11.09.22, 25. So. im Jahreskreis

In einigen der letzten Predigten habe ich immer schon einmal anklingen lassen, dass alle Texte der letzten Sonntage mit ihren Mahnungen und Aufforderungen, uns immer wieder an das Wesentliche zu halten, immer wieder unsere Leben zu überprüfen, ob es auch den richtigen, im Sinne Jesu richtigen, Verlauf nimmt auf eines hinauslaufen:

auf den heute gehörten Text vom barmherzigen Vater- endlich: keine Mahnung, kein Verbot, nur offene Arme, Freude und Vergebung. Endlich.

 

Ich habe das Gefühl, dass dieser Text gerade in diesen Zeiten besonders guttut: man sehnt sich doch nach Geborgenheit, nach Schutz, nach einem Ort, an dem alles gut ist, man sich einfach nur einmal fallen lassen kann und die Probleme der Gegenwart Vergangenheit sind.

 

Das kann eine solche Geschichte natürlich nicht bieten. Unsere gefühlte Realität ist nach dem Hören immer noch dieselbe. An allen ungenannten Krisen hat sich danach nicht das geringste geändert. Und für die allermeisten bleibt es halt eine hübsche Geschichte, so wie man mal ins Kino geht oder gut essen geht, um mal einen Moment abzuschalten, um dann wieder in den Alltag hineinzustürzen.

Geschichten verändern nicht die Wirklichkeit. Was so klar klingt, ist es aber bei näherem Hinschauen gar nicht. Geschichten verändern nicht die Wirklichkeit- stimmt, sie tun es nicht direkt und nicht jede Geschichte hat das Potential dazu. Viele sind viel zu banal dafür, berühren nur die Oberfläche und haben keine tiefere Bedeutung. Andere aber können Weltgeschichte schreiben, Mythen z.B., die große Weltreiche beschwören und deren Herrschern eine vermeintliche Legitimität geben, diese auch einzufordern oder auszubauen. Davon haben wir ja gerade ein leidvolles Beispiel im Osten unseres Kontinents vor Augen. Geschichten können aber auch positive Visionen und Vorstellungen ausdrücken, die Menschen Mut machen, Dinge anzupacken: Geschichten vom besseren Leben z.B. oder von der Freiheit, Gleichheit und Geschwisterlichkeit aller Menschen. In Geschichten kulminieren Vorstellungen, Erfahrungen und sich daraus ergebenden Konsequenzen zu einem großen Ganzen, das mit Bildern von einer anderen Welt, einer anderen Wirklichkeit erzählen.

Dazu gehört sicherlich auch unsere heutige Geschichte vom barmherzigen Vater.

Für mich wird sie zusehend eine Parabel für das menschliche Leben, nicht nur ein Hinweis auf den barmherzigen Vater, den Jesus verkündet hat und dem wir uns in allen Lebenslagen zuwenden können, sondern ein Bild für die menschliche Existenz im Gesamten.

 

Wofür sind wir in dieser Welt? Wir sind auf Erden, um Gott zu erkennen, ihn zu lieben, ihm zu dienen und so einst in den Himmel zu kommen– so würde das der Katechismus beantworten. Auch wenn es formelhaft klingt, meine ich aber, dass man das so sagen kann, gerade auch auf dem Hintergrund der heute gehörten biblischen Geschichte:

Wir sind in dieser Welt, die Spuren Gottes, ja ihn selbst wiederzuentdecken. In den Zeichen von Liebe, Menschlichkeit und Barmherzigkeit die eine, große Liebe, die wir Gott nennen wiederzufinden und uns am Ende wieder mit ihm zu vereinen.

Wir kommen aus Gott und gehen zu ihm, wir kommen aus der Liebe und gehen in die Liebe und überall, wo wir in diesem Leben Liebe entdecken, finden wir Spuren von dieser großen Liebe.

 

Der barmherzige Vater ist dieser Gott der Liebe, er ist die Liebe. Zu Beginn unseres Lebens, bei der Geburt in diese Welt, verlassen wir das elterliche Haus dieses Gottes, er lässt uns ziehen, zahlt uns den Erbteil aus. Unser Erbteil ist unsere Gottebenbildlichkeit, unsere Ahnung, dass wir als seine Geschöpfe immer irgendwie mit ihm in Verbindung sind. Wir können in fernsten Gegenden landen, in der größten Gottferne, uns einbilden, von ihm getrennt zu sein, aber in uns sind die Bilder und die Erinnerung an das elterliche, göttliche Haus unauslöschlich eingeprägt.

Wenn der sogenannte verlorene Sohn irgendwann realisiert, wie verkrüppelt und verformt sein Leben in der Ferne vom Elternhaus ist, kommt ihm die Erinnerung an dieses Elternhaus hoch.

Ich meine sagen zu dürfen, dass wir in dieser Welt sind, dieses Leben leben, um in all den Erfahrungen, die wir machen, in den dunklen und den hellen Stunden unseres Lebens, die Spuren dieser tiefen Erinnerung in uns wiederzuentdecken. Das Leben stößt uns manchmal schrecklich unbarmherzig mit der Nase in den Dreck- das ist leider so und für manchen fast unerträglich, so unerträglich, dass man sogar neidisch auf die gefüllten Tröge der Schweine schaut, die genug zum fressen haben, während man selbst nicht mehr weiterweiß.

Das Leben ist bekanntlich nicht das Paradies. Die schönen Stunden sind nur Hinweise auf das größere, auf das Ganze, auf das Eigentliche, auf das Elternhaus, in dem der Vater- und sicher könnten wir auch, die Mutter sagen, mit offenen Armen da steht, um uns immer zu empfangen. Dort ist kein Zurückstoßen, keine Zurücksetzung, keine verschlossene Tür zu erwarten.

Egal, was wir wie tun: ob wir in der Nähe des Vaters bleiben, seinen Acker, der ja auch unser ist, mitbestellen, wie es der ältere Sohn tat oder ob wir hinausschweifen und uns vom Vater verabschieden: Die Tür ist offen- und das heißt für mich, dass sich jede Tür in den Tod eigentlich in das Leben öffnet.

In Todesanzeigen heißt es manchmal immer noch: er oder sie kehrte Heim-

genau richtig: Zurück nach Hause sozusagen.

Das Haus dieses barmherzigen Vaters ist unser Zuhause.

 

Eine Geschichte also, die ausdrücken will, worin die Bibel den Sinn des Lebens sieht: Hinausziehen in das Leben, das Leben leben, darin die Spuren Gottes zu entdecken, nämlich die Spuren der Liebe und wieder zurückkehren in eben diese Liebe.

 

Eine Geschichte- eine Geschichte, die man glauben kann oder auch nicht. Eine Geschichte, die in Bildern Dinge ausdrücken will, die sich nur schwerlich in Worte fassen lassen.

Eine Geschichte aber, die demjenigen, der sie glauben und in sich aufnehmen kann, einiges geben kann, nämlich Zuversicht, Durchhaltevermögen und eine Ausrichtung auf das, was das Leben im tiefsten sinnvoll machen kann, auf die Liebe.

Das Lukasevangelium besteht aus 24 Kapiteln. Die Geschichte vom verlorenen Sohn steht im 15. Sie steht fast am Ende einer Reihe von Kapiteln, in denen es immer nur um das Eine geht: das alternative Leben des Jesusnachfolgers. Christen leben anders, in dem sie sich auf das für sie Wesentliche konzentrieren, was nicht Reichtum, Gesundheit und Erfolg sind, sondern Ausrichtung auf Gott und seine Botschaft. Und das können Christen wagen, weil am Ende immer der barmherzige Vater mit offenen Armen steht. Damit sind diese Kapitel nicht nur formal, sondern auch inhaltlich Zentrum dieses Evangeliums. Sie drehen sich um die zentrale Aussage: Ihr seid nicht allein. Und der, der Euch begleitet ist der Gott der offenen Arme, der Gott der Liebe.

Damit könnten wir es doch wagen- so meine ich.