reich des Lichtes.

 

In meinem Beruf führe ich des Öfteren Gespräche über das Sterben, aber diese Version steht nie auf der Liste der Menschen, in der Regel wünschen wir uns, dass es schnell und für uns selbst möglichst unbemerkt gehen möge, einfach einschlafen und nicht wieder wach werden- so erhoffen es die Allermeisten.

Und verstehen Sie mich richtig:

Das ist ja auch nachvollziehbar.

Das Unangenehme möchten wir zur Seite schieben, es möglichst in den hintersten Winkel unseres Bewusstseins verstecken und dabei hoffend, dass, wenn es schon sein muss, es hoffentlich schnell vorübergeht – und was gibt es schon Unangenehmeres als den Tod. Wenn er schon unausweichlich ist, dann möge er es bitte kurz machen. Und er möge sich bitte nicht von weitem ankündigen, sondern lieber schnell und überraschend aus der Hecke springen.

 

Und doch: Sie werden es zugeben müssen. Unabhängig ob es beim Hl. Benedikt so war wie es erzählt wird oder nicht, so hat diese Geschichte seines Todes doch etwas Faszinierendes an sich. Es fasziniert, dass dort offenbar jemand KEINE Angst vor dem da Kommenden hat, es fasziniert, dass der Heilige Schritt für Schritt seines Sterbens bewusst gehen konnte, nahezu planen konnte, es fasziniert, dass er dabei nicht in Trauer und Selbstmitleid verfiel, sondern zuversichtlich und hoffnungsvoll, voller Erwartung war.

Der Tod kontrollierte nicht ihn, sondern umgekehrt: Der Heilige nahm ihm seine bedrohliche Kraft, indem er ihn annahm, gestaltete und als das sah, was er für ihn als tiefgläubiger Mensch war: Durchgang zu seiner Bestimmung, Übergang zur wahren Heimat, Vereinigung mit Gott.

 

Nun, werden Sie sagen, der war ja auch ein Heiliger. Da muss das so sein.

So ist das wohl.

Und dennoch wünschen wir uns doch selbst, etwas von dieser Lebens- und Todeseinstellung zu haben. Wir wünschten uns doch für uns selbst, nicht vor lauter Angst vor dem Tod ihn ständig zu verdrängen, um ihn am Ende doch siegen zu sehen, sondern ihm aufrecht und mit geradem Blick ins Auge zu sehen. Wir möchten menschenwürdig sterben, so sagen wir- und meinen damit, nicht einsam und alleine, an einer Vielzahl von Schläuchen und piependen Maschinen angeschlossen, sondern der Würde eines Menschen entsprechend, menschenwürdig eben.

Was heißt das? Was ist eines Menschen würdig? Welches Sterben, welcher Tod, welches Leben?

Wir feiern ja in der Regel einen Heiligen nicht an seinem Geburtstag, sondern meistens an seinem Todestag, nicht seinen Geburtstag.

Der Todestag ist der Dreh- und Angelpunkt, von dem aus wir die Vergangenheit eines Menschen, sein Leben also, betrachten und seine Zukunft, das also, was wir für ihn NACH seinem Tod erwarten.

 

Wir sagen, dass es neben ein paar anderen Dingen das Bewusstsein ist, dass uns als Menschen von den Tieren unterscheidet. Auch wenn man inzwischen feststellen konnte, dass auch manche Tierart eine Art von Bewusstsein hat, so wird es sich doch graduell von dem des Menschen unterscheiden. Auch wenn ein Tier sich- und damit wird untersucht, ob ein Tier ein Bewusstsein von sich selbst hat- sich in einem Spiegel erkennt, dann heißt das noch lange nicht, dass ein Schimpanse, ein Delphin oder ein Elefant sich des eigenen Sterbens bewusst ist.

Gegenwärtig sieht es so aus als wäre das nach wie vor dem Menschen vorbehalten.

Ein Wissen zwar, auf das wir aller meistens verzichten möchten, aber es macht uns offenbar zum Menschen. Es entspricht der Würde des Menschen, von seinem Tod zu wissen. Es ist des Menschen würdig, diesem Wissen entsprechend zu leben und zu sterben, menschenwürdig eben.

Warum das so ist?

Vermutlich weil das ein in Kauf zu nehmendes Nebenprodukt menschlichen Bewusstseins ist.

 

Das Bewusstsein ist naturwissenschaftlich nach wie vor ein großes Rätsel.

Wir wissen zwar, dass wir es haben, es gibt Thesen darüber, wie es in unserem Gehirn entsteht, aber keine endgültige Sicherheit über seine Entstehung.

 

Religiös gesprochen aber könnte die Tatsache, dass wir von unserem Tod wissen, ein Fingerzeig Gottes sein, ein Fingerzeig auf ihn hin. Mal angenommen es wäre wirklich wahr, was wir als Christen glauben, nämlich dass nach dem Tod nicht das Nichts kommt, sondern das Leben in Gemeinschaft mit Gott, wenn das Leben nicht durch den Tod begrenzt wäre, sondern ewig wäre. Nur mal angenommen es wäre wirklich wahr, dass wir in Ewigkeit gar nicht sterben können, sondern der Tod nur vermeintlich wäre, nur ein Übergang in eine andere Form des Lebens, wäre es dann nicht sinnvoll, dass Gott uns daran erinnert?

 

Wir wissen vom Tod, weil er uns daran erinnert, dass wir nicht für das Leben auf der Erde bestimmt sind, sondern für das ewige bei Gott.

 

Wenn wir vom Tod nicht wüssten, wüssten wir nicht von Gott, wenn wir uns unseres Sterbens nicht bewusst wären, wären wir uns nicht des ewigen Lebens bewusst.

 

Viele Heilige sind auch deswegen Heilige geworden, weil sie nicht nur vom Wesen des Lebens wussten, sondern auch vom Wesen des Todes.

Der Hl. Benedikt erzählt uns mit seinem Leben UND seinem Sterben bis heute vom Sinn menschlicher Existenz. Er bezeugt, dass wir von Gott kommen und zu Gott gehen. Christen erahnen, dürfen glauben, dass sie aus der Ewigkeit in diese Welt geboren werden und mit dem Tod in die Ewigkeit zurückkehren, heimkehren.

 

In Todesanzeigen findet es sich leider nicht mehr sehr oft, aber früher war es gang und gäbe. Da hieß es immer:

Am soundsovielten ging der und der HEIM zu Gott. Man sprach von Heimkehr, vom Heimgang eines Menschen. Daraus sprach das Bewusstsein, dass die wahre Heimat des Menschen die ewige ist, nicht die vergängliche, nicht die Erde, sondern der Himmel.

 

Wenn das aber so ist, stellt sich doch automatisch die Frage, warum wir überhaupt hier sind? Warum leben wir? Warum nehmen wir nicht die Abkürzung und bleiben gleich in der Ewigkeit ohne Umweg über das doch oft beschwerliche Leben auf diesem Planeten? Warum?

Warum die Schmerzen der Geburt, das Auf und Ab der vielen Lebensstationen mit Glück und Unglück, mit Gesundheit und Krankheit, mit Liebe und mit Hass, mit Krieg und Frieden?

Genau darum!  Wir sind in der Welt, um in der Welt zu sein. Wir sind in der Welt, um in der Welt zu sein.

 

Wir alle wissen Dinge erst dann richtig zu schätzen, wenn sie vergangen sind. Erst wenn uns eine Krankheit erwischt, wissen wir unsere Gesundheit zu schätzen. Erst wenn eine Freundschaft aus irgendwelchen Gründen beendet wurde, wissen wir diese Freundschaft erst wirklich zu schätzen.

Erst wenn Krieg in der Welt ist, wissen wir den Frieden erst wirklich zu schätzen.

Und: Vielleicht lernen wir den Himmel erst richtig zu schätzen, wenn wir mal auf der Erde gelebt haben.

 

Gott ist die Liebe- so sagt es uns der 1. Johannesbrief. Gott ist die Liebe. Wenn wir also glauben können, von Gott zu kommen, dann kommen wir aus der Liebe, aus der tiefen Verbundenheit von allem, aus einer unbeschreiblich tiefen Einheit- und wenn wir glauben können, nach dem Tod wieder zu Gott zu gehen, dann glauben wir, wieder in diese tiefe Verbundenheit zurückzugehen.

Und dazwischen liegt das Leben hier, auf dieser Erde, hier in dieser Welt. Dazwischen liegen die Erfahrungen von Gesundheit und Krankheit, von Wut und Freude, von Trauer und Glück, von Hass und Liebe. Hier auf dieser Erde erleben wir wie es ist NICHT ständig in Liebe und in Verbundenheit mit Gott zu leben. Wir sind getrennt, voneinander und von ihm.

Aber das ist nicht die ganze Wahrheit des Menschen, der menschlichen Existenz: Innerlich sind wir immer noch miteinander und mit Gott verbunden- mit dem unzerstörbaren Band der Liebe.

Jesus sagt in einem Gebet in seinen Abschiedsreden im Joh.evangelium: Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns sein; ich in ihnen und du in mir. Was für ein Satz: Ich in Ihnen, Du in mir. Alle eins.

Hier beschreibt Jesus die Wirklichkeit der Existenz des Menschen.

In dieser Welt nur vergessen wir das viel zu oft- wir kommen ohne dieses Wissen, ohne diese Gewissheit der Einheit mit der ewigen Liebe auf diese Welt.

Unsere Aufgabe ist es in diesem Leben, Spuren dieser Einheit wiederzuentdecken. Uns daran zu erinnern, wer wir wirklich sind. Dabei hilft uns die Liebe.

Wenn Gott wirklich die Liebe ist, dann ist jede Erfahrung von Liebe eine Gotteserfahrung. Wenn Gott die Liebe ist, dann ist die Liebe Gott. Überall wo mir wirkliche Liebe begegnet, begegnet mir der wirkliche Gott.

Und wenn ich diese Spuren der ewigen Liebe entdeckt habe, entbrennt in mir die Sehnsucht nach dieser ewigen Liebe umso stärker.

Das ist es, was den Hl. Benedikt bewegt hat. Er hatte die Spuren Gottes in der Welt wiederentdeckt. Er ahnte und war gewiss, dass er aus der ewigen Liebe kam und wieder dorthin gehen würde. So wurde der Tod für ihn das Tor zum Leben. Er wusste, dass es unsere Aufgabe ist uns gegenseitig zurück in die ewige Liebe, zu Gott hinzuführen.

Deswegen spricht mich das Bild vom aufrechtstehenden sterbenden Benedikt so an, aufrecht dem Licht entgegen, gestützt von seinen Brüdern, die ihrer Aufgabe entsprechend ihren Bruder Benedikt ins Licht führen.

 

Wir sind alle ohne jede Ausnahme in dieser Welt, um uns gegenseitig wieder ins Licht zu führen, uns auf die Spuren der Liebe aufmerksam zu machen, uns gegenseitig zu helfen, darin Gott zu erkennen und damit unser aller Existenz sinnvoll zu machen und zum Ziel zu führen.