20. Februar, 7. So. d. J. Lk. 6,27-38

 

Ich vermute fast, dass Sie irgendwann beim Hören dieses Textes ausgestiegen sind, vielleicht schon nach der ersten oder zweiten Aufforderung Jesu.

Es ist ja keine Geschichte, die hier erzählt wird, der man leicht folgen könnte, sondern es kommt eine Handlungsanweisung nach der anderen, wie aus dem Maschinengewehr.

Liebt Eure Feinde,

Segnet die, die Euch verfluchen.

Seid barmherzig,
Richtet nicht,
Verurteilt nicht,
Erlasst einander die Schuld,

Bam, bam, bam…..eine Überforderung.

 

Und nicht nur eine Überforderung beim Zuhören, sondern, und das ist viel wichtiger, eine Überforderung beim Umsetzen.

Wie soll man das machen?

Und dann gipfelt es auch noch in dem Satz: Seid barmherzig, wie auch Euer Vater barmherzig ist- gemeint ist natürlich nicht der leibliche, sondern der himmlische Vater: Barmherzig wie Gott sein- wie Gott sein. Spätestens da schaltet man doch ab, steigt aus, gibt auf und sieht nur resigniert auf die eigenen bescheidenen Mittel des Glaubens.

 

Was soll das also?

Zunächst mal muss man wohl feststellen, dass diese Forderungen nicht nur zur Entmutigung des Zuhörers führen können, sondern auch zum Gegenteil. Schließlich sind diese Sätze Jesu ja auch faszinierend.

Meine Güte, wenn wir das schaffen würden, wie anders sähe unsere Welt aus?!

Endlich einmal etwas, das unsere gewohnten Strukturen des Denkens verlässt. Endlich mal etwas, was uns von einer besseren Welt träumen lässt. Endlich mal etwas, was nicht auf Lohn und Gegenlohn abzielt, auf wie Du mir, so ich dir.

Endlich mal etwas, was an unsere edelsten Eigenschaften appelliert: an Nächstenliebe, an Selbstaufgabe für den anderen, an Edelmut, auch an Zivilcourage, an unseren Idealismus, an das Gute in mir und im anderen. Es ist der Radikalismus der Jugend, dem die Alten immer nur ihren Realismus entgegensetzen. Bekanntlich ist beides von Wert, wenn es in der richtigen Balance zueinandersteht. Purer Realismus lässt die langen Linien vermissen, die Begeisterung, die Visionen und Vorstellungen einer besseren Welt. Radikalismus macht ohne Realismus allerdings oft die Rechnung ohne den Wirt, setzt im Menschen Dinge voraus, die er in der Regel nicht bereit ist, zu geben.

Vielleicht hatten wir zuletzt zu viel des Realismus und benötigen nun eher eine Prise Radikalismus, oder vielleicht sollte ich besser Idealismus sagen. Daran jedenfalls appelliert der heutige Text: Er fordert uns auf, unsere Grenzen immer mal wieder zu verschieben, Grenzen, die uns selbst begrenzen, uns kleiner machen als wir sind.

Man kann diese Predigt Jesu als Entmutigungstext lesen, nach dem Motto, viel zu groß, schaffe ich eh nicht- also auf die Seite legen.

Ich kann ihn aber auch als Ermutigungstext lesen, als einen Text, der mir Großes zutraut, mehr als ich mir vielleicht selbst zutraue.

 

Wir sind es gewohnt, uns in bestimmte Denkmuster einzurichten, Dinge, die wir von Kindesbeinen an gelernt haben, festzuhalten. Wir haben gelernt, Menschen einzusortieren in Gute und Schlechte, Verhaltensweisen und Denkmuster, wie unsere Gesellschaft zu funktionieren hat, werden in der Regel nicht hinterfragt, wir benötigen in einer so hochkomplexen Art des Zusammenlebens, wie es die modernen Gesellschaften eben sind, automatisierte Mechanismen des Miteinanders. Man kann nicht einfach mehr in eine andere Region eines Landes oder eines Kontinentes ziehen und dort nach eigenen Regeln ganz neu beginnen. Und das führt dazu, dass wir auch innerlich, gedanklich oft keine neuen Wege mehr ausprobieren. Es droht ein großer Einheitsbrei, der jeden zermalmt, der es doch einmal wagt, anderes vorzuschlagen, anderes zu denken, sich anders zu verhalten.

Daran appelliert ja auch die erste Lesung, die wir heute gehört haben, die uns völlig abstrus vorkommt. Da ging es um die Möglichkeit, einen Konkurrenten umzubringen. Er lag schlafend vor David, er hätte ihm, wie es dort so martialisch beschrieben wurde, nur den Speer in den Kopf jagen müssen.

Hat er aber nicht getan- deswegen wurde diese Stelle auch in die Leseordnung aufgenommen: Gewohnte Denkmuster und Verhaltensweisen durchbrechen. Nicht das immer wieder zu wiederholen, was andere vor einem schon seit Generationen getan haben, Regeln zu hinterfragen, sie auf ihre Gültigkeit und Wirksamkeit abzuklopfen und ggf. dann nicht mehr anzuwenden, sondern neue zu entwerfen, die Besseres verheißen. Grenzen verschieben.

Bei Euren Vätern hieß es schon, Auge um Auge, Zahn um Zahn, bei Euch aber soll es anders sein, heißt es an einer anderen Stelle.

 

Christen sind aufgefordert, sich nicht mit der Welt so wie sie ist, abzufinden. Christen sind dazu aufgefordert, die Welt nüchtern anzusehen, zu registrieren, dass es darin Gute UND Böse gibt, dass es Regeln gibt, die nicht allen gut tun, dass es Strukturen gibt, die viele benachteiligen, Böses säen und Gutes verhindern. Und die Antwort der Christen darauf soll es offenbar nicht sein, sich hinter den eigenen Gartenzaun zu verziehen, sich nicht hinter der dicken Kirchentür zu verstecken, sondern hinauszugehen und die Regeln zu hinterfragen und zu hinterleben, sozusagen. Stellt in Frage, lebt anders. Seid barmherzig wie Euer Vater, richtet nicht, verurteilt nicht, erlasst einander die Schuld,

liebt Eure Feinde.

Jesus sagt nicht, dass wir das immer und zu jeder Zeit können. Der Himmel ist nicht auf der Erde, hier ist nicht das Paradies, aber wir können Fingerzeige geben, dass es anders sein könnte: wir können uns Tag für Tag, Morgen für Morgen nach jedem Aufstehen neu entscheiden, uns dem Lebensentwurf Jesu anzuschließen oder es nicht zu tun.

Jeden Tag neu besteht die Chance, sich dem entgegenzustemmen, was falsch ist, schlecht ist, dem Menschen, mir und dem anderen nicht guttut.

Das wird wiederum andere ermutigen, nicht aufzugeben, an eine bessere Welt glauben zu können und sich für diese einzusetzen.

 

 

Carl Schurz weiter, ein deutscher Auswanderer im 19. Jahrhundert, der es immerhin bis zum amerikanischer Innenminister gebracht hat sagte: Ideale sind wie Sterne. Man kann sie nicht erreichen, aber man kann sich an ihnen orientieren.

Genau darum geht es: dieser Text heute ist eine Orientierungshilfe. Ich werde nicht jeden Tag dem, der mir auf die eine Wange schlägt, auch noch die andere hinhalten können. Aber vielleicht klappt es ja ein- oder zweimal. Und dann verändert sich etwas- in mir UND im anderen. Es eröffnet sich die Vorstellung davon, wie ein anderes Leben aussehen könnte. Es muss nicht immer so weitergehen wie bisher. Ich habe die Wahl, wir haben die Wahl, die Grenzen zu verschieben, es anders, es besser zu machen als die vor uns oder neben uns.

 

Think big, start small- ein anderes Zitat, das mir die Tage in die Hände fiel, dieses Mal aus der Wirtschaft, als ein Motto für Start-ups.

Aber es lässt sich auch auf uns übertragen: Groß denken und klein beginnen. Auf das Beginnen kommt es an, dann kann daraus sogar Großes werden.

Diese Aufforderungen Jesu wollen uns nicht vor dem großen Anspruch verzweifeln lassen, sondern uns ermutigen, doch einmal zu beginnen:

Think big, stell Dir vor, wie die Welt sein könnte würde sie nach den Maßstäben Jesu regiert- und dann: start small, fang an, klein, in Deinem Umfeld, mit den Leuten, mit denen Du Tag für Tag zu tun hast. Und dann verändert sich Deine Welt. Und wenn viele ihre kleine Welt verändern, dann verändert sich am Ende die große auch.