30. Sonntag, 24. Oktober

Mk. 10,46ff

 

Dieses Evgl. ist uns allen bekannt. Den Kindern sicher sogar schon aus dem Rel. unterricht.

Vielleicht weil es so exemplarisch ist für das Handeln Jesu, für sein „auf-die-Nöte-der-Menschen-Eingehen“ und für die Wirkung, die wohl von ihm ausgegangen sein muss.

Ein Evgl., bei dem man sich richtig wohl fühlen kann, das einen nicht in Frage stellt, sondern entgegenkommt und Mut macht. So scheint es zumindest. Schaut man dann aber näher hin, löst sich die Idylle der einfachen Wunderrettung auf.

Und das ergibt sich, wenn man die Figur des Barthimäus mal ein wenig genauer anschaut. Und mit ihm der Frage nachgeht, was denn einer tut, der Hilfe braucht, wie es dem geht und wie er es schafft, dass es ihm besser geht.

 

Man kann diese Geschichte als eine Beispielgeschichte lesen, dafür wie Hilfe gelingen kann. Wie in einem Brennglas wird hier nämlich gezeigt, was es braucht, damit einer dem anderen helfen kann.

Schauen wir also mal hin:

Es beginnt am Rande, abseits des Zentrums. Da kauert Bartimäus, blind. Wahrnehmen kann er nur mit den Ohren, der übliche Zugang zur Welt über die Augen ist ihm verwehrt. Und Ohren hat er gute, notgedrungen. Er hört Jesus, er verbindet mit diesem Namen Hoffnung, da ist vielleicht einer, der mit ihm Erbarmen hat. Einer, der ihm ein Ansehen schenkt, einer, von dem er annimmt, dass der ihn anders sieht als die anderen.

 

Und er wird laut, beginnt zu schreien. Das aber stört, fällt lästig, hält auf, hemmt den Schritt. Schweigen soll er, den Mund halten. Bartimäus fällt aus seiner Rolle.

Still dasitzen, sein Leid erdulden, das wird von ihm erwartet.

Aber das hilft ihm nicht weiter, das kennt er schon lang genug. Jetzt scheint er sich zu sagen, jetzt gilt es. Jetzt oder nie.

Und die Leute –so stelle ich mir das vor-  schaffen es nicht ihn zum Schweigen zu bringen. Alles Zischen und um Ruhe bitten nützt nichts.

Bartimäus bleibt dran, er ist hartnäckig.

Ein Segen ist es für ihn, gerade da nicht mitzuspielen mit den anderen. Widerstand überwinden, den äußeren und vielleicht auch den inneren, die Not rauszuschreien, nicht höflich und leise um Hilfe zu bitten, sondern aufzufallen, dazu braucht es den Mut der Verzweiflung.

 

Und Bartimäus hat Glück, Jesus hört ihn, er lässt ihn rufen. Die Jünger sagen ihm, „hab Mut, steh auf, er ruft Dich!“

Sie ermutigen Bartimäus zu Jesus zu gehen. Sie stellen keine Forderungen auf, keine Bedingungen, unter denen erst die Möglichkeit gegeben wäre, zu Jesus zu gehen. Nein, sie sagen nur: hab Mut!

Da wird etwas ganz wichtiges benannt: Es muss auch unsere pastorale Praxis, unser Umgang untereinander und zu denen, die unsere Hilfe brauchen  geprägt sein von Mut machen, nicht von Bedingungen aufstellen, unter denen man dazu und dazu zugelassen wird.

Wir waren viel zu lange als Kirche verkommen zu einer Institution, die nichts anderes zu tun hat als Moralwächter zu spielen. Abgesehen davon, dass uns das nun nicht mehr abgenommen wird, kann das zumindest in unserer Zeit nicht unsere erste Aufgabe sein.

Die Jünger haben Bartimäus nicht auf seinen Lebenswandel angesprochen, nicht nach seinen politischen und moralischen Ansichten gefragt, sondern haben nur gesagt: hab Mut, geh auf Jesus zu, er kann und wird dir helfen.

Bartimäus steht also auf, er wirft den Mantel weg, macht sich auf zu Jesus.

Den Mantel abwerfen, das Bergende, Schützende hinter sich lassen, vielleicht aber auch den über die Jahre entwickelten Schutzpanzer… Aufrecht sich hinstellen vor den, von dem er Hilfe erhofft.

 

Jesus aber, dem diese Hoffnung gilt, scheint zunächst etwas Seltsames zu tun. Eigentlich müsste er doch das Offensichtliche sehen. Es sollte doch klar sein, was ein Blinder möchte.

 

Aber nein, Jesus stellt die Frage: Was soll ich dir tun? Sozusagen: was ich will, zählt jetzt nicht. Deine Sichtweise, dein Wille ist entscheidend. Du, der Du zu mir kommst, der Hilfe will, du bist gefragt, du musst es sagen, nicht ich oder irgendein anderer kann für Dich reden.

Man kann sich Bartimäus wohl vorstellen als einen, der nicht oft um seinen Willen gefragt worden ist; man sieht doch, was so einer braucht.

Aber nein, gerade darum geht es. Was willst Du?

Das ist die Frage. Nur dann wird etwas wieder heil, dann gehen einem die Lichter auf, dann wird wieder jemand sehend. Wenn er, wenn sie gefragt worden ist nach seinem oder ihrem Willen.

 

So einfach wäre es, für alle zu antworten, denen es sichtlich an etwas mangelt.

Aber sie selber müssen es sagen, sie selber wissen, was ihnen nottut, was für sie heilsam ist. Wie im Brennglas wird hier gezeigt, worum es geht. Nicht zwangsbeglücken, sondern fragen. Was Bartimäus schon zuvor alles gezeigt hat an Aktivität, an Engagement, das findet hier die Fortsetzung.

 

Keine einfache Frage, was ich will, wenn es mal über die üblichen alltäglichen Anlässe hinausgeht.

Was will ich wirklich?

In meinem Leben, meinen Beziehungen, meinem Glauben, meinen Nöten und Problemen?

Keine einfache Frage für all diejenigen, die am Rand stehen, denen man das Wort oft genug abschneidet und wenn nicht, dann in scheinbarer Fürsorge schon die „richtige“ Antwort in den Mund legt.

Aber mit Sicherheit ein Glück, wenn man an Menschen gerät, die wirklich interessiert sind am Gegenüber, die nicht schon die Antwort haben, bevor sie überhaupt die Frage gehört haben.

Ein Glück sind solche Menschen, die die Freiheit haben, zu fragen, so wie Jesus.

Sie eröffnen einem wie Bartimäus buchstäblich einen neuen Blick, ein Sehendwerden.

 

Genau darum geht es, Menschen, die sich die Freiheit nehmen, laut zu werden, störend zu werden in ihrer Not, anzusehen. Ihnen mit Respekt und Achtung zu begegnen, ja selbst wenn sie lästigfallen. Ihnen die Frage nach ihrem Willen zu stellen.

Das geht wohl nicht so schnell wie im heutigen Evangelium – dort wird es verdichtet geschildert, oft braucht das Jahre, ein Einüben auf beiden Seiten, und ein geduldiges Dranbleiben.

 

Aber dann wird immer wieder auch Heilsames geschehen, wenn Menschen einander begegnen auf Augenhöhe.

Tagtäglich wiederholen sich diese Geschichten, mal sind wir einander Bartimäus, und dann und wann auch Jesus. Jeder Tag eine Gelegenheit für ein Wunder zwischen uns.