12. März, 3. Fastensonntag

Seit Aschermittwoch steht die Sanduhr hier in unserer Kirche und erinnert auf stille Weise an das Vergehen der Zeit. Erstaunlich viele Menschen haben mich inzwischen darauf angesprochen und äußern ihre Faszination.
Es hat offenbar etwas Meditatives, den feinen Sand in regelmäßigem dünnem Strahle von oben nach unten fließen zu sehen, in Stille ohne großen Aufhebens, aber unerbittlich.

So werden wir erinnert an das ständige Vergehen von Zeit, an das Weiterrücken allen Erlebens, an die Vergänglichkeit des Lebens.

Das regelmäßige Laufen des Sandes täuscht dabei etwas vor, das wir so gar nicht erleben: Für uns vergeht Zeit in unterschiedlichem Tempo, in schönen Momenten bekanntlich viel zu schnell und beim Zahnarzt viel zu langsam.
Nur die Uhren täuschen uns ein regelmäßiges, unerbittliches Verlaufen der Zeit vor.

Aber gerade diese vermeintliche Unerbittlichkeit führt zum Nachdenken über die Zeit, über MEINE Zeit, über meine Lebenszeit.

Und dies wiederum lässt mich darüber nachdenken, welche Akzente ich in meinem Leben bisher gesetzt habe, lässt mich über meine Beweggründe nachdenken, über meine Ziele.
Was will ich vom Leben?
Was erwarte ich von meinem Leben?
Was bin ich bereit dafür einzusetzen?
Wohin soll die Reise gehen?
Und was gibt mir Kraft auf dieser Lebensreise? Was gibt mir Nahrung?
Sowohl in der ersten Lesung als auch im eben gehörten Evangelium spielt das Wasser eine Rolle.
Im der Lesung schreien die Menschen, die sich unter Moses Führung aus Ägypten ins Gelobte Land aufgemacht haben, nach Wasser. Sie drohen in der Wüste zu verdursten.

Wer einmal in der Wüste war (oder auf einem langen Pilgerweg) und bemerkt wie schnell das mitgebrachte Wasser verbraucht wird, es sich einteilen muss, um am Ende noch etwas übrig zu haben, bekommt einen Eindruck davon, wie überlebenswichtig Wasser ist. Ohne Nahrung geht es für eine Zeit, ohne Wasser nicht.
Und nicht umsonst ist das Wasser zum wichtigsten Symbol beim Aufnahmeritus der Kirchen geworden. Manche Freikirche taucht den Täufling immer noch ganz unter, taucht ihn ein in das Wasser, das Leben bedeutet, auf das es ihn ganz umfängt.

Und im heute gehörten Evangelium treffen sich Jesus und die namenlose Samariterin an einem Brunnen, um ihren Durst zu löschen. Die Geschichte ist sehr komplex und wir haben sie heute nur in Ausschnitten gehört- es geht um viele Themen und auch um einen Nebenschauplatz, zumindest aus unserer Sicht heute. Nämlich den, dass Jesus als Jude eigentlich keinen Kontakt mit einer Samariterin haben darf.
Das lasse ich heute aber einmal unbeachtet.

Bleiben wir beim Wesentlichen, wortwörtlich, beim Wasser, dem Wesentlichen, was zu unserem Wesen gehört, denn wir bestehen bekanntlich zu großen Teilen aus eben diesem Wasser. Und die Frage nach dem Wesentlichen könnte damit kurz und schnell beantwortet werden: Was ist wesentlich für das Leben des Menschen?
Wasser halt, so wäre die völlig richtige Antwort.
Man kann diese Frage aber auch auf andere Bereiche, Elemente und Dinge im Leben übertragen.
Also: Was ist für Sie wesentlich in Ihrem Leben?
Worauf wollen Sie auf keinen Fall verzichten?
Was gehört für Sie zu einem gelungenen Leben dazu?
Was braucht es für Sie zum Zufriedensein?
Ich lasse Sie mit diesen Fragen nun für einen Moment alleine. Dazu spielt die Orgel.

Meditatives Orgelspiel

Ich weiß nicht, was Ihnen an Gedanken gekommen ist. Welche Dinge Ihnen eingefallen sind? Ob es materielle oder ideelle Dinge waren. Drehte es ich um Partnerschaft und Beruf, um Karriere und Gesundheit? Spielte materielle Sicherheit eine Rolle? Frieden, Freiheit, Reisen können, gesunde Kinder?
Was auch immer es war- entscheidend ist, dass es ehrliche Gedanken waren.
Was also ist für Sie wesentlich?

Die Frau am Jakobsbrunnen des Evangeliums hat beim Anblick des Brunnens offenbar ähnliche Erfahrungen gemacht wie wir beim Anblick der Sanduhr. Der immer wiederkehrende Durst und die Notwendigkeit des Trinkens haben sie offenbar ins Nachdenken über das Leben gebracht. Über die Vergeblichkeit, bestimmte Bedürfnisse dauerhaft zu befriedigen.
Essen, Schlafen und eben auch das Trinken müssen schlichtweg sein- ohne geht es nicht.
Auch wenn wir dem, zumindest in unseren Breiten manchen Genuss abringen können, bleibt es doch in anderen ein ständiger Druck: wie viele Menschen sind zunehmend in vielen Weltgegenden ständig damit beschäftigt, Nahrung für die eigene Familie zu finden. Dürren und stark erhöhte Lebensmittelpreise fordern ihren Tribut und machen manchem das Überleben schwer.
Ach gäbe es dieses Bedürfnis doch nicht- mag sich die Samariterin gefragt haben. Und so philosophiert sie mit Jesus über ein Wasser, das den Durst auf ewig löscht. Und so sagt sie zu ihm: Herr, gib mir dieses Wasser, damit ich keinen Durst mehr habe und nicht mehr hierherkommen muss, um Wasser zu schöpfen!
Eine Bitte auf ganz praktischer Ebene: gib mir das Wasser, das es mir endlich erspart ständig, Tag für Tag diesen mühsamen Weg zu gehen.
Dabei hatte Jesus von einem anderen Wasser gesprochen: wer aber von dem Wasser trinkt, das ich ihm geben werde, wird niemals mehr Durst haben;
vielmehr wird das Wasser, das ich ihm gebe, in ihm zu einer Quelle werden, deren Wasser ins ewige Leben fließt- so hatte er gesagt.

Es geht um den Lebensdurst, um die Sehnsucht nach erfülltem Leben, es geht um eine Zufriedenheit, die zu echtem Frieden führt, innerlichem und äußerlichem.
Das bietet Jesus ihr an, übrigens grenzenüberwindend, denn er ignoriert, dass er als Jude mit ihr keinen Kontakt haben dürfte. Seine Zusage, von ihm so genanntes „lebendiges Wasser“ zu geben, kennt keine Grenzen, fließt grenzenlos.

Was heißt das konkret?
Überprüfen Sie noch einmal, welche Dinge Sie eben für sich gefunden haben. Welche Eigenschaften hatten oder haben sie? Materielle? Ideelle? Wie vergänglich sind sie? Sind sie unerschöpflich? Muss ich mich jeden Tag um sie sorgen?

Ich befürchte, dass wir auf die Frage nach der Unerschöpflichkeit in den meisten Fällen mit Nein antworten müssen und auf die Frage nach der täglichen Sorge mit Ja.
Die meisten Dinge, die uns bestimmen, sind eben das: Dinge, die die Eigenschaft des Wassers haben: Wir benötigen sie, aber wir bekommen nie genug von ihnen. Wir brauchen sie immer wieder.

Vor einigen Tagen wurde berichtet, dass die Reisebuchungen der Deutschen fast wieder Vor-Corona-Niveau erreicht haben. Auch wenn ein 14-tägiger Urlaub für eine vierköpfige Familie auf Mallorca in dieser Saison leicht 5.000€ kosten kann, wird gebucht- auf Teufel komm raus sozusagen.
Nicht, dass ich das jedem Einzelnen nicht gönnen würde, schließlich werde ich wie selbstverständlich auch wieder verreisen.
Aber mir hallt immer noch in den Ohren nach, wie es während der ersten Phase des Corona-Lockdowns so oft hieß: Danach wird alles anders. Unsere Werte werden sich verschoben haben.
Schön wär’s und damals war ich schon skeptisch, ob das tatsächlich so sein wird. Nein, unsere Lebens- und vor allem unsere Wirtschaftsweise ist so auf Wachstum, auf immer mehr und mehr aufgebaut, dass es uns in Fleisch und Blut übergegangen ist.
Wir werden uns doch nicht von einer blöden Pandemie davon lösen wollen;
und vor allem schallt es uns auf allen Kanälen immer wieder als Heilmittel der vergangenen Krise entgegen: Wachstum, Wachstum, Wachstum. Das ist es was wir brauchen.
Das hat uns ja auch auf ein unglaubliches zivilisatorisches Niveau gebracht;
allerdings mit erheblichen Kosten verbunden, weil- und so möchte ich es einmal formulieren, weil leider nur das Materielle gewachsen ist, das Ideelle eher nicht, zumindest nicht im gleichen Maße. Vor allem, weil diese Art des Wachstums dem Wunsch des Einzelnen überlassen ist, während das wirtschaftliche Wachstum als alleinseligmachende Droge von allen Entscheidungsträgern als das Allerheiligste verkündet wird.

Jesus damals ging es im Dialog mit der Samariterin um das immaterielle Wachstum, um die Konzentration auf das, was am Ende wirklich wichtig ist, essentiell, wesentlich ist.
Was das ist?
Dabei helfen mir die Antworten von Menschen weiter, die kurz vor ihrem Tod stehen. Kaum einer sagt dann, dass ihm im Rückblick die vielen Reisen, die erworbenen Häuser, der angehäufte Wohlstand wichtig war, sondern die Beziehungen zu Menschen, Freundschaften, Lebenspartner, Kinder, Momente der Harmonie, der Gemeinsamkeit, der Liebe. Dinge, die Ewigkeitswert haben, weil sie das Materielle übersteigen und damit unvergänglich sind. Die Erfahrung der Liebe kann mir niemand nehmen, nicht die Freundschaft, die mir geschenkt wurde oder die ich gegeben habe oder das Glück, ein Kind ins Leben geführt zu haben.
Ein aufmerksamer Zuhörer könnte nun einwenden, dass Jesus davon nun wirklich nicht gesprochen hat, weder in der heute gehörten Evangeliumslesung noch an irgendeiner anderen Stelle. Und das stimmt auch.
ABER: Für ihn hatte Ewigkeitswert die Beziehung zu seinem Vater, zu Gott. Der Gott der Liebe, der Gott, der die Liebe ist. Und das kann ich nicht oft genug wiederholen: Überall wo Liebe ist, ist damit auch Gott; wenn Gott die Liebe ist, dann ist die Liebe Gott- und wenn Sie Liebe geben oder Liebe erfahren, dann finden Sie dort Spuren Gottes, denn die Liebe verbindet uns untereinander und mit ihm- über den Tod hinaus.
Sie ist das Wesen Gottes und deswegen für uns so wesentlich. Ohne sie können wir nicht sein- genauso wenig wie ohne Wasser. Nur bekommen wir nach jedem Glas Wasser irgendwann wieder Durst, nur die Liebe herrscht nach einem anderen Gesetz: einmal von ihr tief berührt, erfüllt sie mich dauerhaft. Sie ist das lebendige Wasser, das nie versiegt.