5. März, 2. Fastensonntag

Letzte Woche habe ich es schon gesagt- und in dieser fällt es mir wieder auf: Man liest in diesen Zeiten vieles, auch die Bibel, anders als in den vermeintlich ruhigeren Jahren vor den vielen Ereignissen, die unser Leben seit einer gewissen Zeit doch ziemlich beschäftigen.

So geht es mir heute jedenfalls mit dem alttestamentlichen Text aus dem Buch Genesis, das vom Auftrag Gottes an Abraham berichtet, sich in das Land aufzumachen, das Gott ihm zeigen wird.

Eigentlich ist es ja eine ungeheure Geschichte, aber wie mit so vielen Geschichten, die man hundertmal gehört hat, überhört man irgendwann das Ungeheure. Und auf Anhieb ist das Ungeheure auch nicht zu erkennen.

 

Schauen wir mal genauer hin: Gott ruft den Abraham- und dieser macht sich mit Kind und Kegel ohne Einwände direkt auf den Weg und zieht in das Land Kanaan. Das wird einige Verse später berichtet- nach dem heute Gelesenen.

Und noch etwas steht da, nämlich, dass Abraham zu diesem Zeitpunkt 75 Jahre alt war.

Fassen wir also zusammen: Ein alter Mann, weit jenseits der Pensionsgrenze hört den Aufruf von einem Gott, hat dabei keinerlei Zweifel, wer das nun genau ist und ob er sich darauf einlassen kann und nimmt stattdessen seine ganze Familie inclusive Hab und Gut und lässt sich von diesem Gott wegführen. Weg aus Ur in Chaldäa, wo seine Familie über Generationen gelebt hatte.

 

Ja ist der denn vollkommen übergeschnappt? – würden wir sagen.

Das kann er sich und seiner Familie doch nicht antun. Nur weil er meint Gott gehört zu haben, der ihm und seiner Sippe verspricht, ein Segen für alle Völker der Erde zu sein? Was heißt das denn überhaupt? Und was hat er und seine Familie davon, ein Segen für die anderen Völker zu sein?

Was gehen die ihn denn an?

In dem Alter darf man doch wohl mal an sich und ausschließlich an seine Lieben denken und sich die letzten Jahre auf dieser Erde noch schön machen bevor es zu Ende geht.

So oder ähnlich würden wir wohl denken.

 

Und es käme niemand auf die Idee, diese Einwände zu kritisieren, weil sie völlig nachvollziehbar sind. Alle hätten wir Abraham gewarnt und hinter vorgehaltener Hand hätten wir ihm wahlweise Altersstarrsinn oder erste Anzeichen von Demenz diagnostiziert. Keiner hätte gesagt: Genau richtig, was Du machst, auf Gottes Ruf kannst Du Dich verlassen, sondern alle hätten wir ihn versucht, von seinem Vorhaben abzuhalten.

 

Was dann passiert wäre? Abraham wäre nie im später so genannten Gelobten Land angekommen, die Geschichte des Judentums wäre eine andere gewesen oder erst gar nicht geschrieben worden, geschweige denn die vom Christentum.

Abraham wäre nicht der Urvater des Glaubens, sondern des Unglaubens gewesen und damit im Dunkel der Geschichte verschwunden.

 

Das klingt zwar dramatisch, aber mit einer gewissen Berechtigung könnte man es doch so sagen: die Dinge wären anders verlaufen, wenn man auch nicht weiß, wie.

 

Warum aber lese ich das heute anders als bisher?

Oder besser, warum spricht mich die Stelle heute wieder mehr an als sie es für lange Zeit getan hat?

Es geht um den Aufbruch, den jemand gegen alle Wahrscheinlichkeit und gegen alle Trägheit auf sich nimmt – und der am Ende belohnt wird, auch wenn am Anfang und nach menschlichem Ermessen alles dagegensprach. Es ist eine Mutmachgeschichte, eine Geschichte gegen allen Pessimismus, eine Erzählung von jemand, der sich eher als first generation denn als last generation verstand.

Der 75-jährige, der in den Augen von Menschen keine große Zukunft mehr hatte, wurde zum Ersten einer langen Geschichte Gottes mit den Menschen, einer, der in die Zukunft aufbrach und sich nicht in der vermeintlich goldenen Vergangenheit eingrub.

Das ist es, was mich so anspricht.

 

Es spricht aus dieser Geschichte eine Einstellung, die wir heute nötiger als zuvor haben: Die Einstellung des Abrahams, Gewohntes hinter sich zu lassen, seine Bereitschaft Platz zu machen für Neues, Neues überhaupt zuzulassen. Seine Bereitschaft, sich nicht auf Erreichtem auszuruhen, seine Neugier auf etwas, das nur als Verheißung angedeutet wird, aber noch nicht klar ersichtlich ist.

 

Natürlich lassen sich die Zeit damals als es um den kulturellen Sprung vom Nomadentun zur Sesshaftwerdung ging und diese beiden Formen menschlicher Existenzform noch im Wettbewerb lagen und den heutigen Auseinandersetzung um demokratische versus totalitäre Staaten oder um den besten Weg aus der Klimakrise nicht vergleichen. Es gab viel leeren Raum und Abraham konnte sich ansiedeln, wo viel Platz war und da, wo eben gutes Klima herrschte ohne sich Gedanken darüber machen zu müssen, ob das wohl in Zukunft Bestand haben würde.

Aber es geht um die Grundhaltung, die er damals einnahm im Vergleich zu der, die wir heute so oft vorfinden. Es geht um Zuversicht und Vertrauen versus Mutlosigkeit und Misstrauen.

 

Nun können wir als Christen keiner Gesellschaft vorschreiben aufgrund unseres Glaubens doch bitte mutiger und hoffnungsvoller zu sein. Aber wir können es anbieten und vorleben. Und da gibt es m.E. noch viel Luft nach oben, denn es sieht doch in vielen Bereichen eher so aus, dass die gesellschaftliche Stimmung auf uns abfärbt und nicht umgekehrt. Auch wir Christen lassen uns von den vielen Problemen dieser Welt herunterziehen, auch wir machen uns große Sorgen um die Klimaveränderungen, auch wir sehen mit Schrecken darauf, wozu totalitäre Systeme auch heute noch in der Lage sind, auch wir betrachten manche gesellschaftliche Entwicklungen mit Misstrauen und Skepsis. Und das ist ja auch gut und richtig so. Wir leben ja auf keiner Insel. Christen sind Teil der Welt und sollen es auch sein.

Aber unsere Einstellung zu all diesen Ereignissen und zur Gesellschaft ist eine andere- oder könnte eine andere sein.

 

Bekanntlich sollen wir Licht der Welt  und Salz  der Erde sein. Für das Dunkel der Skepsis und des Pessimismus sind andere zuständig, nicht Christen, für die Geschmacklosigkeit mancher gesellschaftlicher Formen und Systeme sind andere zuständig, nicht Christen.

Wir sind für Hoffnung, Zuversicht, Mut und Vertrauen zuständig. Das ist unsere Ressource, die wir in die Welt einbringen können und sollen.

Wir leben aus den Momenten der Glückseligkeit des Glaubens, der Begegnung mit Gott. Davon erzählt ja die Geschichte von der Verklärung Jesu auf dem Berg heute. Sie erzählt von Momenten des Glücks, der Klarheit über Sinn und Unsinn unseres Lebens, von Augenblicken, in denen wir erkennen, wozu wir hier sind und dass wir getragen sind von etwas Größerem, das wir als Gott bezeichnen. Lichte Momente, die aber nie von Dauer sind, nicht festgehalten werden können. Da können wir noch so oft anbieten drei Hütten zu bauen. Das funktioniert nicht. Die Momente der Gottesbegegnung und der Klarheit sind die Ausnahme, nicht die Regel und können nicht dauerhaft hergestellt werden.

ABER: sie bleiben in unserer Erinnerung, bleiben haften als Orientierungspunkte, werden Licht in der Welt und zum Salz der Erde.

 

Christen leben aus der Zuversicht, weil sie wissen oder zumindest ahnen, dass da mehr ist als das, was wir sehen, hören oder fühlen müssen.

Sie können damit anders mit den Krisen der Welt umgehen. Sie halten sich nicht für die letzte Generation und haben immer die Hoffnung, dass die Schrecken der Welt nie das letzte Wort haben, sondern nach dem Kreuz immer die Auferstehung folgt.

 

Und wer das als Grundhaltung verinnerlicht hat, wird immer bereit sein, nach neuen Wegen zu suchen und sich auf diese einlassen- wie Abraham eben. Dieser hat nicht versucht, seine Schäfchen ins Trockene zu bringen, was jeder ihm mit seinen 75 Jahren gegönnt hätte. Er hat sich nur ausgestattet mit der Vision von einer besseren, von Gott für Generationen gesegneten Welt aufgemacht in ein ihm unbekanntes Land.

Das muss für uns nicht ein physisch neues Land sein- unser neues Land ist die Zukunft.

Wir dürfen als Abrahams Kinder darauf vertrauen, dass unser neues Land Segen bringt, dass wir Zukunft haben und dass diese eine Gute ist.

Nach wie vor haben wir die Mittel dazu, dieses neue Land, diese Zukunft gut zu gestalten. Wir müssen sie nur ergreifen und uns getragen vom Vertrauen auf Gott zutrauen, dass wir etwas verändern können, dass wir Wege finden werden- mit ihm.

So sind die alten Geschichten  zwar historisch gesehen in der Tat alte Geschichten, aber neu gelesen können sie immer wieder ihre alte Kraft für ein neues Land, das wir Zukunft nennen, entfalten.