5. So. im Jahreskreis 7.2.2021

Ich weiß nicht wie viele Menschen sich in den letzten Monaten die Frage nach Gott gestellt haben, oder die Frage, was das alles soll.

Ich bin aber sicher, dass zumindest ganz diffus in vielen Menschen Zweifel darüber aufgekommen sind, ob die Welt tatsächlich von einem barmherzigen oder gar liebenden Gott getragen ist.

Und gerade mit diesen Fragen werden ebenso viele Menschen zwangsweise alleine gelassen, auch weil wir als Gemeinden nicht mehr zusammenkommen können. Dann, wenn wir uns am meisten bräuchten, müssen wir Abstand halten und versuchen uns auf anderen Wegen Trost und Vergewisserung zu geben und zu verschaffen.

Niemand aber hält uns davon ab, ob alleine oder in virtueller Gemeinschaft über die Texte der Bibel nachzudenken, gerade wenn sie uns Geschichten mitgeben, die so nahe an unseren gegenwärtigen Fragen sind.

 

So konfrontiert uns die Leseordnung heute mit dem Klassiker der biblischen Bücher zum Thema „Leid“, mit Hiob, und im Evangelium hören wir von den Heilungen Jesu mit der merkwürdigen Formulierung, dass er VIELE heilte, aber eben nicht alle.

Grund genug, noch einmal über das Thema „Leid“ nachzudenken.

 

Dahinter steht ja die ewige Frage nach dem Warum.

Warum ist es so?

Warum kann Gott dies zulassen?

Warum muss mir so etwas passieren?

Darauf werden wir auch heute keine Antwort finden.

Aber dennoch: Wer sagt, dass wir diese Frage runterschlucken müssen?

Wer sagt, dass wir Leid und Schmerz in Stille und Demut zu ertragen haben, anstatt unseren Schmerz herauszuschreien?

Wenn Menschen schwer krank sind, wenn Menschen trauern, ist es wichtig, dass Menschen ihre Enttäuschung, ihre Wut, ihren Ärger, ihren Schmerz ausdrücken, ihn hinausschreien dürfen ohne Rücksicht auf andere, ohne Rücksicht auf Gott, von dem sie die Frage „Warum“ beantwortet haben möchten, den sie aus ihrem Schmerz und ihrer Wut nicht heraushalten können.

Ich glaube, dass Menschen, die so nach Gott fragen, die ihn nicht in Ruhe lassen, sich nicht einfach mit den Leiden der Menschen abfinden, häufig näher an den Gott der Bibel herankommen, als jene, die schon immer eine fertige Antwort haben.

So begegnet uns Jesus auch im heutigen Evangelium. Er heilt die Schwiegermutter des Simon, nachdem ihm von ihrer Krankheit erzählt wurde. Daraufhin versammeln sich Menschen, weil sie von ihm Heilung erhoffen. Sie lassen ihn, sie lassen Jesus, sie lassen Gott nicht in Ruhe- natürlich nicht.

Da ist einer, der heilt, der offenbar eine Antwort auf das Leid gefunden hat, mit ihm fertig wird, es verändern kann. Aber selbst er beseitigt nicht alles. Denn es wird nicht  berichtet, dass er alle Dämonen austrieb und alle Krankheiten heilte. Sondern nur noch von vielen ist die Rede.

Und dann wird berichtet, dass er sich vor Tagesanbruch an einen einsamen Ort zurückzieht um zu beten.

Ich stell mir Jesus in dieser Situation als jemanden vor, dem es nicht egal ist, was um ihn herum geschieht.

Aber offenbar  braucht auch er die Zeit der Stille und des Gebetes, um die Erlebnisse des Vortages zu verarbeiten, um damit fertig zu werden, was Menschen in ihrem Leben ertragen müssen.

 

Er weiß, dass das Leid nicht durch Zauberei aus der Welt zu schaffen ist.

Mit dem Verbot an die Dämonen zu reden will er vermeiden, dass sich alle, die von seinen Heilungen hören mit falschen Hoffnungen auf den Weg zu ihm machen.

Wer Jesus kennt verfügt nicht automatisch über  eine Zaubermacht mit der sich alles Leid der Welt beseitigen ließe.

Jesus lässt sich nicht magisch vereinnahmen.

Als seine Freunde ihn finden, folgt er nicht ihrer Aufforderung zurückzukehren, um vielleicht weiter zu heilen oder sich feiern zu lassen. Er will weg und in anderen Dörfern, anderen Menschen von Gott erzählen, sie erfahren zu lassen, was das Reich Gottes für die Menschen bedeutet.

Jesus erklärt das Leid der Menschen nicht, er beseitigt es auch nicht einfach. Aber er sieht die Menschen auf seiner Wanderschaft, er leidet mit ihnen, sieht sie in Ihrer Angst, ihrem Schmerz, ihrer Trauer und Wut. Er weiß um die schwere Existenz, er weiß, was es heißt Mensch zu sein. Der Mensch als Hiob ist ihm nicht fremd: Hören wir noch einmal einen Teil der Lesung:

So wurden Monate voll Enttäuschung mein Erbe
und Nächte voller Mühsal teilte man mir zu.
Lege ich mich nieder, sage ich: Wann darf ich aufstehn?
Wird es Abend, bin ich gesättigt mit Unrast, bis es dämmert.
Schneller als das Weberschiffchen eilen meine Tage,
sie gehen zu Ende, ohne Hoffnung.
Denk daran, dass mein Leben nur ein Hauch ist!
Nie mehr schaut mein Auge Glück.

 

Letztes Jahr um die Zeit hätten wir vielleicht noch gedacht: Ach je- ein wenig überzogen. Aber jetzt wird der ein oder andere sich  manchmal mit seinen Gedanken darin wiederfinden.

Wir sind in diesen Monaten näher an der Erfahrung des Lebens dran als wir es in den einfachen und scheinbar immer besser werdenden Jahren davor waren. Wir drohten zu glauben, dass das Leben aller meistens eine Aneinanderreihung von tollen Events, Reisen und Erfahrungen ist. Wenn einmal Leid vorkam, dann immer nur bei anderen oder wir haben es versteckt oder ignoriert bis es nicht mehr ging.

Die Erfahrungen der Ohnmacht, des Ausgeliefertseins, des Bedrohtseins von etwas, das wir nicht in der Hand haben ist für uns neu, aber sehr nahe an dem dran, was über Jahrhunderte oder gar Jahrtausende normale menschliche Erfahrung war. Im Gesamt der Menschheitsgeschichte waren die guten Jahre ohne viel persönliches Leid  die Ausnahme und nicht die Regel; das, was wir jetzt erleben ist eher dran an dem, was für die allermeisten Menschen immer schon, menschliches Leben bedeutete.

Und in dieses Leben kam dieser Jesus Christus. In dieses Leben mit all seinen Unsicherheiten und Unwägbarkeiten kam dieser Mensch aus Nazareth, von dem wir Christen glauben, dass er der Sohn Gottes ist, dass er also Gott ist.

Für eine satte, selbstzufriedene Gesellschaft, die uns heute Lebenden geprägt hat, war diese Erkenntnis nicht ganz so sensationell, eher skurril. Ja und?- hat man wohl in der Regel dazu gesagt.

 

Aber wenn man sich vorstellt, dass das Leben für die allermeisten in der menschlichen Geschichte eher eines mit allen Risiken, mit Hunger, mit Gewalt, mit frühem  Tod, mit Unsicherheit verbunden war, dann ahnt man, was es bedeutet haben muss, glauben zu können, dass der Schöpfer der Welt sich so mit eben diesem Leben solidarisiert, dass er es mit den Menschen teilt.

 

Und so wird Jesu Leben zu einem Zeichen, zu einer Mitteilung über Gott und das Leben an sich:

 

Vermutlich will er ihnen  sagen, dass das Leben so ist wie es ist; vermutlich will er sagen, dass es von jedem gelebt werden muss mit seinen Höhen und Tiefen;

dass diese Höhen und Tiefen aber ANDERS gelebt werden können, wenn ich sie mit dem Wissen lebe, dass ich dabei nie aus den Händen Gottes fallen kann; dass er dabei an meiner Seite ist.

Annehmen und darauf vertrauen, dass alles einen Sinn ergeben wird- spätestens dann, wenn ich vor Gott stehe, von Angesicht zu Angesicht, dann, wenn sich nach diesem Leben die Tür zum GANZEN Leben öffnet.

 

Die Überwindung des Leides geschieht nicht dadurch, es ungeschehen zu machen oder es zu vermeiden, sondern darin, ihm seine vereinnahmende Kraft zu nehmen.

 

Religionen gehen unterschiedliche Wege dieses zu erreichen. Christen bietet sich immer wieder der Blick auf das Kreuz an: Ja, das ist wieder Leid, wieder muss man jemandem in das gemarterte Gesicht schauen, wieder Verzweiflung und Schmerz wahrnehmen.

 

Aber dieser jemand ist eben nicht jedermann, sondern Sohn Gottes.

 

Und dieser Gekreuzigte steht auf- am dritten Tage. Gott findet sich nicht mit dem Leid ab, steht auf gegen das Leid.

Aber auch er verhindert es nicht, geht ihm nicht aus dem Weg. Nimmt es an, geht durch die Hölle der Angst und wird verwandelt. Und darin ist Jesus dann doch jedermann. Weil er exemplarisch für den Menschen steht, nicht nur Gottes Sohn, sondern auch Menschensohn.

Daraus ergibt sich die Hoffnung für den, der daran glauben kann.

 

Wie oft hört man, dass letztendlich die Götter aller Religionen mehr oder weniger gleich sind.

Ich kann darauf immer nur wieder sagen: Ja, Gott ist immer derselbe, aber was die Menschen von Gott verkünden, ist höchst unterschiedlich.

Im Zentrum des christlichen Glaubens steht kein streitender, kein eifersüchtiger, kein fordernder Gott, der andere ausstechen oder gar vernichten möchte.

Im Zentrum unseres Glaubens steht ein mitleidender Gott, seiner Kreatur zugewandt, keiner der Opfer, Weihrauch oder Ehre braucht: er bietet mit seinem eigenen  Fleisch und Blut einen Weg an, sich dem Leid zu stellen und es auf ihn vertrauend zu bewältigen.

Nehmt und esst, trinkt alle davon hören wir in jeder Messe- das ist das Zentrum unseres Glaubens. Gott teilt sich uns mit, teilt sich ganz, gibt sich uns hin. Wird unser Fleisch und Blut- und verwandelt uns, verwandelt unsere Sicht auf die Welt.

Wenn Sie gleich zuhause das Brot miteinander teilen ist das nicht Eucharistie im vollen Sinne- aber es wird zum Erinnerungszeichen dafür, dass Gott das Leben mit uns teilt, sich austeilt, Teil von uns wird, er in uns und wir in ihm aufgehen. Er und wir sind miteinander verwoben- Gemeinschaft, Communio.

 

Der Horror der Pandemie und die vielen anderen Zeichen von Leid und Elend in unserer Welt werden  nicht durch magische Zauberformeln und auch nicht durch Gebete einfach so weggewischt. Sie stellen sich in unseren Lebensweg, genauso wie das viele persönliche Leid, das jedem von uns irgendwann begegnet. Sie sind schreckliche Anfrage an den Sinn menschlichen Tuns und Seins.

Für den Christen sind  sie aber auch Aufruf zum Handeln UND zum Zeugnis für einen Gott, der mit dem Menschen  durch das Leid geht, mitten hindurch, ohne ihn loszulassen, ohne ihn fallenzulassen; verbunden mit der Aufforderung den Blick nicht vom Kreuz zu lassen, an dem er selbst hängt – um nach drei Tagen wieder aufzustehen.