Gründonnerstag

Wussten Sie schon, dass es einen Unterschied gibt zwischen Sich-Erinnern und Gedenken?

Wahrscheinlich könnte man sagen, denn sonst würden wir nicht zwei sehr unterschiedliche Wörter dafür benötigen. Aber dennoch würde es uns vermutlich schwerfallen, zumindest auf Anhieb den unterschiedlichen Sinn herauszufiltern.

Denn, wenn ich z.B. durch eine Feier eines Ereignisses dieses Ereignisses gedenke, erinnere ich mich doch auch gleichzeitig daran.

Aber umgekehrt? Wenn ich mich an etwas erinnere, gedenke ich dann dessen auch automatisch?

Gedenken, Gedächtnis ist irgendwie feierlicher, ja irgendwie mehr.

 

Ich habe über diesen Unterschied zum ersten Mal in einer Vorlesung meines Liturgieprofessors nachgedacht. Otto Nußbaum hieß er. Sie ahnen, dass das schon einige Zeit her ist- genauer: vierzig Jahre. Mir ist es aber in Erinnerung geblieben.

Es bezog sich auf die Eucharistiefeier. Er sagte, dass ist keine Erinnerungsfeier, sondern eine Gedächtnisfeier. Ist doch dasselbe, dachte ich mir in einer ersten Reaktion. Aber nein. Ist es nicht.

Wäre es nur Erinnerung, dann wäre das Ereignis etwas, was in der Vergangenheit ruht und lediglich durch die Erinnerung wachgehalten wird.

Im Gedächtnis aber entfaltet das Vergangene in der Gegenwart seine Kraft. So die Argumentation meines Professors.

Wenn wir Eucharistie feiern, dann erinnern wir uns nicht nur daran, dass Jesus vor 2.000 Jahren mit seinen Jüngern zusammengegessen hat und vergessen es dann eben wieder, sondern es wird unter uns wieder lebendig, es entfaltet seine Wirkung, ja, es geschieht noch einmal.

Jesu Worte, seiner Handlungen, seines Teilens des Brotes und des Weines werden wir gegenwärtig.

Aus diesem Verständnis ergibt sich unser ganzer Respekt vor der Eucharistie, unsere Ehrfurcht davor. DESWEGEN verehren wir sie, weil wir glauben, dass durch das Gedächtnis, nicht durch die Erinnerung, Jesus ganz gegenwärtig ist in Brot und Wein.

 

Akademische Unterscheidungen könnte man sagen-als hätten wir in diesen Zeiten nichts Besseres zu tun.

 

Nun, ich meine es bedeutet schon etwas anderes, ob ich heute Abend mich hier nostalgisch in einer Wohlfühlatmosphäre daran erinnere, was Jesus damals getan hat, dann aber wieder nach Hause gehe und sage, ne, war das ein schöner Gottesdienst oder ob diese Gedächtnisfeier uns das damalige Geschehen so vergegenwärtigt, dass es eine Wirkung entfaltet als würde es genau jetzt geschehen.

 

Im Idealfall geschieht genau das: Ich werde so angerührt, dass das Gedächtnis mich verändert, mein Inneres berührt und ich den Jüngern Jesu ähnlicher werde in meinem Denken, Reden und Tun.

 

Das zur Theorie:

Entfalten wir das doch einmal: Was ist es denn, was da in uns angerührt und dann verändert wird, so dass wir im Idealfall den Jüngern Jesu ähnlicher werden?

Grundsätzlich wird man wohl sagen können, dass es die Verbindung ist, die sich zwischen Gott, Jesu und seinen Jüngern ausgeprägt hatte. Dieses immense Vertrauen, das sich gebildet hatte.

Sie glaubten tatsächlich an die Führung Gottes, glaubten tatsächlich, dass er sie erschaffen hatte und dass sie wieder zu ihm gehen würden, sie glaubten tatsächlich, dass sie sich in seine Hände fallen lassen konnten und deswegen die Welt mit all ihren Höhen und Tiefen zwar auch für sie ihre Welt war- aber sie glaubten auch, dass dahinter mehr ist, eine andere Realität, ihre wahre, echte Wirklichkeit, eine ewige Realität, die die erfahrbare Welt hier relativierte.

Und diese grundsätzliche Beziehung wirkte sich aus, in ihrem konkreten Denken, Reden und Handeln.

 

Sie hatten gehört, was Jesus gesagt hatte: Das ist mein Blut, das Blut des Bundes, das für alle vergossen wird. Sie hatten verstanden, dass Jesu Leben, sein Wirken, sein Tod und seine Auferstehung nicht nur für einen exklusiven Kreis seiner Anhänger galt, sondern für alle. Wörtlich heißt es bei Markus: Für die vielen. Darüber ist ein Streit ausgebrochen, ob es viele sind, ein Wort, das aber andere ausschließen würde oder ob es meint: für die Vielen, im Sinne von: Für die vielen, vielen Menschen- und damit für alle. Die Theologie ist mehrheitlich der Auffassung, dass das letztere gilt, so dass man weiterhin sagen kann: Das Blut, das für ALLE vergossen wird.

Noch einmal also: Leben, Wirken, Tod und Auferstehung Jesu gilt für ALLE Menschen.

 

Damit gilt auch das Lebensmodell Jesu für alle Menschen: Sein Umgang mit den Menschen war bestimmt von Barmherzigkeit und Mitleid, Nächstenliebe würden wir es nennen.

 

Wenn wir hier Eucharistie feiern, dann erinnern wir uns nicht nur daran, dass Jesus damals vor 2 Jahrtausenden so war wie er war, sondern dann wird uns das gegenwärtig, es geschieht unter uns: Jesus behandelt uns, jeden hier mit Barmherzigkeit und Mitleid, liebt uns wie seinen Nächsten. Im Idealfall verändert das den Umgang unter uns, macht uns zu Zeugen seiner Barmherzigkeit und seines Mitleides, lässt uns den anderen mit anderen, mit seinen Augen sehen.

Und dieses Mitleid, diese Barmherzigkeit haben keine Grenzen: Denn Jesu Blut wurde für ALLE vergossen. Christen können sich nicht separieren, nicht abspalten voneinander oder von anderen. Für sie gilt: Jesus lebte und starb für alle. Deswegen ist jede Abgrenzung im gerade beschriebenen Sinne unchristlich, selbst wenn es Kirchengrößen, wie Patriarch Kyrill von Moskau in seiner Verblendung behaupten. Christentum ist grenzenlos, weil Jesu Barmherzigkeit und Mitleid grenzenlos waren und sind.

 

Und es wird noch konkreter. Denken wir noch an das, was wir die Fußwaschung nennen. Ihr müsst einander die Füße waschen, so trägt es Jesus seinen Jüngern auf. Ihr sollt einander dienen, heißt das doch wohl. Ihr könnt mich Diener oder Meister nennen oder was auch immer. Es ändert nichts daran, dass ich EUCH die Füße wasche, ich EUCH diene. Und wenn ich das an Euch tue, dann gilt das auch für Euch untereinander. Und dieses Euch ist wieder grenzenlos.

Versteht Euch als Diener der anderen. Habt deren Wohl im Blick. Schaut auf sie wie der Vater im Himmel, wie ich, Jesus, auf Euch schaue. Dann denkt, redet und lebt Ihr wie meine Anhänger!

 

Noch einmal zum Erinnern bzw. zum Gedächtnis.

Letzte Woche saß ich in einer der Innenstadtkirchen zum Gebet. Es kamen auch immer wieder Touristen herein. Ohne deren Intention im Einzelnen beurteilen zu können oder zu wollen, ist deren Besuch so etwas wie Erinnern. Man geht durch das Gebäude, bestaunt das ein oder andere Gemälde, schaut mit Bewunderung die ein oder andere Statue an und geht dann wieder. Auf zur nächsten Sehenswürdigkeit. Noch gibt es viele Orte in unseren Städten, die an Jesus und seine Geschichte erinnern, aber wenn seine Geschichten nicht gelebt werden, seiner nicht gedacht, wenn er nicht verinnerlicht wird, dann wird der Inhalt des Christentums weiter verdampfen. Dann bleibt nichts als museale Erinnerung übrig. Dann wird darauf geschaut wie z.B. in einem ägyptologischen Museum, wo man staunend vor Isis und Osiris steht, aber den Inhalt innerlich nicht nachvollziehen kann.

 

Wir sind hier, weil uns das Gedächtnis an Jesus nicht loslässt, weil wir fasziniert sind von seinem Umgang mit den Menschen, weil wir ahnen, dass seine Regeln unsere Welt verändern könnten. Wir sind hier, weil wir uns Kraft und Zuversicht holen möchten, um die gewaltigen Aufgaben, die uns vor die Füße gefallen sind, zu stemmen. Weil wir uns nicht mit denen abfinden wollen, die die Welt in Gut und Böse einteilen wollen, nicht mit denen, die andere aufgeben wollen, oder sie gar vernichten, umbringen oder beseitigen wollen, weil sie nichts ins Weltbild oder in deren Konzept von Macht passen. Wir sind hier, um diesen ein Gegenbild entgegenzuhalten, das Bild einer Weltgemeinschaft, in der einer dem anderen dient und nicht in dem der Mensch dem anderen zum Wolf wird.

Denn wenn nun ich, der Herr und Meister, euch die Füße gewaschen habe, dann müsst auch ihr einander die Füße waschen. Und nicht nur das: Ich gebe mich ganz für Euch, denn das ist mein Blut, das Blut des Bundes, das für alle vergossen wird.