30. Januar, 4. So im Jahreskreis

In St. Paulus sind wir mit der Textstelle 1 Kor 13 ja nicht nur durch die kirchliche Leseordnung alle drei Jahre konfrontiert, sondern jedes Mal, wenn wir über den Vorplatz das Gemeindehaus betreten oder verlassen.

Natürlich geht es uns mit unserem Stein, der sich wie ein Querbalken in unseren Weg stellt und mit 1 Kor 13 beschriftet ist so wie mit allen Dingen, an die wir uns gewöhnt haben. Wir nehmen sie nicht mehr regelmäßig wahr.

Dennoch steht er da, eine stumme Mahnung, eine stumme Erinnerung. Heute vielleicht noch mehr als sonst.

Erinnert er uns doch daran, welchen Schatz wir als kirchliche Gemeinschaft hüten, welch wunderbare Botschaft uns anvertraut ist.

 

Und mir, und vermutlich Ihnen ebenso, tut es in der Seele weh, dass diese erhebende Botschaft im Moment so verdunkelt wird- nicht mehr recht wahrgenommen wird, weil diejenigen, deren oberste Aufgabe es ist, diesen Schatz zum Scheinen zu bringen, ihn den suchenden und sehnsüchtigen Menschen zur Orientierung anzubieten, selbst so ohne Orientierung sind, gefangen in der eigenen Geschichte von Machterhalt und Vertuschung, von Nicht-Hinsehen-Wollen und Bewahrung des Bisherigen. Und dabei hilflos zusehen müssen, wie ihnen dennoch alles zwischen den Fingern zerrinnt.

 

Aus den ehrwürdigen Erzbischöfen werden Zeugen vor weltlichen Gerichten, aus Heiligen Vätern schlichte Menschen, die mit Paragraphenreitereinen versuchen zu retten, was schon verloren ist, inclusive des eigenen Rufes.

 

 

In all dem wenden sich immer mehr Menschen ab, die Opfer werden noch einmal darin bestätigt, dass die, die sich auf Glaube, Hoffnung und Liebe berufen, dazu immer wieder tiefgeistige Texte verfassen können, aber in der Praxis eher auf anderes setzen. Dass Glaube eher der Glaube an die eigene Herrlichkeit ist als das Glaube an Gott, dass Hoffnung eher auf die jahrhundertelang ausgeübte Autorität des Amtes gesetzt wird als auf den ewigen Gott; und dass Liebe eher die Liebe zum Status Quo ist als die Liebe zu den Menschen und zu Gott.

Man vertraute eher darauf, dass das Erkennen der Menschen schon Stückwerk bleibt, dass nicht alles durchschaut wird und man hinter dem Spiegel treiben kann, was man will. Dass die ihnen anvertrauten Menschen wie Kinder sind, die schon alles glauben, was man ihnen in golddurchwirkten Gewändern gekleidet predigt.

 

Doch viele sind aufgewacht und wenden sich ab. Das tausendmal gesprochene Schuldbekenntnis wird nicht mehr geglaubt, sondern als viel zu spät kommendes und hilfloses Signal wahrgenommen von Menschen, die zu retten versuchen, was nicht mehr zu retten ist.

Niemand will denen die Absolution geben, die bisher vor allem denen die vorschnelle Vergebung aussprachen, die sie aus der Sicht der meisten am wenigsten verdient hatten.

Und diejenigen, denen bisher die Absolution verweigert wurde, weil sie z.B. nach langen,  zähen und leidvollen Ehejahren ihre Ehe aufgaben oder diejenigen, die ihre eigene Sexualität verleugnen mussten, wollten sie ihren Arbeitsplatz in der Kirche erhalten, haben schon lange dieser Gemeinschaft den Rücken gekehrt oder sich in die innere Emmigration begeben.

 

Glaube, Hoffnung und Liebe erscheinen viel zu vielen nur noch als Sonntagsreden, während von Montag bis Samstag Verteidigung, Beschönigung und Vertuschung zur Trinitas erhoben wurden.

Und so wurden wunderbare Texte wie der 1 Kor 13 zum Hohn gemacht. Die Botschaft wird nicht mehr geglaubt, wenn deren Botschafter nicht der eigenen Botschaft vertrauen.

 

Denn ist das nicht der Kern des ganzen Problems?

Dass viel zu viele, die Macht und Position in der Kirche innehaben, der eigenen Botschaft nicht wirklich vertrauen, sie nicht wirklich glauben?

 

Es wird ja immer davon gesprochen, dass die Kirche im Moment in einer Vertrauenskrise sei. Das ist sie zweifelsohne. Damit meint man aber in der Regel, dass viele Menschen der Kirche nicht mehr vertrauen.

Neben dieser Krise sehe ich aber eben noch eine andere Art der Vertrauenskrise: Nämlich der, dass vielen innerhalb der Hierarchie der Kirche nicht nur ihre Erkenntnis Stückwerk ist, um noch einmal 1 Kor 13 aufzunehmen, sondern auch ihr Glaube.

 

Als Paulus diesen Text verfasste waren er und seine Glaubensgenossen noch völlig überwältigt vom Lebenszeugnis Jesu. Seine Gegenwart war für sie eine reale Erfahrung. Für sie war die Hoffnung, dass er bald zurückkommen würde, um die Welt wieder in das Paradies Gottes zu verwandeln real. Sie lebten aus der Gegenwart Jesu. Gott war nicht nur ein Rettungsanker in schlechten Tagen, sondern tägliche Richtschnur und selbstverständlicher Halt.

 

Wir alle kennen die Mühsal und die Herausforderung, das Glaubensleben wach zu erhalten, darauf zu vertrauen, dass dort jemand ist, der unser Anfang und unser Ziel ist. Wir alle kennen die Schwierigkeit den Glauben in unsere alltäglichen Entscheidungen miteinzubeziehen.

Wem vertrauen wir in Krisen mehr: Dem eigenen Tun oder der Führung Gottes? Ich vermute, solange es geht, dem eigenen Tun und erst wenn das nicht mehr zu helfen scheint der Führung Gottes.

 

Wir kennen das also durchaus von uns selbst. Aber insgeheim haben wir vielleicht geglaubt oder gehofft, dass Bischöfe und Päpste da anders sind. Schließlich sind sie ja Bischöfe und Päpste. Die werden doch wohl vorbildlicher sein, weiter im Glauben, vertrauensvoller Gott gegenüber, nicht so armselig wie wir Sonntagschristen.

Offenbar ist das nicht so- wie sonst ist zu erklären, dass man eher auf die menschenverachtenden Mittel der Vertuschung und des Schutzes von Tätern setzt, um den Schein und die Macht zu wahren als der Wahrheit den Vorrang zu geben, die Schutzlosen zu schützen, auch auf die Gefahr hin, selbst als Institution und Repräsentant dieser Institution schutzlos- und machtlos dazustehen.

Wie sonst soll man verstehen, dass ein Kardinal in der Öffentlichkeit behaupten konnte, überhaupt nichts gewusst zu haben, aber in seinem eigenen Generalvikariat verordnete, Täter als Brüder im Nebel zu bezeichnen und diese im  sogenannten Giftschrank des Archivs tief vor allen Augen der außer- und innerkirchlichen Öffentlichkeit versteckt hielt?

Neben Skrupellosigkeit, krimineller Energie, falsch verstandenem Korpsdenken, vermeintlichem Ãœber-dem-Recht-stehen, da von Gott berufen, steckt vor allem wenig Glauben und Vertrauen dahinter.

Im 8. Kapitel des Johannesevangeliums sagt Jesus im 32. Vers:

Dann werdet ihr die Wahrheit erkennen und die Wahrheit wird euch befreien.

Die Wahrheit macht Euch frei.

Eine Kirche, die wahrhaft frei wäre, die wahrhaft vertraute, die wahrhaft glaubte, würde vor allem darauf vertrauen, dass sich durch das Leben mit Jesus und durch das Festhalten an seinen Lebensgrundsätzen eine Lösung finden würde. Sie wäre nicht vor der Angst vor dem eigenen Nachteil, dem eigenen Untergang in die Knie gegangen, sondern hätte aufrecht zum Unrecht, das in ihren  Reihen geschah, stehen können, sie hätte vertrauen können, dass unser Erkennen jetzt nur Stückwerk ist, wir vielleicht nur zehn Prozent der Wahrheit Gottes ahnen oder gar verstehen, aber zu 100 Prozent glauben und vertrauen dürfen.

Wer meint, etwas zu verlieren, wenn er zu dem steht, was in seinen Reihen geschah und geschieht, droht am Ende alles zu verlieren.

 

Wo waren also Glaube, Hoffnung und Liebe- diese drei? Wo sind sie? Wie werden diese Zeilen heute gelesen in den Kathedralen dieser Welt, von St. Peter in Rom bis in den Liebfrauendom in München? Wo und wie werden sie geglaubt, wenn sogar die obersten Interpreten dieser Zeilen im alltäglichen Handeln so wenig Vertrauen in eben diese Zeilen zeigen oder zeigten?

Nicht alle Kirchen dieser Welt verfügen über einen Mahnstein, versehen mit dem Schriftzug 1 Kor 13 vor ihrem Eingang, aber alle verfügen über ein Kreuz. Wir müssen die Zeichen der Mahnung nur wahrnehmen, wenn sie sich uns in den Weg legen; sie müssen uns Stolpersteine sein und bleiben. Wir neigen dazu, diesen Mahnungen aus dem Weg zu gehen, sie zu umschiffen, auf die eigenen Strategien zu vertrauen als auf den, der sich uns in den Weg stellt, Jesus Christus. Das gilt für uns alle, vom einfachen Kirchenmitglied, über Priester, Bischöfe und offenbar bis hin zu den Päpsten.

 

 

Wie oft habe ich zuletzt dazu aufgefordert, immer mal wieder in die Bibel zu schauen und z.B. die Mahnungen der Propheten des Alten Testamentes zu verinnerlichen. Für das NT gilt das natürlich genauso und noch mehr. Heute Johannes 8 oder 1 Kor 13, morgen andere Stellen der Bibel. Sie legen sich wie Mahnsteine in unseren Weg, unbequem und hinterfragend.  Aber ernstgenommen, ermöglichen sie uns immer wieder aus dem Vertrauen auf Gott hin zu leben, seinen Versprechungen zu glauben, statt auf die eigenen angstgesteuerten Illusionen zu setzen. Denn: Für jetzt bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei;
doch am größten unter ihnen ist die Liebe.