1. Advent

Nicht umsonst ist Jesaja DER adventliche Prophet. Viele unserer adventlichen Texte stammen direkt aus seinen Schriften und viele werden in den Liedern des Advents zitiert. Vor allem aber drückt er diese Sehnsucht nach Erlösung aus, die diese vier Wochen vor Weihnachten als Grundgefühl prägt.

Ach würdest Du doch Herr,

ach könntest Du doch für Gerechtigkeit sorgen,

ach bring uns doch endlich Frieden.

Reiß doch den Himmel auf, und komm herab, so dass die Berge zittern vor dir.
Ach, kämst du doch denen entgegen, die tun, was recht ist und nachdenken über deine Wege-
so hieß es eben in der Lesung.

Ja, das ist das adventliche Gefühl. Komm doch endlich, verändere die Welt, mach, dass es anders wird. Lahme sollen gehen, Blinde sehen und Taube hören. Lass es endlich wahr werden.

 

Ich habe nur ein einziges Problem mit diesen Texten des Adventes. Eigentlich ist es ja wunderbar, dass sie uns HEUTE noch so ansprechen wie sie es tun, dass sie uns nach wie vor Worte an die Hand geben, mit denen wir unsere Sehnsucht nach echtem Frieden, nach wirklicher Gerechtigkeit ausdrücken können. Eigentlich. Und gleichzeitig erschüttert mich das.

Denn muss man sich nicht auf der anderen Seite fragen, warum sich denn offenbar an der Ungerechtigkeit und dem Unfrieden in der Welt nach wie vor nichts verändert hat? Geht unsere Sehnsucht ins Leere? Ist auf diesen Gott der Bibel kein Verlass?

Müssen wir im Jahre 2023 n. Chr.  immer noch so klagen wie im Jahre 600 v. Chr.?

Was hat sich denn verändert?

Was ist mit den Versprechungen Gottes? Wo bleibt das Himmelreich, in dem das Kind vor der Höhle der Schlange spielen kann  und der Wolf  Schutz beim Lamm findet, der Panther  beim Böcklein liegt, Kalb und Löwe  zusammen weiden und ein kleiner Junge sie leitet, wie es so schön im 11. Kap. von Jesaja heißt? Was ist nun?

Sollen wir uns immer noch mit der Antwort des Jesaja, die wir heute gehört haben  zufrieden geben? Sie hieß: ja, wir haben gegen dich gesündigt, von Urzeit an sind wir treulos geworden.
Wie unreine Menschen sind wir alle geworden, unsere ganze Gerechtigkeit ist wie ein schmutziges Kleid.
Wie Laub sind wir alle verwelkt, unsere Schuld trägt uns fort wie der Wind.

Wir sind es also selbst schuld, von Anfang an. Wir waren Sünder, sind Sünder und werden es bleiben.

Die Propheten haben Erlösung versprochen, Jesus ist gekommen, Gott selbst ist Mensch geworden, gestorben und auferstanden. Seit 2000 Jahren leben Christen in der Welt und was hat sich verändert? Nichts. Nach wie vor spricht uns der 2.500 Jahre alte Jesaja mit unserer Sehnsucht an. Sie ist nicht befriedigt, nach wie vor kann kein Lamm den Wolf hüten, sondern wird von ihm gefressen, nach wie vor sollte kein Kleinkind vor der Höhle der Natter spielen, wenn es nicht lebensmüde ist und nach wie vor sind Kalb und Löwe keine besten Freunde.

 

Wir haben uns irgendwie daran gewöhnt. Wir feiern die Adventszeit wie wir es immer getan haben, freuen uns auf Weihnachten, richten unsere ganze Sehnsucht nach Liebe, Frieden und Gerechtigkeit auf dieses  Fest, nur um spätestens am Abend des 25.12. festzustellen, dass sich nichts verändert hat.

 

Es ist ja nicht so als hätten Christen es nicht immer mal wieder versucht und als ob sie es nicht auch immer noch versuchen würden. Im Kleinen wie im Großen. Aber selbst die Größten unter ihnen, konnten gerade mal ihr Umfeld verändern, räumlich und zeitlich begrenzt, aber dauerhaft?

Es gibt genügend Beispiele, wo es versucht wurde und immer wieder versucht wird, Gott sei Dank: San Egidio in Rom ist für seine Friedensvermittlungen bekannt und die Schwestern, die heute ihre Arbeit in Brüssel bei uns vorstellen, verändern dort wo sie leben das Leben von 90 Personen zum  Besseren. Und dennoch verändert sich die Welt nicht im Grundsätzlichen.

 

Und wenn Jesus Christus die Welt mit seinem Vorbild und seinem göttlichem Wesen nicht so verändern konnte, dass sie zum Paradies wurde, was können wir dann?

Auf seine Rückkehr warten?

Auch diese Hoffnung ging bisher ins Leere.

Der hl. Paulus hat sie noch erwartet, vielleicht noch zu seinen Lebzeiten, wie wir dem Thessalonicherbrief entnehmen können.

Die Texte der Offenbarung versorgten uns mit den entsprechenden Bildern des ewigen Gerichtes, in der die Welt endgültig zum Reiche Gottes umgebaut wird.

Und Markus fordert uns im heutigen Evgl. auf, wachsam zu sein, denn der Hausherr kehrt dann zurück, wenn wir ihn nicht erwarten.

Na denn.

Es klingt vielleicht etwas ketzerisch: Aber m.E. können wir da noch lange warten.

Das Ganze muss anders gemeint sein, sonst ergibt es keinen Sinn.

 

Ich meine, dass wir anerkennen müssen, dass die Welt einfach ist wie sie ist. Sie hat sich äußerlich in den Zeiten seit Jesaja  zwar radikal verändert. Nichts würde der Prophet wiedererkennen, könnte er eine Zeitreise machen.  Wenn er sich aber tiefer in die Grundkonflikte unserer Gesellschaften hineindenken würde, käme er vermutlich zu der Überzeugung, dass sich innerlich so gut wie nichts verändert hat. Die Grundeigenschaften des Menschen sind nach wie vor die selben geblieben. Die Triebkräfte der Angst, des Neides, der Missgunst beherrschen uns nach wie vor genauso wie damals. Frieden, Barmherzigkeit, Gerechtigkeit sind immer nur brüchig, niemals ewig. Nichts Neues also.

 

Daraus könnte sich eine fatalistische Haltung ergeben. Wenn sich sowieso nichts grundsätzlich verändert, könnte man die Bemühungen darum ja auch ganz aufgeben.

 

Das allerdings wäre wohl ein großer Fehler.

Wir werden zwar mit unseren ganzen Anstrengungen nie das Paradies auf Erden schaffen, aber wir sollten die Erde auch nicht zur Hölle werden lassen.

Christen- und mit ihnen zusammen alle Menschen guten Willens in allen  Religionen und humanistischen Überzeugungen, sollten nie in ihrem Einsatz für eine bessere Welt erlahmen. Denn unser Auftrag ist es, uns und die Welt daran zu erinnern, dass wir für Größeres geschaffen sind, dass unsere wahre Bestimmung tiefer ist als, dass, was uns an Untiefen in unserer Welt begegnet. Unser Ziel ist das Paradies, nach wie vor. Paradies heißt Leben in einer tiefen Einheit von Gott und Mensch.

Hier aber, in dieser Welt ist nicht Paradies – und wird auch nie sein. Die Welt ist sozusagen die Schule des Menschen. Hier lernen wir wie es ist, OHNE Gott, OHNE die Liebe zu leben. Erst die Erfahrung von Ungerechtigkeit lässt mich die Gerechtigkeit schätzen, erst die Erfahrung von Unfrieden lässt mich den Frieden schätzen, erst die Erfahrung von Ablehnung lässt mich das Angenommensein schätzen.

Erst die Trennung von Gott lässt die Sehnsucht nach dem Einssein wach werden.

 

Die Sehnsucht nach Frieden, nach Gerechtigkeit, die Jesaja schon mit den damals Lebenden gespürt hat ist dieselbe, die wir heute spüren und besonders im Advent zum Ausdruck bringen. Es ist die Sehnsucht nach dem Abwerfen aller Lasten und Unbillen des Lebens, das, was kirchlich Erlösung genannt wird.

Und diese Sehnsucht wird nicht vergehen.

Wir Menschen kommen aus Gott und gehen wieder zu ihm. So sehen das alle Religionen vom Grundsatz her, so sieht es auch das Christentum.

Unsere gerade beschriebene Sehnsucht ist Ausdruck dafür.

Der Wunsch nach ewigem Frieden und Gerechtigkeit kommt aus unserer Erinnerung an unseren Ursprung. Denn wir kommen aus dem ewigen Frieden und der ewigen Gerechtigkeit.

Und mit jedem Zeichen, das wir für den Frieden und die Gerechtigkeit in unserer Welt setzen, setzen wir ein Zeichen der Erinnerung an unseren Ursprung und an unser Ziel. Mit jedem Einsatz für Barmherzigkeit, Liebe und Gerechtigkeit werden wir zu Zeugen für unsere wahre Bestimmung.

Und wann wird das sein? Dann, wenn der Herr wiederkommt? Ja und nein. Vielleicht sollte man eher sagen, dann, wenn wir zum Herrn gehen. Ewiger Friede kann nicht in einer Welt sein, die selbst nicht ewig ist. Hier ist alles begrenzt und deswegen nur stückweise umsetzbar. Unser Friede ist immer nur zeitlich begrenzt, weil die Welt zeitlich begrenzt ist- unser Leben zeitlich begrenzt ist. Erst wenn wir nicht mehr den Gesetzen dieser Welt unterworfen sind, dann gilt  Ewigkeit.

 

Der Tod ist für den religiösen Menschen und damit auch für den Christen nicht das Ende, sondern das Tor zur Ewigkeit. Da wird jeder von uns das erfahren und erleben, was wir hier immer nur in kurzen Augenblicken des Friedens erahnen konnten.

Vertröste ich damit auf das Paradies und lasse die Erde wie sie ist? Nein  und noch einmal nein: Mit jedem Akt der Liebe, mit jedem Zeichen des Friedens, mit jeder Tat der Barmherzigkeit erinnern wir uns und jeden Menschen an unsere Bestimmung. Wir halten wach, was sonst verloren ginge: Das Wissen darum, dass wir für ein Leben in tiefer Verbundenheit mit allem, was lebt und in Verbundenheit   mit Gott bestimmt sind.

 

Christen wollen diese Welt nicht verbessern, weil sie sich einbilden, hier das Paradies schaffen zu können. Dieser Utopie sind schon viel zu viele erlegen und haben dabei statt des Himmels auf Erden die Hölle erschaffen. Christen wollen die Welt verbessern, um an den zu erinnern, der Ursprung und Ziel menschlichen Lebens ist. Wir setzen Zeichen der Liebe, weil wir an die Liebe glauben. Mehr geht nicht, weniger dürfen wir nicht.

Aller Voraussicht nach werden die menschlichen Grundkonstanten auch in den nächsten 2500 Jahren die selben sein wie heute oder VOR 2500 Jahren. Und aller Voraussicht nach werden sich die Menschen auch dann nach ewiger Gerechtigkeit und ewigem Frieden sehnen, genau wie heute. Und Christen werden nach wie vor die selbe Aufgabe haben: Nicht an der Welt zu verzweifeln, sondern durch Taten und Zeichen der Liebe daran zu erinnern, wer wir sind: Geschöpfe zweier Welten,  bestimmt dazu ein Leben lang in dieser Welt zu leben, aber eine Ewigkeit lang in der Einheit mit Gott.