32. Sonntag, 7. November, Die arme Witwe

Diese arme Witwe macht mich immer wieder aufs Neue sprachlos.

Was reden wir doch gerne davon, wie wir teilen sollten, wie wir die Augen nicht vor dem Leid der Anderen verschließen sollten und wir wir uns einsetzen sollten zur Verbesserung der Lage von Armen.

Und diese Witwe tut einfach.

Ja, es macht mich sprachlos- weil es so einfach ist. Sie gründet keine Arbeitsgruppe, keinen Verein, in dem erst einmal das Pro und Contra diskutiert wird, die Armut analysiert wird, alternative Möglichkeiten der Unterstützung aufgezeigt werden oder nach Hilfsprogrammen gesucht wird, die schon existieren, um den angestrebten Sozialplan zu untermauern.

Sie wirft das was sie hat in den Opferkasten.

 

Ob das klug ist? Sie hat dann ja nichts mehr für sich selbst und ist nun ihrerseits auf Almosen angewiesen. Das kann doch nicht der Weisheit letzter Schluss sein.

 

Und schon ertappe ich mich dabei wie ich versuche diese Stelle zu relativieren, damit sie für mich lebbar wird.

Ich merke wie ich ihr den Stachel ziehen will, damit es nicht so weh tut.

Es kann doch nicht der Wille Gottes sein, mich ganz arm zu machen, damit es anderen besser geht, so sagt mir mein Verstand. Und mit der großen Routine jahrzehntelanger Bibelauslegung kürze ich die Stelle wieder so zusammen, dass sie am Ende ihre Kraft verliert, harmlos wird und zeichne sie als die Übertreibung Jesu, die er vorgenommen hat, um uns auf etwas Wesentliches aufmerksam zu machen.

Und dazu gäbe es auch Ansatzpunkte: ich könnte darauf hinweisen, dass es Jesus immer darum ging, uns auf unseren wahren Kern unserer Existenz zu besinnen, darauf, dass wir zu Gott gehören und uns die Konzentration auf das Haben vom echten Sein entfernt. Dass er deswegen dieses überzeichnete Bild der Hingabe zeichnet, um uns darauf hinzuweisen, dass wir uns nicht vom Materiellen abhängig machen sollten.

Das wäre sicher nicht falsch- ganz sicher nicht. Aber es macht die einfache Geschichte schon wieder kompliziert. Es bleibt die Tatsache, dass die Witwe eben fast alles gab, was sie hatte. Sie hat das nicht als geistliche Übung aufgefasst, um sich von ihrem Streben nach dem Materiellen zu lösen, sondern sie hat gegeben, um anderen zu helfen. Ganz einfach.

 

Ein anderer Verstehenspfad könnte sich auf das Vertrauen richten, das bei der Frau zum Ausdruck kommt. Vertrauen gegenüber Gott.

Und das ist sicherlich vollkommen richtig.

Auch die Lesung, die wir heute aus dem AT gehört haben, die Stelle, die ebenfalls von einer Witwe berichtet, die ihr Letztes für einen Fremden gibt, nämlich die Geschichte der Witwe von Sarepta ist ja vom Vertrauen geprägt.

Beide Witwen geben, weil sie vertrauen.

Sie glauben schlichtweg daran, dass Gott ihnen helfen wird, dass er sie nicht verlassen wird. Bei der Witwe von Sarepta ist es dann auch so. Ihr Vertrauen wird belohnt.

Sie gab ihr Letztes für Elija, der zu Besuch war und seitdem wurde ihr Mehltopf nicht leer und der Ölkrug versiegte nicht.

 

Von der Witwe im Tempel wird allerdings nichts Vergleichbares berichtet. Sie dient nur als Beispiel.

Ob ihr Vertrauen belohnt wurde? Man weiß es nicht.

Vielleicht ist sie auch schlichtweg verhungert, weil sich ihrer niemand erbarmte.

 

Und so bleibt sie vor unseren Augen stehen. Als Mahnung, als Erinnerung, als dauernde Aufforderung.

Es bleibt der Satz Jesu im Ohr hängen, dessen erster Teil genau uns beschreibt und dessen zweiter Teil als SEIN Weg dargestellt wird:

Denn sie alle
haben nur etwas von ihrem Ãœberfluss hineingeworfen;
diese Frau aber, die kaum das Nötigste zum Leben hat,
sie hat alles hergegeben, was sie besaß,
ihren ganzen Lebensunterhalt.

So gern ich es täte, alleine um selbst besser mit dieser Stelle leben zu können, aber es geht nicht.

Wir alle haben nur etwas von unserem Überfluss gegeben und fühlen uns dabei noch so großartig wie die Schriftgelehrten, die Jesus ebenfalls beschreibt:
Sie gehen gern in langen Gewändern umher, lieben es, wenn man sie auf den Marktplätzen grüßt, und sie wollen in der Synagoge die Ehrensitze
und bei jedem Festmahl die Ehrenplätze haben. Sie fressen die Häuser der Witwen auf und verrichten in ihrer Scheinheiligkeit lange Gebete.

 

Wenn ich aufgefordert würde, uns, mich natürlich eingeschlossen, mich dem ein oder dem anderen Teil der Geschichte zuzuordnen, wäre es eigentlich klar, wem wir mehr ähneln. Sicher nicht der Witwe, eher denen, die in langen Gewändern umhergehen, sich freundlich begrüßen lassen, sich in ihrer Wichtigkeit sonnen und dabei übersehen, dass sie in ihrer selbstgefälligen Lebensart, den Witwen und Armen in anderen Teilen der Welt gerade die Häuser auffressen.

Sich ehrlich machen- so würde ich das nennen. Das wäre der erste Schritt.

Das Vertrauen auf Gott wachsen lassen der zweite. Und der dritte wäre dann tatsächlich, dem Beispiel der Witwe zu folgen: Hergeben, was man hat, damit andere leben können.

Um der Stelle gerecht zu werden, kann ich leider zu keiner anderen Auffassung kommen.

Aber es hat ja auch niemand gesagt, dass Christsein immer einfach ist. Auch nicht, dass man als Christ so leben kann oder soll wie die anderen.

Jedenfalls hat uns Jesus nicht den Durchschnittsbürger als Beispiel vor Augen gestellt, sondern den Armen, denjenigen, der eh schon nichts hat und denjenigen, der bei unseren Empfängen und Veranstaltungen eher übersehen als in den Mittelpunkt gestellt wird. Das ist nun mal die vielleicht bittere Erkenntnis, die sich aus dieser Textstelle ergibt.

Was wir daraus machen, ist uns in die Hand gegeben.

Das kann uns niemand abnehmen.

Das ist das Los des freien Christen, der sich nur einem zu verantworten hat.

Dem Gott Jesu Christi.