26. Februar, 1. Fastensonntag

Ich weiß nicht wie es Ihnen geht. Aber seit der Pandemie und dem Krieg liest man die biblischen Texte mit anderen Ohren. Altvertrautes bekommt plötzlich eine neue Farbe, gewohntes Denken wird hinterfragt oder Situationen, die einem bisher in der Bibel fremd erschienen, weil sie nicht unserem Alltag entsprechen erscheinen plötzlich gar nicht mehr so fremd und fern.

Manches liest man wie durch eine neue Brille, es werden andere Schattierungen wahrgenommen oder Texte bekommen eine Tiefe, die man bisher übersah.                                                     Und das betrifft nicht nur Wörter wie z.B. Frieden, die offensichtlich die Gegenwart ansprechen, sondern auch davon weiter entfernte Begriffe, Texte oder Geschichten.

So auch die heutige von der Versuchung Jesu in der Wüste. Es geht ja nicht um die Versuchung Jesu in dieser Zeit der 40 Tage vielleicht Alkohol trinken zu wollen oder Süßes essen zu mögen, es geht um etwas sehr Handfestes, etwas, mit großen Auswirkungen auf alle. Es geht um die Versuchung der Macht.

Mit drei sehr attraktiven Angeboten versucht der Teufel, Jesus dazu zu verführen, IHN statt Gott zu verehren.

Zum einen: Aus Steinen Brot zu machen, in Märchen wäre das aus Stroh Gold zu schaffen, und im modernen Kapitalismus aus niedrigen Bedürfnissen großes Geld zu machen.

Dann: Lieber dem Teufel zu vertrauen als der Führung Gottes, sprich, sich einzubilden, sich selbst aus dem Sumpf ziehen zu können statt seines Lebens in die Hände Gottes zu legen

Und das dritte: über alle Reiche der Erde zu herrschen.           Dieser letzte Punkt benötigt kaum der Ausdeutung: Wohin die Versuchung führt, andere Reiche zu beherrschen wird uns gerade mit großer Brutalität unter die Nase gerieben.

Diese Geschichte nimmt in der Bibel einen breiten Raum ein. Sie kommt in drei von vier Evangelien vor und bekommt damit eine große Relevanz. Es muss also Wichtiges dahinterstecken.

Nun, zum einen wird es wohl darum gehen, die menschliche Seite Jesu darzustellen. Der Satz, dass Gott in Jesus ganz Mensch geworden war, konnte nur wahr sein, wenn Jesus auch die Versuchungen kannte, denen Menschen ausgesetzt sind. Menschliches Leben ohne Versuchungen auch das falsche zu tun, ist kein menschliches Leben.                                            Zum menschlichen Leben gehört die Freiheit, mich für oder gegen etwas zu entscheiden, mich auf die falsche Seite ziehen zu lassen oder auf die richtige. Ohne das, wäre Jesus nicht ganz Mensch gewesen.

Zum anderen aber kommt diese Geschichte von der Versuchung Jesu gleich dreimal in der Bibel vor, weil sie nicht nur eine Geschichte Jesu ist, sondern eine des Menschen; eine eines jeden Menschen.

Wir erschrecken ja nicht nur deswegen vor einem Menschen wie Wladimir Putin so sehr, weil er so schlimme Dinge zu verantworten hat, nicht nur, weil er indirekt einen großen Einfluss auch auf unser eigenes Leben hat und man nicht weiß, wie groß dieser noch werden wird, sondern auch, weil wir vor den Möglichkeiten des Menschen an sich erschrecken.                   Wie oft entfährt uns ein Satz wie „Schrecklich, wozu Menschen in der Lage sind“.                                                                         Ja genau.                                                                                         Schrecklich, wozu Menschen in der Lage sind, schrecklich wozu WIR in der Lage sind.                                                                        Wir erschrecken vor uns selbst.                                                          Wir erschrecken davor, wozu wir fähig sind, wenn uns die Möglichkeiten dazu gegeben sind.                                                  Wir wissen nicht, welche Art von Präsident wir würden, hätten wir die Macht in unserer Hand, könnten wir aus Steinen Brot machen oder die ganze Welt beherrschen.

Mit Blick auf die Lügen und die Brutalität der herrschenden Clique in Moskau erschrecken wir auch vor den eigenen Abgründen der menschlichen Seele.

Die Versuchung zum Guten, aber eben auch die Versuchung zum Bösen ist umso größer, je mehr Möglichkeiten ich dazu habe. Je freier meine Hände sind, je größer ist das Potential Wunderbares zu tun, aber eben auch Entsetzliches anzurichten.

Wir wissen ziemlich genau, wie groß für UNS die Gefahr gewesen wäre, hätte man uns auch nur EINES dieser Angebote gemacht, die der Teufel Jesu gemacht hat.

Aus Steinen Brot machen? Junge, wäre damit eine Menge Geld zu verdienen. Los damit.

Alle Reiche der Erde zu beherrschen? Na klar, da könnte ich es endlich besser machen als die vielen Versager.

Hätte ich nein gesagt? Hätten Sie nein gesagt? Vermutlich nicht.

Jesus hat es.                                                                                        Klar, werden Sie sagen, der war ja auch der Sohn Gottes. Der hatte die Kraft dazu.

Nein, er war auch ganz Mensch. Genau darum geht es ja in der Geschichte. Er war den Versuchungen des Lebens genauso ausgesetzt wie wir. Zum Sohn Gottes machte ihn etwas anderes. Und das war die unerschütterliche Gewissheit, in untrennbarer Gemeinschaft mit Gott zu leben. Zwischen Jesus und Gott passte kein Blatt Papier und erst recht nicht der Teufel und seine Versuchungen. Für Jesus hatten diese Dinge keine Anziehungskraft, weil er von ihrer Nichtigkeit wusste. Sie bedeuteten nichts für ihn.                                                                            Für uns erscheint es unglaublich attraktiv, eine solche Machtfülle zu haben. Was wir doch damit Großartiges erreichen könnten, für die Welt, für die Menschen – und, das muss man hinzufügen- für mich. Was könnte ich damit für MICH erreichen:  Ansehen, Ruhm und zwar möglichst unvergänglich. Von mir würde man sprechen wie von Cäsar, Alexander dem Großen oder Abraham Lincoln. Unvergänglicher Ruhm.

Jesus aber war an das WIRKLICH Unvergängliche gebunden. An den Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit. Er war seines göttlichen Ursprungs gewiss und ebenso seiner göttlichen Bestimmung. Was waren die Reiche der Erde gegen das ewige Reich des Lichts und der Liebe? Bei Gott war er ewig geliebt, ewig anerkannt, ewig gerühmt, sozusagen. Er brauchte nicht die Anerkennung und Bewunderung der Menschen, weil er sie durch Gott spürte. Er musste nicht darum kämpfen, weil sie ihn schon ewig umgab.

Warum sich in die Gefahr zu begeben, statt als Mahatma  Gandhi als Josef Stalin oder Adolf Hitler in die Geschichte einzugehen?

Nein, je mehr Macht ein Mensch besitzt, desto größer ist die Gefahr, dass sie sich seiner bemächtigt- und am Ende nur Schrecken und Trümmer zurückbleiben.

Seien wir um unserer Seele willen froh darum, nicht über eine solche Machtfülle zu verfügen wie die Putins dieser Welt sie innehaben. Vielleicht würden wir dann über uns selbst erschrecken.

Es ist schwer sich unter dem Bombardement der schlimmen Nachrichten in diesen Tagen sich den Zugriffen der Angst und der Furcht zu entziehen.  Es ist zutiefst menschlich, sich um die eigene Zukunft Sorge zu machen, verunsichert zu sein, wenn das, was man sich für das eigene Leben vorgestellt hat, in der Gefahr steht, anders zu verlaufen.

Versuchen Sie es dennoch. Auch wenn zwischen uns und Gott oft genug mehr steht als uns lieb ist, auch wenn zwischen uns und ihm mehr als nur ein Blatt Papier passt, ist das Beispiel Jesu aber eines an das ich mich immer wieder aufrichten kann und auf das ich mich ausrichten kann, es mir zum Maßstab machen kann.

Lassen wir nicht nach darin, uns der Versuchung des Bösen entgegenzustemmen, bekämpfen wir den Hass, suchen wir das Gute, lassen es konkret werden in den vielen Möglichkeiten, sich für die Menschen einzusetzen, die im Moment Entsetzliches durchmachen müssen. Und arbeiten wir mit Gebeten, mit Innehalten und Meditation daran, uns unsere Nähe zu Gott zu vergewissern. Denn dann ist die Wahrscheinlichkeit größer, den Versuchungen etwas entgegensetzen zu können, weil ich erahne und spüren darf, schon gerühmt und geliebt zu sein- und zwar nicht nur für ein paar Jahrhunderte menschlicher Geschichte, sondern von Ewigkeit zu Ewigkeit.