28. So, 10.Oktober- der Reichtum und die Demut
Immer wieder freue ich mich, zu entdecken, dass die Bibel viele Gedanken, Forderungen und Einsichten enthält, die problemlos die vielen Jahrhunderte Geschichte, die zwischen ihr und uns liegen, überbrücken können.
So eine Geschichte haben wir gerade gehört. Sie dreht sich zwar um die Nachfolge Jesu, also, dass war Jesus von denen erwartet, die seine Lehre annehmen wollen. Aber sie spricht auch ganz moderne Themen an, mindestens indirekt: Reichtum, die Verteilung von Gütern, die Anpassung an neue Verhältnisse und, ja auch das, die Demut.
Das fiel mir auf als ich in der Frankfurter Rundschau ein Interview vom letzten Jahr fand. Dieses wurde mit der frz. Philosophin Corine Pelluchon geführt. Sie hat einen Lehrstuhl an einer Universität im Pariser Umland inne und konzentriert sich besonders auf Fragen der Umweltethik.
Das Interview wurde unter dem Titel geführt: „Die radikalen Veränderungen, die nötig sind, brauchen Freiheit und nicht Zwang“; und es dreht sich um die Herausforderungen, die unsere Lebensweise für die Umwelt bedeuten.
Im Interview sagt sie: Wir müssen über unsere Lebensweisen, die Gesamtheit unsere Vorstellungen in Bezug auf andere und auf die Natur neu bestimmen. Die Demut ist keine Tugend, sondern eine Übung der Tugenden, weil sie den Geist reinigt.
Auf die Nachfrage Wie meinen Sie das? antwortet sie:
Die Demut ist die Tatsache, dass wir uns unserer Grenzen bewusst sind. Bei Bernhard von Clairvaux ist es auch so. Er legte uns die Demut ans Herz mit dem Bewusstsein, dass wir abhängig von anderen sind. Das Bewusstsein unserer Verwundbarkeit ist der Schlüssel für eine Veränderung der Welt. So können wir uns mit unserer Sterblichkeit und Verwundbarkeit versöhnen.
Sie schließt damit also an den großen Ordensmann aus dem 12. Jahrhundert an und indirekt an das heutige Evangelium.
Bei dieser Textstelle aus dem Mk-Evangelium bleiben wir schnell bei dem geflügelten Wort vom Kamel hängen, das eher durch ein Nadelöhr kommt als ein Reicher ins Himmelreich. Und dann denken wir darüber nach, wie schwer es demzufolge auch für uns sein könnte, in das Reich Gottes zu gelangen. Denn ohne Frage sind wir wohl eher zu den Reichen zu zählen, als zu den Armen- zumindest im weltweiten Vergleich.
Dabei geht es Jesus gar nicht unbedingt und ausschließlich darum, den materiellen Reichtum zu verteufeln. Es geht ihm eher darum, zu mahnen, dass unser Festklammern an Dingen uns unfrei macht. Wir konzentrieren uns aus der Sicht Jesu auf das Falsche, es bindet uns so sehr, dass wir damit den eigentlichen Sinn unseres Lebens verdunkeln, übersehen oder gar ganz vergessen.
Der, der nichts hat, muss sich auch nicht auf einen möglichen Verlust konzentrieren.
Der, der was hat, kämpft immer den am Ende vergeblichen Kampf des ewigen Festhaltens dessen, was er hat.
Dabei dreht sich dann mehr und mehr alles um ihn. Denn es erfordert Kraft, es erfordert Energie, das zu halten, was man hat. Man wird zum Mittelpunkt der Welt, zumindest zum Mittelpunkt der eigenen Welt. Und dabei verliert man eben so leicht aus dem Auge, das, was einen umgibt: Menschen, andere Lebewesen, die Welt, ihre Struktur, ihren Sinn. Man wird blind dafür, weil man keine Kraft und Energie mehr DAFÜR hat. Diese geht ja dafür drauf sich auf das zu konzentrieren, was man festhalten möchte.
Das ist die Gefahr, vor der Jesus warnt.
Jesus hatte nicht die Probleme im Blick, die wir heute haben. Natur, Umwelt, die ganze Schöpfung waren nicht in Gefahr, eher war der Mensch in Gefahr, Opfer der Natur zu werden und nicht umgekehrt. Deswegen ist es nicht korrekt, seine Warnung vor dem Reichtum als Aufforderung dazu zu verstehen, auf vieles heute zu verzichten, um die Welt zu retten. Jesus ging es nicht um die Rettung der Natur, sondern um die Rettung des Menschen. Aber heute hängt beides zusammen, Rettung der Natur bedeutet Rettung des Menschen und etwas plakativ gesprochen bedeutet die Rettung des Menschen auch die Rettung der Natur.
Somit kann seine Warnung, sich nicht in die Abhängigkeit zu begeben, dann doch auch ein Schlüssel dazu sein, heutige Probleme anzugehen und zu lösen.
Mir geht eine Antwort der Philosophin noch nach. Sie sprach von der Versöhnung des Menschen mit seiner eigenen Sterblichkeit und Verwundbarkeit. Auf die Frage danach, wie diese Versöhnung aussehen könnte, antwortete sie: Wenn wir geboren werden, kommen wir in eine Welt, die älter ist als wir. Diese Welt kennt uns nicht, und wir kennen diese Welt nicht. Wenn wir anerkennen, dass wir als Sterbliche geborene und verwundbare Wesen sind, steigt das Bewusstsein der Zugehörigkeit zu einer gemeinsamen Welt.
Wenn wir geboren werden, kommen wir in eine Welt, die älter ist als wir.
Was für ein schöner Satz. Ein Satz, der uns Respekt lehren kann und eben Demut. Wenn WIR geboren werden, dann ist die Welt für uns neu, aber die Welt war schon lange vor uns. Wir betreten eine Bühne, die schon lange gerichtet ist, schon viele Schauspiele erlebt und aufgeführt hat, die uns ungefragt versorgt, aushält und uns unseren Platz einnehmen lässt. Wie erstaunlich das doch eigentlich ist. Welch ein Wunder. Und wir vergessen das und benehmen uns am Ende so als wäre die Welt schon immer unsere gewesen. Ist sie nicht, war sie nicht und wird sie auch nie sein! Für Christen ist diese Welt immer die Welt Gottes, nicht die Welt der Menschen. Für Christen ist der Mensch in ein größeres Ganzes eingebettet, Teil dessen, was ihn umgibt und dessen, woher er kommt und wohin er wieder gehen wird. Und das ist so erstaunlich, dass man als Mensch, der sich dessen bewusst wird, eigentlich immer nur mit offenem Mund vor diesem Wunder stehen muss.
Wir SIND und um uns herum IST vieles andere ebenfalls, existiert, ist in dieser Welt. Ein Wunder, dass etwas ist und dass nicht einfach nichts ist.
Mit diesem Staunen im Bewusstsein, wird auch der Blick frei dafür, was Jesus meinte: Du benötigst nicht diese Dinge, die Dich binden, im Gegenteil, sie verstellen Dir den Blick auf den Reichtum, der Dich umgibt, auf den Reichtum Gottes, auf das Reich Gottes. Das Staunen öffnet Dir den Blick, die Demut vor der Größe dieser Welt, vor der Größe des Seins, vor dem Reichtum des Geschaffenen und verbindet Dich mit all diesem, lässt Dich erkennen, dass Du Teil eines großen Ganzen bist, in dessen Einzelteilen sich eben diese Größe des Ganzen spiegelt.
Wie sagte es die Philosophin dann sehr klar und auf den Aspekt der Tierethik bezogen: Wenn wir verstehen, dass wir dadurch mit den anderen Lebewesen verbunden sind, dann verlieren wir die Lust, die Tiere in einen Käfig einzusperren oder diese Wesen zu beherrschen oder zu quälen.
Noch einmal: Zu Jesu Zeiten war der Erhalt und die Pflege der Mitwelt kein Thema. Sie war nicht in Gefahr, sondern eher umgekehrt, Gefahr für den Menschen. Was aber offenbar auch schon damals Thema war, war die Gefahr, sich vom großen Ganzen zu isolieren, indem der Mensch sich zu sehr vom Materiellen abhängig machte, und mit dem Blick und die Konzentration auf das Weltliche, das Verständnis für den großen Zusammenhang zu verlieren drohte.
Dieser Blick auf den großen Zusammenhang kann einen Menschen demütig werden lassen, kann einen zum großen Staunen führen, das durch die Bewunderung der Schöpfung mit ihrem Reichtum ausgelöst wird. Diese Art von Demut macht mich nicht klein, sondern ordnet mich ein, gibt mir einen, gibt mir MEINEN Platz im großen Weltorchester, lässt mich verstehen, dass der Ton aller Mitgeschöpfe genauso wichtig ist wie mein eigener Ton.
Der reiche Jüngling wird erst dann in das Reich Gottes, in den Reichtum Gottes finden, wenn er sich von seinen Abhängigkeiten löst, wenn er sich demütig und staunend in den großen Zusammenhang fallen lässt, den wir Schöpfung Gottes nennen. Machen wir’s ihm nach, oder besser: Machen wir’s ihm vor.