Gemeindefest 26. Juni 2022

Ja, wir feiern heute das Gemeindefest- endlich wieder wird sich mancher gedacht haben, vielleicht sogar die meisten. Endlich wieder feiern.

Was uns für zwei Jahre verwehrt blieb ist nun wieder möglich.

 

Aber was hat sich nicht alles in den drei Jahren, seitdem wir es zum letzten Mal gefeiert haben, getan. War es 2019 noch ein eher sorgloses Fest, das wir wie gewohnt seit Jahren und Jahrzehnten miteinander begingen, wirkt alles Feiern in 2022 wie das Feiern auf dem Vulkan.

 

Auch wenn für die Wachsamen unter uns schon 2019 sichtbar war, auf welch wackeligen Füßen inzwischen unsere Gesellschaften, ja unsere Welt stand und steht, so ist es in diesem Jahr jedem offensichtlich geworden.

Ja, wir feiern, aber wir feiern so, dass wir es entweder trotz all der uns umgebenden Krisen und Probleme tun und dabei für einen Moment eben diese Krisen und Probleme vergessen wollen oder eben gerade deswegen, weil man eben nicht immer nur im Krisenmodus verweilen kann, sondern mal etwas anderes benötigt.

Und dennoch bleibt es ein Feiern auf dem Vulkan.

Unser Fundament ist unsicher geworden. Es kann jederzeit explodieren- wie ich es letzten Sonntag schon einmal angeschnitten habe: hätte man in 2019 noch problemlos gewagt zu sagen, wie die Welt vermutlich zehn Jahre später aussehen werden würde, tut man sich heute schon schwer, es nur für fünf Jahre zu tun. Die Unsicherheiten sind zu groß geworden. Das einzige, was wir wissen, ist das sich vieles verändern wird, weil es sich verändern muss. Wendezeit oder Zeitenwende nennt man wohl solche Epochen.

Vielleicht wird mir mancher Alarmismus vorwerfen, aber die vielen Gespräche, die ich in den letzten Wochen geführt habe, bestätigen zumindest indirekt, dass viele diese Sicht teilen. Der eine macht sich Sorgen wegen der Inflation, der andere darum, dass die EU/die NATO doch noch voll in den Krieg hineingezogen wird, wieder ein anderer weiß nicht, wie er die explodierenden Energiepreise bewältigen soll und der nächste sorgt sich wegen des Klimawandels und der Abnahme der Artenvielfalt um die eigene oder zumindest um die Zukunft der Kinder.

Und katholische Menschen stehen oft fassungslos vor den Geschehnissen in ihrer Kirche, haben das Gefühl, dass sich da gerade etwas auflöst, das so lange wie ein sicherer Fels ihr Leben bestimmte oder zumindest verlässlich als Konstante anwesend war.

Viele wünschen sich Orientierung, Sicherheit und Zuversicht und wissen aber nicht genau, wo sie diese finden sollen, weil eben so viele Verlässlichkeiten wackelig und rissig geworden sind. Und auch die heilige, katholische Kirche steht für viele plötzlich blank da, ihres Mythos und ihrer moralischen Größe beraubt, nicht durch das zerstörerische Verhalten äußerer Feinde, sondern durch das Verhalten derer, die diesen Mythos so lange innerhalb der Kirche verkörperten. Wenn schon nicht das Fundament wackelt, so wackeln auch hier mindestens doch die Wände.

 

Und in dieser Gemengelage feiern wir heute das Fest von Peter und Paul, von Petrus und Paulus, und hören dabei auch noch wie Jesus den Apostel Petrus als Felsen bezeichnet, den Simon zum Petros macht, auf dem er seine Kirche bauen will.

 

Auch das etwa ein Tanz auf dem Vulkan?

Haben wir das als Kirche nun davon, dass eben diese Kirche auf einen Menschen, auf Petrus gebaut ist und nicht auf Jesus?

Ist es das überhaupt, was diese Stelle bedeutet?

 

Nun, das Papstamt jedenfalls hat sich gerne auf dieses Wort berufen und seinen letzten Höhepunkt der Macht Ende des 19. Jahrhunderts gehabt als die Unfehlbarkeit eben dieses Petrusamtes, des Papstamtes zum Dogma erklärt wurde.

Dabei muss man deutlich darauf hinweisen, wie dieser Vers eigentlich gemeint ist:

Jesus beruft den Petrus ja VOR Ostern, VOR seiner Auferstehung. Es geht ihm offenbar um die Kontinuität seiner Lehren, Jesu Lehren nach seiner Himmelfahrt.

Ein wenig flapsig formuliert könnte man sagen, dass Jesus zu Petrus in etwa sagte:

Wenn ich nach Ostern nicht mehr da bin, musst Du zusehen, dass der Laden zusammengehalten wird.

Du bist so lange mit mir unterwegs gewesen, dass Du weißt wie ich ticke. Deswegen vertraue ich darauf, dass Du meine Überzeugungen in meinem Sinne weitergibst.

 

Damit ist Petrus nicht das Fundament der Kirche, das bleibt natürlich Jesus Christus und seine Lehre, sondern der authentische Vermittler. Jesus traut Petrus zu, seine Lehre verstanden zu haben und sie deswegen glaubhaft in die Zukunft tragen zu können. Das ist sein Job, seine Berufung, wortwörtlich- von Jesus gerufen, genau das zu tun. Nicht weniger, aber eben auch nicht mehr.

 

Wie beruhigend: Damit ist das Fundament unseres Glaubens, der feste Felsen eben doch kein Mensch, sondern -Gott sei Dank- Jesus Christus.

Kein Tanz auf dem Vulkan, sondern ein Tanz auf dem sicheren Boden der Ewigkeit.

 

Schöne und klingende Worte. Aber sie sind für mich eben mehr.

 

Ich habe im Moment auch meine Zweifel, ja, ohne Frage. Oft stehe ich z.B. bei der Predigtvorbereitung ratlos da, nicht, weil mein Glaube im Fundament erschüttert wäre- das zum Glück wirklich nicht, aber, weil ich vieles bisher so Selbstverständliche neu sortieren muss. Ich erwische mich dabei, wie ich bisherige Formulierungen überprüfe, ob sie für mich noch stimmig sind.

 

Wie ist mein Menschenbild z.B.? Der Mensch als Ebenbild Gottes, geschaffen aus der Liebe des Schöpfers? Stimmt dieses Bild noch, wenn wir der Welt das antun können, was wir ihr ständig und immer wieder antun? Stimmt dieses Bild noch, wenn man immer wieder erleben muss, was sich Menschen gegenseitig antun können?

Nicht, dass ich das nicht vorher schon gewusst hätte. Als Deutsche wissen wir genau, wozu wir Menschen fähig sind.

Aber es dann aktuell noch einmal in den Abendnachrichten zu sehen und zwar nicht aus dem fernen Afghanistan oder aus Darfour oder anderen exotischen Orten menschlichen Elends, sondern aus der unmittelbaren Nachbarschaft, ist etwas anderes und lässt einen, lässt mich erschüttert zurück.

Vermeintliche Glaubensgewissheiten werden noch einmal hinterfragt, erschüttert und durchgerüttelt und müssen sich neu setzen, so dass sie in die neuen Erkenntnisse über Welt und Menschen passen.

Johann Baptist Metz, ein renommierter Theologe der 70er und 80er Jahre sprach immer von der Theologie NACH Auschwitz und meinte damit, dass NACH diesen Grauen die Kirche nicht mehr so vom Glauben sprechen konnte wie sie es zuvorgetan hatte. Es mussten neue Wege gefunden werden, wie man von Gott sprechen konnte.

Wie also von Gott sprechen, wenn seine Schöpfung zur Gefahr für eben diese Schöpfung selbst zu werden droht? Wie von Gott sprechen, der dem Menschen aufgetragen hat, sich zu vermehren und sich die Welt untertan zu machen, dazu führt, dass diese Welt dem Untergang näher rückt, dadurch dass der Mensch diesen Auftrag Gottes ernst genommen hat und bisher nicht überdacht hat?

Wie von Gott sprechen, wenn dessen Krone der Schöpfung eher zur Dornenkrone, gar zum Sargnagel dieser Schöpfung wird?

 

Was heißt das alles nicht nur für unser Menschenbild, sondern auch für unser Bild von Gott? Um Antworten wäre ich sehr dankbar.

Noch einmal: Ich habe keineswegs mein Vertrauen in Gott verloren. Er ist für mich erfahrbar, wenn wir hier in Gemeinschaft miteinander feiern, er ist für mich erlebbar, wenn ich am frühen Morgen die Natur erwachen höre, er ist für mich anwesend bei der Geburt eines jeden Menschen, genauso wie beim Sterben- beides heilige Momente, in denen ich spüren darf, dass hinter diesem vermeintlich äußeren Geschehen ein tieferes Geheimnis steckt. Gott ist für mich persönlich Realität. D.h. aber nicht, dass ich weiß WIE Gott wirklich ist!

Die Wirklichkeit unserer gegenwärtigen Welt lässt mich vorsichtiger formulieren. Gott der Liebe, Gott der Barmherzigkeit, gnädiger Gott- Anreden, die mir eben nicht mehr so einfach über die Lippen gehen. Ich verwende sie vorsichtiger, fragender, mit geringerer Sicherheit als zuvor. Ein Gott der Fragezeichen, mehr als ein Gott der Ausrufezeichen.

 

Mir eröffnet unsere Zeit eine neue Tür zur Suche nach diesem Gott. Bisherige Antworten müssen neu hinterfragt werden, Gewissheiten neu erworben werden. Das geht nur zusammen, im Austausch, im offenen Stellen von Fragen, im Zulassen von Zweifeln, auch darin, einfach einmal zu schweigen statt gleich zu reden. Wir sollten uns zusammen auf die Suche machen.

 

Petrus und Paulus sind mir auch aus diesem Grund so wichtig. Nicht als Fundament unseres Glaubens, das bleibt Jesus Christus, aber als Fundament unserer Suche. Petrus war trotz aller Nähe zu Jesus doch immer auch der ängstliche Leugner seines Herrn- zumindest in dessen Todesnacht. Er war der, der stürmisch über den See auf ihn zulaufen wollte, durch seine eigene Furcht aber zu versinken drohte. Petrus hatte trotz seiner Nähe zu Jesus seine eigenen Zweifel und Ängste, Fragen an seinen Glauben. Gewissheiten wurden auch für ihn immer wieder angekratzt und verloren ihre Eindeutigkeit.

Und Paulus? Ach je, Paulus. Er erscheint uns heute als klarer Denker, der alles ins Kleinste durchbuchstabiert hatte. Aber in Wahrheit machten ihn erst seine vielen Fragen zum großen Theologen, der die theoretischen Grundlagen des Christentums geschaffen hat.

Zwei suchende Menschen als Felsen der Kirche. Das ist doch mal was.

Die Fragen gehören dazu. Unsere Zweifel, unser Hinterfragen von vermeintlichen Wahrheiten, ausgelöst durch unsere Gegenwart sind nichts Neues. Sie erscheinen uns grundstürzend und beziehen sich auf ganz anderes als die Fragen und Zweifel des Petrus und des Paulus; bleiben aber das, was sie im Kern schon immer waren und sein werden: Grundfragen an unsere eigene Existenz, Grundfragen nach dem Sinn der Welt und nach dem, was wir in dieser Welt erleben, Grundfragen nach dem Warum und dem Wozu.

 

Ja, wir feiern heute ein Fest, Gemeindefest. Wir feiern, dass wir uns zusammengehörig fühlen. Wir feiern unsere gemeinsame Ahnung des Ewigen, wir teilen unsere Zweifel und Ängste, tun das auf dem Fundament zweier Menschen, denen es in total anderen Zeiten dennoch ähnlich ging, weil es die gemeinsamen Fragen aller Menschen und aller Zeiten sind.

Wir feiern, dass wir glauben; glauben an eine gemeinsame Basis, die alle Menschen miteinander verbindet, untereinander und mit der Basis selbst, der wir den Namen Gott gegeben haben.

 

Mehr wissen wir nicht wirklich, aber auch nicht weniger –

Grund zu Feiern.