1. Advent

Lk 21, 25-36 1. Advent

 

So haben wir uns das ja nicht vorgestellt, mit dem Advent.  Eigentlich sollte der Advent- zumindest in unserer Vorstellung- doch dafür da sein, uns ein wenig zur Ruhe kommen zu lassen, die Welt mit ihren Problemen vergessen zu lassen, das immer schneller sich drehende Karussell unseres Planeten ein wenig zu bremsen, Licht ins Dunkel zu bringen, kurz: uns durchatmen zu lassen. Aber davon kann in diesem Jahr keine Rede sein. Die Welt mach einfach weiter. Dabei hat manch einer vielleicht auf milde und tröstende bibl. Texte gesetzt, aber auch das wird zumindest am heutigen 1. Advent nicht erfüllt.

 

Ich hätte Ihnen gerne ein entspannteres Evangelium vorgelesen,  vielleicht das von Jesus als dem Guten Hirten oder vom barmherzigen Vater. Aber nein, es muss eine Bibelstelle sein, in der es wieder mal um Katastrophen geht, gar um das Ende der Welt.

 

Das Ende der Welt- das war vielleicht in früheren Zeiten sehr hypothetisch, heute aber?

 

Sicher, früher erlebten viele Menschen durch unmittelbaren Krieg, durch kaum zu besiegende Krankheiten oder durch nicht abgesicherte Lebensumstände teilweise grauenvolle Zeiten.

Es war aber höchstens ihre eigene Welt, die unterzugehen drohte, nie die Ganze.

Auch, wenn es gefühlt für manche der z.B. während des 100-jährigen Krieges im 14. Jahrhundert lebenden Menschen so war als gäbe es keinen Ausweg, so war da in Wahrheit immer noch ein anderes Land, ein anderer Kontinent, eine andere Gesellschaft, in die man sich hätte – sehr theoretisch zwar- aber dennoch zurückziehen können.

 

Da hat sich in der Menschheitsgeschichte Dramatisches verändert.

Seit der Entwicklung der Atombombe unter Robert Oppenheimer Mitte der 40er Jahre hat die Menschheit die Mittel die GANZE Erde so zu verwüsten, dass kein Mensch mehr dort leben könnte und mit ihm ein Großteil der anderen Formen des Lebens.

 

 

Auch wenn das im Moment nicht sehr wahrscheinlich ist, so droht nun noch eine andere Kraft, das Leben, so wie wir es kennen so zu verändern, dass es für viele Menschen- und Tiere- zur Katastrophe werden könnte. Klimawandel und Artenschwund sind dazu die Stichwörter.

 

Und auch hier gilt wie für die Atombombe: da gibt es keinen anderen Kontinent, kein anderes Land, keine andere Gesellschaft, in die man sich zurückziehen und retten könnte. Spätestens seit den 40er Jahren des letzten Jahrhunderts sitzen wir alle im selben Boot. Keine Entscheidung bleibt ohne Folgen für andere, ob diese sie mittragen oder nicht.

Wir können uns noch so gegen die Weltgesellschaft wehren, noch so sehr versuchen, Mauern hochzuziehen, uns abzuschotten: Es geht nicht mehr- der Himmel ist offen.

Und damit meine ich nicht den biblischen Himmel, sondern den ganz konkreten irdischen:

Sowohl die Pandemie als auch jedes Klimaereignis, das uns alle früher oder später betrifft, oder jede „breaking news“, die wie ein Blitz um die Welt geht machen uns klar, dass wir wie ein großer Organismus nicht mehr voneinander zu trennen sind. Das kann man leugnen, nicht für wahr halten wollen oder ignorieren, aber dadurch wird es nicht weniger existent.

 

Jeder, der ein wenig durch die Welt kommt- und das sind in Brüssel ja viele, zumindest außerhalb von Pandemiezeiten merkt wie wir Menschen uns inzwischen immer ähnlicher werden. Flughäfen und ihre immer gleichen von Geschäften zugepflasterten Zugänge zu den Gates sind in Kapstadt oder Tokio, Buenos Aires oder Lagos, Peking oder Wien, Anchorage oder Djakarta kaum mehr zu unterscheiden.

 

Ein Pidgin-Englisch erobert die meisten Zungen der Welt, so dass früher oder später dieses zur Weltsprache wird, lokale Moden werden Folklore, bis auch der letzte Eskimo und Amazonasurwaldbewohner mindestens eine Jeans oder  Chino im Kleiderschrank, Iglu oder Zelt hängen hat.  Dass wir uns von den anderen separieren können, entpuppt sich immer mehr als Illusion. „Augen zu“ hilft da nicht.

 

Also: Die Welt wird eins, zu einem Zeitpunkt, an dem eben diese Welt von einzigartigen Gefahren bedroht ist, die wir entweder zusammen handhaben oder eben nicht, mit Folgen, die nur ansatzweise beschreibbar sind. Panikmache?

 

Ich weiß es nicht. Ich wünschte es, aber ist es egal, ob wir mehr und mehr Wetterextreme verzeichnen müssen- und zwar weltweit?

Ist es gleichgültig, dass die Erde ein Massensterben der Arten verzeichnet, das dem der Zeit des Aussterbens der Dinosaurier entspricht, nur in einem viel kürzeren Zeitraum?

 

Kann man da weitermachen wie bisher?

Kann man offenbar- jedenfalls tun die meisten von uns das.

Wir kennen die Gegenmittel, aber sind zu träge, zu müde, zu ignorant.

Die Arbeitsplätze, das Wirtschaftssystem, unser Wohlstand, unsere ganze Art zu leben würden so verändert, dass wir es nicht mehr wiedererkennen würden. Die Folgen der notwendigen Veränderungen wären für viele so dramatisch, dass wir es lieber aussitzen als uns darauf einzulassen, selbst auf die Gefahr hin, dass der Sitz, auf dem wir die Dinge aussitzen wollen, langsam aber sicher so heiß wird, dass wir eines Tages nicht mehr darauf sitzen können!

 

Und dahinein nun das Evangelium von heute: In jener Zeit sprach Jesus zu seinen Jüngern: Es werden Zeichen sichtbar werden an Sonne, Mond und Sternen und auf der Erde  werden die Völker bestürzt und ratlos sein über das Toben und Donnern des Meeres. Die Menschen werden vor Angst vergehen  in der Erwartung der Dinge, die über den Erdkreis kommen;
denn die Kräfte des Himmels werden erschüttert werden

 

So könnte man das ausdrücken, was wir gerade erleben.

 

Nun, wie schon so oft auch von mir gesagt: Zu allen Zeiten hatten Menschen den Eindruck, dass diese Zeilen genau für ihre Zeit geschrieben wurden und dennoch ging es immer weiter. Lösungen fanden sich, die zunächst noch nicht sichtbar waren, Positionen, Einstellungen und Blickwinkel veränderten sich und plötzlich sah die Welt wieder anders aus.

 

Das wird hoffentlich auch für unsere Zeit gelten, auch wenn die gegenwärtigen Probleme und immer wieder so bezeichneten Krisen dieses Mal WIRKLICH global, weltweit gelten. Das ist neu, das ist anders.

Dennoch werde ich nicht zum Endzeitpropheten. Denn zum Glück hört die Bibel ja an dieser Stelle nicht auf.

Dann wird man den Menschensohn  in einer Wolke kommen sehen,  mit großer Kraft und Herrlichkeit.

Kommt jetzt der Menschensohn? Auf einer Wolke? Mit großer Kraft und Herrlichkeit?

 

Wahrscheinlich nicht. Jedenfalls nicht so wie es diese Bilder scheinbar vermitteln. Wir wünschten uns zwar oft genug, dass endlich mal einer dazwischenfährt, alles zum Frieden verändert, aber so einer ist dieser hier sogenannte Menschensohn nicht, kein Supermann, kein Alleskönner, kein Übermensch, sondern ganz etwas anderes, nichts, was in menschliche Kategorien fallen würde: Jesus Christus, Gottessohn.

 

Fragen Sie mich nicht, wie dieses Bild gemeint sein kann, fragen Sie mich nicht, ob wirklich zu erwarten ist, ob Jesus so- und nur so zurückkommen wird. Ich weiß es nicht. Mein Glauben allerdings sagt mir, dass diese Welt, so wie sie ist, nicht der Endzustand ist, mein Glaube sagt mir, dass Gott sie umformen wird.

Und wenn das nur eine Hoffnung ist. Denn Hoffnung richtet mich auf, Hoffnung lässt uns atmen, die Hoffnung stirbt zuletzt oder besser: Ohne Hoffnung können wir nicht leben, gerade und vor allem dann, wenn vieles so hoffnungslos wirkt.

 

Und genau diese Spannung spiegelt sich im heute gehörten Text wieder, denn er geht ja immer noch weiter: Wenn dies beginnt, dann richtet euch auf und erhebt eure Häupter; denn eure Erlösung ist nahe.

 

 

Das ist der Satz, der mich in jedem Advent immer wieder neu am meisten anspricht: nicht die Friedensversionen des Jesaja, nicht die Verheißung, dass die Lahmen gehen, die Blinden sehen und die Tauben hören werden, sondern dies: Richtet Euch auf, erhebt Eurer Haupt.

 

Ihr hättet genug Grund zu Boden zu schauen, den Kopf in den Sand zu stecken, manchmal gar zu verzweifeln, ja, das hättet Ihr, aber: Richtet Euch auf.

Das, was Ihr hier erlebt, das Auf und Ab des Lebens, die hellen Stunden, die wiederum von dunklen abgelöst werden, der Frieden, der von Krieg  zerstört wird, die Ungerechtigkeit, die so viele verzweifeln lässt; das ist nicht alles, das ist nicht das ganze Bild:

Keine Ahnung, wie Gott das umsetzen wird, ob von einer Wolke aus, nur in unserem Herzen, am Ende der Tage oder morgen früh- ich weiß es nicht. Ich glaube aber, DASS  Gott das umsetzen wird.

 

Ist das Vertröstung auf das Jenseits? Vielleicht auch, aber wenn es mich, wenn es uns das Dunkle des Lebens besser durchleben lässt, ist es dann schlimm?

Und wenn es mir dann auch noch die Kraft gibt, jetzt, in diesem Leben aufzustehen, das zu verändern, was ich verändern kann, ist es dann wirklich so schlimm an den wiederkehrenden Christus zu glauben?

Und ist es nicht großartig, dann, wenn alle nur noch von Krisen, von Untergangsszenarien reden, wenn man den Eindruck hat, dass bald die Welt untergehen könnte, ist es dann nicht wunderbar, die Hoffnung zu verspüren, sich auf etwas viel Größeres, auf Gott verlassen zu können?

 

Diese Stelle zum Beginn des Adventes empfinde ich als Aufruf, die Welt mit all ihren Licht- und Schattenseiten nüchtern  wahrzunehmen, aber nicht alles von ihr zu erwarten;

 

ich empfinde sie als Appell, sich dem Leben und den damit verbundenen Erfahrungen zu stellen, dabei aber den Kopf nicht in den Sand zu stecken und in Ruhe und Vertrauen auf das zuzugehen, was da kommen mag: Denn „richtet euch auf und erhebt eurer Haupt, denn es nahet eure Erlösung“