20. März, 3. Fastensonntag

 

Bei all den Ereignissen, die sich in der vergangenen Zeit entfalten, wird der ein oder andere sicherlich in einem stillen Moment einmal die großen Fragen gestellt haben: Was soll das Ganze? Womit haben die armen Ukrainer das gerade verdient?

Warum reiht sich im Moment eine Krise an die andere? Warum konnte es nicht so einfach weitergehen, wie es früher einmal war? Auf jede einzelne Frage gibt es sachliche Antworten. Wir kennen die Gründe die dazu geführt haben, dass ein Virus sich aus China auf den Weg um die Welt machen konnte. Wir wissen wie sich Schritt für Schritt in der russischen Führung der Wille zum Krieg aufgebaut hat, wir wissen, warum sich vor einigen Jahren so viele Menschen aus dem Nahen Osten, aus Afrika und aus Afghanistan aufgemacht haben, um nach Europa zu kommen, wir wissen, warum sie auf Lesbos und woanders sitzen ohne wirklich weiterzukommen und wir wissen sehr genau, wie die Klimakrise entstanden ist.

Wir kennen die Gründe, aber wir wissen nicht warum.

Wir wissen nicht, warum die Welt so ist wie sie ist. Wir wissen nicht, warum was wie geschieht. Und damit Sie nicht enttäuscht werden- das werden Sie auch am Ende dieser Predigt nicht wissen.

Was wir wissen, ist, dass sich Menschen immer schon diese Fragen gestellt haben und diese selbstverständlich auch in der Bibel eine Rolle spielen.

Z.B. heute, bei der Geschichte, die wir eben im Evangelium gehört haben.

Da wurden zunächst zwei Unglücke erwähnt, bei der unschuldige Menschen umgekommen sind.

Meint ihr, dass sie größere Schuld auf sich geladen hatten, so fragt Jesus seine Zuhörer, als alle anderen Einwohner von Jerusalem?
Nein, sage ich euch,

Nein, sagt Jesus. Hatten sie nicht. Nicht mehr und nicht weniger als jeder andere auch. Sie kamen nicht zu Tode, weil sie besonders schlimme Sünder waren, sie kamen zu Tode, weil ein Turm, in diesem Fall der Turm von Schiloach, eingestürzt war. Ein Unglück.

Haben die vielen Menschen, denen gerade in der Ukraine Schlimmes geschieht, besonders schwer gesündigt? Nein, es ist einfach ein Krieg über sie gekommen, mit all den schrecklichen Folgen, die es für sie hat.  Ein Unglück.

Haben die Menschen, die in Lesbos festsitzen, dramatisch Sündiges getan? Nein, sie sitzen dort fest, weil Europa nicht alle aufnehmen kann oder will, die es gerne hätten und sie deswegen dort viel länger als nötig festhält. Ein Unglück.

Nein, sagt Jesus und sagt damit ein klares Nein jedem gegenüber, der einen Zusammenhang zwischen Unglück und Lebensweise der Betroffenen herstellen will. Den gibt es nicht, genauso wenig wie einen Zusammenhang zwischen Glück und der Lebensweise der Betroffenen. Gott schickt weder Unglück noch Glück. Da ist Jesus eindeutig.

 

Leider aber gibt es dann keine weiteren Ausführungen. Gerne hätten wir ja eine Antwort auf die Frage, warum die Welt so ist wie sie ist. Wir wüssten gerne, warum es nicht mehr der Garten Eden ist, sondern die Welt mit all ihren Schönheiten und Grausamkeiten.

Die einzige Antwort, die sich findet ist die Geschichte ganz vom Anfang der Bibel, die von Adam und Eva. Wegen des Verstoßes der ersten Menschen gegen die von Gott aufgestellten Regeln wurden diese aus dem Paradies ausgeschlossen. Eine Erzählung, die natürlich keine Tatsachen beschreibt, sondern nur zusammenfasst, was Menschen immer schon beobachtet hatten. Sie lebten nicht im Paradies, sondern mussten im Schweiße ihres Angesichtes ihr karges Brot erarbeiten und manche Unbill im Leben ertragen. Da sie gleichzeitig an einen ihnen zugetanen Gott glaubten, konnte das Unglück nicht von ihm kommen. Es musste also auf ihre eigenen Fehler zurückzuführen sein. Und so wurde also von Anfang an immer wieder dieser Zusammenhang hergestellt: Unglück=falsches Tun=Sünde.

Nein, sagt Jesus.

 

Erst einmal finde ich das erleichternd. Wie oft habe ich im Angesicht von schwerer Krankheit bei den Betroffenen die bohrende Frage erleben müssen, was sie denn wohl falsch gemacht haben, um dieses Schicksal zu verdienen. Mit Berufung auf Jesus darf ich dann immer sagen, dass sie es nicht verdienen. Sie sind es nicht selber schuld.

 

Nun, das kann zwar erleichternd sein, aber der große Wurf ist es immer noch nicht.

Die Frage danach, warum die Dinge so sind wie sie sind, ist damit nicht beantwortet. Es wurde eine heile Welt erschaffen, aber der Mensch hat sich selbst des Schlüssels hinein beraubt- so verstehe ich die Bibel.

So beschreibt sie den Stand des Menschen in der Welt. Daran hat sich auch seit Menschengedenken nichts verändert. Wir leben nicht im Paradies, haben nur manchmal paradiesische Tage, aber oft genug auch solche, die eher der Hölle als dem Paradies gleichen.

Dennoch glaubt die Bibel nicht, dass wir von einem gleichgültigen Gott in die Welt gesetzt wurden.

Sie hat auch den Menschen Raum gegeben, die ganz andere Erfahrungen gemacht haben, so dem Moses, der eine ganz merkwürdige Geschichte erlebt, die bei uns unter dem „brennenden Dornbusch“ firmiert.

Man darf das sicher als ein inneres Erlebnis der Gottesbegegnung einordnen.

Moses verspürte offenbar in einer Art Vision die Gewissheit der Gegenwart Gottes. Ein Feuer, das sich ihm tief eingebrannt hat. Die Erfahrung, von etwas begleitet und umfangen zu sein, das wir Gott nennen und die für ihn so tief war, dass er sich über EINE Eigenschaft dieses Gottes ganz sicher war: dass er immer da sein würde, immer anwesend, immer präsent.

Ihm eröffnete sich, was Gott war für ihn und für sein Volk, für Israel.

Schaut man in den hebräischen Urtext dieser Erzählung dann wird klar, es geht hier nicht einfach nur um die Beschreibung, wie Gott ist, sondern es wird gesagt, dass er handelt. Das hebräische Wort hajah bedeutet nicht einfach sein, sondern: werden, geschehen, sich ereignen, da –sein; ein dynamisches Wort also; da steckt Bewegung drin. Da schwingt das Auf und Ab, die Höhen und Tiefen des Lebens mit. Ein Hinweis darauf, dass das Leben eben so ist wie es ist, mit all seinen Seiten, aber eben auch ein Hinweis auf die Erfahrungen Israels, in all dem immer begleitet zu sein von diesem Gott, am Tage in Form einer Wolkensäule und in der Nacht in der Form einer Feuersäule- so hat es ganz poetisch das Buch Exodus bei der Wanderung Israels aus Ägypten heraus später beschrieben.

Es geht um Beziehung, um Beziehung Israels mit diesem Gott. Das Volk  ist trotz aller Zweifel mit diesem Gott in Beziehung geblieben.
Der Theologe Alfons Deissler übersetzt diesen Namen so:
„Was auch sei, wann es auch sei, wo es auch sei, wie es auch sei, du triffst auf mich als dein lebendiges, heil- schaffendes Gegenüber, das je und je deine Gegenwart und erst recht deine Zukunft ist.“

 

Ein schöner Satz, der aber dennoch die Schwierigkeit ausdrückt, eine Erfahrung, die so geistlich ist, in die richtigen Worte zu fassen. Das haben Gläubige immer erleben müssen. Es ist schwer, jemandem, der das nicht erfahren hat, dieses Erleben zu vermitteln. Es ist ja nichts, das man festhalten könnte, nichts, dass man aufnehmen, abspeichern und immer wieder abspielen könnte, kein Film, keine Tonaufnahme. Es ist ein Geschehen, das sich innerlich abspielt, auch dem Gläubigen nicht erklärlich, aber dennoch völlig präsent und real. So präsent und real, dass es aus dem Mann Moses, der zunächst einen der Unterdrücker, einen ägyptischen Sklavenaufseher erschlug und im Sand verscharrte und der dann als Schafhirt durch die Steppe zog DEN Anführer Moses machte, der sein Volk aus der Sklavenhaft befreite, aus Ägypten herausführte und in das Gelobte Land brachte.

Ein inneres Erleben, das einen Menschen völlig veränderte, ihm Gewissheit in der Not gab, Kraft zur Befreiung eines ganzen Volkes und Weitsicht, dieses in stabile und zukunftsträchtige Verhältnisse zu überführen.

 

An den Früchten sollt ihr sie erkennen.

Das Evangelium von heute endet ja mit der Geschichte vom Feigenbaum, der keine Frucht bringt und umgehauen werden soll. Aber der Winzer überzeugt den Besitzer des Weinbergs davon, den Baum noch einmal für ein Jahr stehen zu lassen. Erst dann soll er umgehauen werden, sollte er dann immer noch keine Früchte tragen.

An den Früchten lässt sich erkennen, ob der Baum ein guter Baum ist oder nicht.

An den Früchten erkennt Ihr, ob ein Mensch ein wirklich Gläubiger ist, an seinem Verhalten zeigt sich, ob seine Gotteserfahrung eine echte oder eine eingebildete war.

An Moses Erfolg lässt sich der Wahrheitsgehalt seines inneren Erlebens, seiner Begegnung mit Gott, die Erfahrung des brennenden Dornbuschs erkennen. Diese ließ ihn nicht kalt, brachte ihn zum Brennen für die Sache Gottes, veränderte ihn und machte ihn zum guten und charismatischen Anführer seines Volkes. An seinen Früchten konnten sie erkennen, dass er ein Mann Gottes war.

 

Ich nehme an, dass Moses auch keine Antwort auf das Warum hatte. Er wusste nicht, wozu sein Volk in die Abhängigkeit Ägyptens geraten war, wozu sie dort als Sklaven arbeiten und leiden mussten, warum sie nicht gleich in ihrem ursprünglichen Land bleiben konnten. Er wusste nicht, warum der Weg in das Land, in dem Milch und Honig fließen über den Weg des Leids der Versklavung ging. Er hatte keine Ahnung. Aber er wusste um die Gegenwart Gottes, unerschütterlich hat er daran festgehalten und seine Leute in die Befreiung, in die Weite geführt.

 

Offenbar hat er diesen Gott eben so erlebt, wie das Zitat von Alfons Deissler es widerspiegelt: „Was auch sei, wann es auch sei, wo es auch sei, wie es auch sei, du triffst auf mich als dein lebendiges, heil- schaffendes Gegenüber, das je und je deine Gegenwart und erst recht deine Zukunft ist.“ Du, Moses, aber auch Du, Maria, Du Josef, Du Ludger, Du Klara, Du Elisabeth, Du Max, Du Christian und Du Anna: Was auch sei, wann es auch sei, wo es auch sei, wie es auch sei, Du triffst auf mich als Dein Gegenüber