20.11.21 Ök. Gottesdienst zum Totengedenken: Der Tod- und was danach?

Ach, wenn wir es doch wüssten. Ach gäbe es doch Verstorbene, die zurückgekommen sind und uns berichten würden, was wir nach dem Tod zu erwarten haben.

Leider gibt es das aber nicht.

Was es aber gibt, sind die verschiedensten Vorstellungen davon, was nach dem Tod kommen wird. In allen Religionen gibt es Ideen vom Jenseits, darüber ob und wie z.B. ein Verstorbener bewertet wird, manche, wie z.B. das tibetanische Totenbuch haben strikte Regeln darüber wie man sich auf den Tod vorbereiten sollte und in welchen Phasen das Sterben und der Übergang in das Jenseits vonstattengehen wird.

Viele Religionen trennen scharf zwischen Körper und Seele und halten eine lange Reihe von Wiedergeburten für wahrscheinlich.

Wieder andere erwarten Orte der Belohnung oder der Verdammnis. Und für viele Religionen gilt, dass sich innerhalb des eigenen Glaubens die Vorstellungen über das Danach verändert haben, manchmal sogar so, dass es zunächst überhaupt keinen Glauben an ein lohnenswertes Danach gab, dieses sich dann aber im Laufe der Geschichte entwickelt hat, wie man das vom Judentum z.B. behaupten kann.

Und auch im Christentum gibt es bekanntlich beim genaueren Hinsehen Entwicklungen bzw. Unterschiede, die man an den Stichworten Himmel, Hölle und Fegefeuer festmachen kann.

 

Was also tun? Wer hat recht? Was soll ich mir vorstellen oder sollte ich es wie die Agnostiker halten und mir einfach keine Vorstellungen machen, das Leben leben und dann mit keinerlei Erwartung auf das Ende zugehen?

Nun, redlich ist es nur, wenn man zugleich  zugibt, dass niemand mit völliger Sicherheit sagen kann, was denn nun wahr sein wird und sich aber gleichzeitig auf die Zeugnisse derer einlässt, die vor uns gelebt haben, und uns Weisung aus tiefer Frömmigkeit und Gottverbundenheit gegeben haben.

Sie sehen, ich formuliere das alles sehr vorsichtig, nicht, weil ich keine eigenen Erwartungen und Vorstellungen über das Jenseits hätte, sondern, weil es niemand wirklich wissen kann.

Es geht nicht über das Wissen, sondern über den Glauben, es geht nur über eine tiefer und tiefer werdende Beziehung zu Gott, über ein Sich-Versenken in die Glaubenserfahrungen der anderen und der eigenen.

Dann kann der  Glaube an das Jenseits- nicht zum Wissen- aber zur Gewissheit werden, die einen das Leben -und auch den Tod- aus einem anderen Blickwinkel sehen lässt.

 

So geht es mir jedenfalls. Meine Vorstellungen sind gewachsen durch Lebens- und Glaubenserfahrungen, die auf bestimmten biblischen Zeugnissen ruhen und sich daraus entwickelt haben.

 

Der für mich alles überragende Satz in Bezug auf den Glauben und damit auch auf meine Vorstellungen vom Jenseits ist die bekannte Gleichsetzung Gottes mit der Liebe aus dem 4. Kapitel des 1. Johannesbriefes:  Geliebte, wir wollen einander lieben; denn die Liebe ist aus Gott und jeder, der liebt, stammt von Gott und erkennt Gott.

8 Wer nicht liebt, hat Gott nicht erkannt; denn Gott ist Liebe; so heißt es da.

Gott ist die Liebe.

 

Kann die Liebe etwas willentlich loslassen, verdammen oder vergessen?

Wohl kaum.

Der Charakter der Liebe ist doch, dass sie immer wieder neu den Geliebten sucht, ihm nachgeht, immer wieder eine Chance gibt, mit ihm zusammen sein will, möglichst nahe.

Der Charakter der Liebe ist, das Geliebte nie aufzugeben, ihm nur das Beste zu wünschen, es nie außenvorzulassen.

Liebe kann nicht hassen, Liebe kann nicht wüten, Liebe kann nicht zwingen;

Liebe wartet auf das Geliebte, dass es zurückkommt, zurückfindet- und wenn es eine ganze Ewigkeit dauert.

 

Wenn das die Grundannahme über Gott ist, dann bin ich als Mensch immer von der liebenden Gegenwart Gottes umfangen, immer. Das spüre ich nicht immer, manche nur sehr selten, andere sogar nie. Das bedeutet aber nicht, dass diese Liebe nicht da ist. Es bedeutet eher, dass ich mich dieser Liebe gegenüber verschlossen habe oder nicht weiß, wo und wie ich sie suchen soll, oder mir dafür nicht meine Sinne geschärft habe.

 

Gott ist die Liebe.

Und wenn das so ist und die Liebe nie aufhört, Gott nie aufhört, Gott ewig ist, Gott immer ist, dann wird die Liebe, dann wird Gott auch nie aufhören, den Geliebten  zu suchen und zu finden. Es ist per definitionem der Liebe nicht möglich, das Geliebte aufzugeben.

Und ausgerechnet der Tod soll für die Liebe eine unüberwindliche Grenze bedeuten? Für den, der der Ursprung allen Seins ist, soll ausgerechnet der Tod das Ende der Liebe bedeuten?

Als wenn der Ewige, der Ewig-Liebende, der Ewig-Seiende nicht in der Lage wäre, diese Grenze zu überwinden. Was wäre das für ein Gott, für den der Tod eine solche unüberwindliche Barriere wäre? Das wäre jedenfalls nicht der Gott Jesu Christi.

 

Damit dürfte klar sein, dass die Gegenwart Gottes immer gilt, ob vor oder eben auch nach der Grenze des Todes. Sie ist für UNS eine Grenze, nicht für Gott.

 

Was heißt das dann konkret?

Nun, wenn wir sterben, stehen wir unmittelbar danach vor Gott. Ungebunden durch die Gesetze der physischen Welt, wird dann auch unsere Grenze der Erkenntnis überwunden sein.

Jetzt schauen wir in einen Spiegel / und sehen nur rätselhafte Umrisse, / dann aber schauen wir von Angesicht zu Angesicht. Jetzt ist mein Erkennen Stückwerk, / dann aber werde ich durch und durch erkennen, / so wie ich auch durch und durch erkannt worden bin– so schreibt es Paulus im 13. Kapitel des 1. Kor.Briefes.

Und weiter, im direkt darauffolgenden Vers:  Für jetzt bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; / doch am größten unter ihnen ist die Liebe.

Da ist sie wieder, die Liebe.

Dann stehe ich also vor der Liebe, pure Liebe.

Unser Erkennen ist hier nur Stückwerk, sagt Paulus. Somit sind auch unsere Erfahrungen beispielsweise der Liebe nur Stückwerk.

Wer aber hier in diesem Leben echte Liebe erfahren hat, weiß, wie umwerfend sie sein kann. Welche Kraft muss dann erst die wirkliche, die ewige, die unendliche Liebe haben?

Vor der stehe ich dann.

Und dann stelle ich mir vor, wie ich beschämt in mich hineinschaue, nach den Spuren der Liebe in meinem eigenen Leben schaue, bemerken muss, wie oft ich selbst eben nicht geliebt habe, manchmal gleichgültig war, manchmal wütend, manchmal sogar gehasst habe. Im Angesicht der ewigen Liebe werden meine Versuche der Liebe sehr mäßig wirken. Scham wird mich erfassen. Aber eben nicht nur.

Die Liebe, zumal die ewige, will verzeihen, vergeben, umarmen, einen Neuanfang wünschen und ermöglichen.

Im Angesicht der Liebe darf ich mich anschauen wie ich bin. Nichts muss versteckt werden. Nicht Gott wird mich mit Scham erfüllen, nicht er wird mich richten, ich selbst werde es tun. Ich selbst werde durch die Hölle der Erkenntnis gehen, vor meinem inneren Auge wird sich abspielen, wo ich versagt habe, wo ich Menschen Liebe versagt habe, wo ich sie ausgenutzt habe, verworfen oder aufgegeben habe. Nicht Gott wird das beurteilen, ICH selbst werde das tun.

Das kann für einige sehr schmerzhaft sein, höllisch weh tun.

Da ist sie, die Hölle, kein Ort an den mich ein rächender Gott verbannt, sondern eine Erfahrung, die ich an mir mache, weil mir meine eigene fehlende Liebe so weh tut.

Aber- und das ist die gute Botschaft dabei, ich tue das im Angesicht der ewigen Liebe, im Angesicht Gottes. DIESER verurteilt nicht, dieser schaut mit den Augen der Liebe auf mich, mit dem Feuer der Liebe.

Und dieses Feuer der Liebe läutert mich, um ein inzwischen altmodisches Wort aufzugreifen, dieses Feuer brennt hinweg, was nicht zur Liebe passt, ein Feuer der Liebe fegt über meine Spuren der Wut, des Ärgers und des Hasses hinweg- Fegefeuer.

Und dann ist Himmel, ewige Gemeinschaft, ewige Liebe.

 

Nun, darüber gibt es ja genügend Scherze und Witze, dass das ganz schön langweilig sein kann. Ewigkeit klingt für uns nicht immer sehr attraktiv. Wir können uns eigentlich kaum etwas vorstellen, was wir gerne ewig, für immer hätten. Der schönste Sonnenuntergang am schönsten Strand der Welt oder auf dem höchsten Berg der Erde wäre irgendwann langweilig. Die tollste Gemeinschaft mit Menschen oder mit einem geliebten Menschen wird gefühlt zur Bedrohung, wenn sie niemals endet, ewig währt.

Ewigkeit. Was ist sie? Nun, Ewigkeit ist die Abwesenheit von Zeit- so würde ich sie beschreiben. In der Ewigkeit gibt es keine Zeit, keine Vergangenheit und keine Zukunft, es gibt nur JETZT, nur Gegenwart. Das bedeutet nicht, dass die Zeit dann stillsteht, alle Uhren auf 12h mittags stehen, sondern es gibt keine Zeit. Ewigkeit umfasst alles, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.

Die Welt ist etwas  Geschaffenes, mit eigenen physikalischen Gesetzen. Die physikalischen Gesetze aber gelten ab der Grenze des Todes nicht mehr. Und wenn die Zeit zum  Geschaffenen der Welt gehört, was jeder Physiker oder Astronom zwar anders formuliert, aber dennoch so unterschreiben würde; wenn das so ist, dann gilt sie nach dem Tod nicht mehr. Der Tod beendet die Gesetze der physikalischen Welt, deren Grenzen gelten nicht mehr, dann ist grenzenloses Leben, grenzenlose Liebe, grenzenlose Nicht-Zeit, Ewigkeit.

Und damit ist auch ein Ansatzpunkt gefunden, mit dem sich ein scheinbarer Gegensatz auflösen lässt: Die Frage nach dem Jüngsten Gericht.

Die Bibel spricht ja davon, auf den jüdischen Vorstellungen beruhend, dass der Messias, dass Jesus eines Tages zurückkommen wird und dann die Welt zum Ende kommt.

Das scheint nicht zu der Vorstellung vom individuellen Tod zu passen, nach dem ich unmittelbar vor Gott stehe. Und dennoch passt es, wenn ich voraussetze, dass die Zeit nicht mehr existiert. Bei Gott ist immer JETZT, was für uns hier in Zukunft zu sein scheint, ist schon, was für uns in der Vergangenheit liegt, ist bei Gott noch. Alles fällt in eins: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, alles ist JETZT. Und wenn das so ist, fallen auch das sogenannte Jüngste Gericht und der individuelle Tod in eins. Ewiges und individuelles Gericht ist eins.

 

Ob das alles so stimmt? Ich weiß es nicht, aber ich bin gewiss.

Wenn Gott die Liebe ist, dann ist er um mich besorgt, wird mir vergeben, wird er immer wieder einen Neuanfang mit mir wollen und ermöglichen- auch über die Grenze des Todes hinaus, oder besser vor allem dort: denn dort ist alles grenzenlos: Gott, die Liebe und wir.