29. Mai, 7. Sonntag d. Osterzeit

Offb. 22

Ich erinnere mich noch gut an meinen Eindruck als ich das Buch der geheimen Offb. zum ersten Mal bewusst gelesen habe- und damit das  allerletzte Buch der Bibel. Neben all den verwirrenden visionären Bildern hat mich vor allem dieses Ende überrascht oder sogar enttäuscht.

Das soll alles sein?

So endet die Bibel? Mit einer Bitte?

Komm Herr Jesus?!

 

Da wird in allen Büchern zuvor die ganze Geschichte Gottes mit seinem Volk ausgefaltet, angefangen von der Erschaffung der Welt über die ersten Begegnungen Gottes mit Menschen im nahen Osten, Kernerlebnisse wie der Auszug aus Ägypten, die goldenen Zeiten der Könige Salomon und David, die babylonische Gefangenschaft, die Zeit der Propheten, die Anfänge Jesu, sein Leben, sein Tod, seine Auferstehung und dann die Gemeindebildung der ersten Christen. Eine Geschichte also voll von der Begegnung Gottes mit den Menschen- und dann am Ende: Komm Herr Jesus.

 

Er war doch da gewesen. Er hatte doch unter ihnen gelebt. Er hatte doch alles klargestellt: den Sinn des Lebens, das Ziel der Geschichte, die Zukunft eines jeden Menschen bei seinem Vater. Und dann: Komm Herr Jesus.

Bekommen wir denn nie genug?

Das war meine Reaktion auf dieses Ende. Wie viele Zeichen, wie viele Gottesfürchtige, wie viele Wunder brauchen wir denn noch?

 

Ehrlich gesagt, wusste ich nicht genau, was ich eigentlich als Ende erwartet hatte oder bevorzugt hätte. Vielleicht noch einmal einen weisen Satz, der die ganze Botschaft zusammenfasst, eine Aussage, die noch mal alles vom Ende her erleuchtet, aber doch nicht einfach eine Bitte.

 

Wie so oft also überrascht einen die Bibel, nimmt Wendungen, die wir nicht erwartet haben oder trifft Aussagen, die wir lieber nicht hören wollen. Die Bibel ist kein Wunschkonzert, sondern fordert immer wieder heraus.

Deswegen will ich auch heute die Frage stellen, warum denn wohl das Ende von einer Bitte bestimmt ist und nicht z.B. von einer gewichtigen letzten weisen Aussage.

 

Ich glaube, dass es mit der Haltung zusammenhängt, die man einnehmen muss, wenn man eine Bitte ausspricht.

Stellen Sie sich vor, Sie bäten Ihren Sitznachbarn hier jetzt in diesem Gottesdienst, Ihnen einen Gefallen zu tun- möglicherweise Ihnen ein Taschentuch zu geben, Sie  im Gesangbuch mit hineinschauen zu lassen oder Sie am Ende vielleicht nach Hause zu bringen, weil Sie heute ohne Auto da sind. Der Inhalt ist eigentlich egal.

Wichtig ist nur, dass Sie zwar darum bitten können, aber nicht unbedingt erwarten dürfen, dass diese Bitte auch erfüllt wird.

Sie benötigen die Offenheit auch auf eine möglicherweise ablehnende Antwort hin.

Sie können nicht befehlen, sondern nur erhoffen.

Und wenn sie nicht einen besonders hartherzigen Nachbarn haben, dann wird er Ihnen in der Regel ja auch Ihre Bitte erfüllen. Aber wenn nicht, dann müssen Sie sich eben Alternativen ausdenken.

Um diese Offenheit zur Alternative geht es.

Ich kann Gott nicht befehlen, zu kommen. Ich kann daraus keine unbedingte Erwartung machen: So, Herr Jesus nun komm aber.

Wir haben Gott nicht in der Hand, keine Gewalt darüber, wie er handeln wird.

Es bleiben nur Hoffnungen, Bitten und Vertrauen.

 

Vermutlich ist es das, was diese letzten Zeilen in der Bibel bedeuten.

Uns sind die Geschichten Gottes mit seinem Volk, die Geschichte Gottes mit den Menschen, mit uns also, an die Hand gegeben; daraus können wir leben.

Ein Schlusspunkt unter der Bibel hätte wie ein Schlusspunkt unter der Geschichte Gottes mit uns gewirkt. Den gibt es aber nicht.

Die Geschichte geht weiter. Wir wissen nicht wie, wir wissen nicht genau, wohin sie führen wird, aber sie geht weiter.

Die ganzen vielen Kapitel und Bücher vor dem Ende der Bibel sind ein großes Zeugnis dafür, dass die Geschichte des Menschen eine von Gott begleitete ist.

Der Mensch als vermutlich einziges Wesen auf diesem Planeten kann sein eigenes Tun umfänglich reflektieren, weiß, wozu er fähig ist, sieht auch gerade in der Gegenwart, was er alles anrichten kann, dass er sogar seine eigene Zukunft in Frage stellen kann, indem er mit der Umwelt seines Planeten die eigene Lebensgrundlage bedroht. Der Mensch kann über sich erschrecken, über seine einsame Position in diesem Universum, kann manchmal über seine eigene Existenz erschüttert sein.

 

Und hier kommt die zentrale Aussage der Bibel ins Spiel: Ihr seid in dieser Situation nicht allein! Euer Lebensweg ist begleitet. Ihr seid von Gott geschaffen, die Verbindung mit ihm ist Euch in Eure Gene gelegt. Wie die Jünger von Emmaus begleitet er Euch- oft unerkannt, aber immer da.

 

Die Bibel endet zwar, aber nicht die Geschichte Gottes mit uns.

Und wenn man es so bedenkt, dann kann die Bibel doch gar nicht anders enden, dann muss sie doch die Hoffnung und Zuversicht ausdrücken, dass dieser Gott Jesu Christi weiter mit uns gehen möge.

 

„Komm Herr Jesus“ ist dann kein Zeugnis für ein Zweifeln darüber, dass dieser Gott diesen  Wunsch möglicherweise ausschlagen könnte, sondern der Ausdruck des Vertrauens, dass die Geschichte Gottes mit seinem Volk weitergehen wird, so wie sie immer weiterging;

offen bis zum Ende, das nicht wir setzen, sondern der Herr der Geschichte.

 

„Komm, Herr Jesus“ heißt „ich vertraue darauf, dass unser Weg, mein Weg ein gutes Ende nehmen wird in diesem  Gott, auf den ich zugehe, der auf mich zugeht.

So also: Komm Herr Jesus