15. Januar, 2. Sonntag im Jahreskreis

Auch wenn die Geschichten um Johannes zunächst nicht so wirken, so finde ich sie doch immer wieder anrührend.

Das ergibt sich nicht auf den ersten Blick, vor allem wenn man nur das hört, was heute aus dem Johannesevangelium vorgelesen wurde, wo es um das Lamm Gottes ging, oder um eine so kryptische Aussage wie die des Johannes über Jesus: Nach mit kommt einer, der mir voraus ist, weil er schon vor mir war.

Wenn man die Geschichten über den Täufer aus allen Evangelien zusammenliest, ergibt sich ein Bild, in dem ein offensichtlicher Aussteiger mit alternativer Lebensweise Menschen anzieht, dass sie in Massen zu ihm laufen und etwas an sich vornehmen lassen, was wir heute Taufe nennen.

Eine Massenhysterie, die ich unheimlich, aber auch faszinierend und wie eingangs schon gesagt, anrührend finde: Menschen auf der Suche; Menschen in ihrer Sehnsucht nach Antworten; Menschen, die sich in ihrem Verlangen nach Verstehen aufmachen, um irgendwo Zuspruch zu finden, das Gefühl zu bekommen, dass es doch einen tieferen Sinn hinter all dem geben muss, das sie Tag für Tag erleben.

Anrührend ist es, weil sich so wenig geändert hat: Wir suchen immer noch nach Antworten, wir suchen immer noch nach Zuspruch, wir wollen immer noch hinter allem Geschehen einen tieferen Sinn erkennen, der uns nicht mit dem Gefühl alleine lässt, dass wir von einem teilnahmslosen Schicksal in diese Welt geworfen wurden, dem es völlig gleichgültig ist, was mit uns geschieht, das völlig regungslos zuschaut, wie wir in der Gefahr sind, uns gegenseitig aufzufressen in unserer Gier nach mehr und nach Leben.

Und so laufen die einen ins Dschungelcamp, dessen Wiederaufnahme nach den Jahren der Pandemie auch von seriösen Medien gefeiert wird als wäre die Erlösung nahe, andere verlieren sich im Wiedereinstieg in das alte Leben von vor Corona und vor Ukrainekrieg und vor Klimakrise und wieder andere lassen sich in einer Vierhäusersiedlung namens Lützerath medienwirksam von Polizisten wegtragen in der vagen Hoffnung, damit die Zukunft des Planeten zu retten.

In all dem drückt sich für mich etwas aus, das ich anrührend finde. Es erzeugt Mitleid in mir. Mitleid mit uns über diese vielen Gedanken, Worte und Werke der Hilflosigkeit.

Damals wie heute suchen wir, manchmal verzweifelt, manchmal hoffnungsvoll, manchmal enttäuscht, manchmal desillusioniert.

So sehe ich die Leute, so sehe ich uns zu Johannes laufen, einer, der es anders macht, einer der von der Hand in den Mund lebend, von dem, was ihm die Natur anbietet, offenbar nach nichts strebend, was den Leuten, was uns so wichtig war und ist: Status, Wohlstand, Sicherheit. Nichts davon ist ihm wichtig, nichts davon findet auch nur bei einem der vier Evangelisten, wenn sie über Johannes den Täufer sprechen, Erwähnung.

 

Zunächst ist ja erstaunlich, dass die Leute sich überhaupt an ihn wenden.

Was hat er denn anzubieten, wenn er schon nicht Status, Wohlstand und Sicherheit verspricht?

Was bekommen sie bei ihm?

Erstaunliches: Den Ruf nach Umkehr.

Kehrt um, bekennt Eure Sünde, Eure Schuld- das ruft er ihnen zu.

Völlig unmodern- so klingt es.

Dabei ist es genau das nicht.

Man muss nur die Augen und Ohren aufmachen, dann wird man feststellen, dass es vieles ist, nur eines sicher nicht: unmodern. Es ist lange her, dass es eine moralinsaurere Zeit als heute gegeben hat. An jeder Ecke wird einem entgegengehalten, was man alles falsch denkt, sagt oder tut. Überall wird über meine Gedanken, Worte und Werke gerichtet. Jeder woke Sprachkritiker, jeder festgeklebte Umweltaktivist, jeder Gesellschafts- und Wirtschaftskritiker schreit es einem entgegen: Kehr um, bekenn Deine Sünde, mache Deine Schuld öffentlich. Lass Dich teeren und federn, dann darfst Du wieder mitmachen. Wenn nicht, bist du geächtet, dann sieh zu, wo Du bleibst, dann wirst Du klein gemacht, gar vernichtet.

Viele laute medienwirksame Johannesse, Rufer in der Medienwüste.

Und doch sind es keine Johannesse, denn es gibt einen entscheidenden Unterschied. Sie bieten keine attraktive Alternative. Wenn alles mit Moralin überschüttet wird, macht nichts mehr Freude. Wenn alles, was man denkt, sagt und tut ständig in der Gefahr schwebt, vernichtend beurteilt zu werden, sozusagen mit Höllenstrafen belegt, dann lähmt das Menschen, dann vergeht die Lust am Leben, dann will man keine Kinder mehr haben, wie Wirtschaftsminister Habeck für viele in der jungen Generation festzustellen meint. Das, was man der Kirche jahrzehntelang vorgehalten hat, nämlich mit der Sünde die Leute kleinzuhalten, ist ausgewandert, hat sich das Gewand der Wokeness angelegt und hält nun die Menschen mit den Mitteln der Kontrolle in den sozialen Medien klein. Erlösung gibt es keine, außer durch Selbstanklage und Selbstbezichtigung. Mea culpa, mea culpa, mea maxima culpa.

Da wird einem das Paradies der Gleichberechtigung aller versprochen, der goldenen Zukunft der Selbstverwirklichung, doch bekommt man nur die Hölle der gegenseitigen Kontrolle.

 

Nein, da wende ich mich doch lieber dem echten Johannes zu, nicht den vielen falschen Johannessen. Denn, er mag zwar intensivst, drohend und fordernd zur Umkehr mahnen, aber er bietet auch Zukunft an. Wir kämen zwar nicht auf die Idee, diese Zukunft Lamm Gottes zu nennen, so wie er es heute im Evangelium tut, aber sie in Jesus zu sehen ist uns doch nicht zu fern.

Abgesehen davon, dass sich auch heute noch, auch unter den vielen Moralaposteln viele finden, die in Jesus Vorbildliches entdecken können, ist er für Christen in einem viel tieferen Sinne Zukunft, Hoffnung und, ja auch das, Erlösung.

 

Seht das Lamm Gottes, das hinwegnimmt die Sünde der Welt. Darauf weist Johannes hin. Es geht ihm nicht wie eben gesagt um ihn selbst, nicht um den eigenen Status, Wohlstand und Sicherheit. Er zeigt auf einen anderen. Mit seiner Lebensweise will er auf Jesus aufmerksam machen, auf den, der wirklich Erlösung, Zukunft und Hoffnung bringen kann.

Wie aber? Lamm Gottes? Mindestens genauso unverständlich wie vieles von dem, was uns heute als Heil und Hoffnung angeboten wird.

Nun im Judentum war das Lamm ein Opfertier,

Das Lamm war Sinnbild für Wehrlosigkeit und Verletzbarkeit. Das Lamm war eben lammfromm.

Das Lamm wurde zum Symbol für das Volk, das ohne seinen Hirten, nämlich Gott schutzlos war.

Das Christentum hat diesen Teil der Symbolik übernommen und ihn auf Christus angewendet. Dieser hat sich wehrlos und schutzlos in die Hände der Menschen gegeben, die ihn umgebracht haben. Gott wird in Jesus Mensch, gibt sich ganz in die Hände der Menschen, geht das Risiko des Lebens ein und verbindet sich mit dem Tod ganz mit dem Schicksal der Menschen. Lamm Gottes.

Und in dieser Verbindung von Mensch und Gott in diesem Jesus wird die Kluft zwischen eben diesen beiden, Mensch und Gott überwunden. Der Graben ist zugeschüttet, Gott reicht in Jesus dem Menschen die Hand und wenn dieser will, muss er nur die Hand ergreifen und über die Brücke gehen.

Seht das Lamm Gottes, das die Trennung der Welt – in Klammern- von Gott hinwegnimmt.

Das ist die tiefere Bedeutung dieses Satzes.

Es geht dabei um einen Gesamtzustand, nicht um die kleinen und großen Sünden der Einzelnen. Es geht um den Grundzustand der Welt, den wir Menschen als von Gott getrennt erleben. So könnte man doch das Gefühl übersetzen, das wir gegenwärtig so intensiv der Welt gegenüber empfinden. Von Gott getrennt, vom Paradies, vom ewigen Schlaraffenland getrennt.

Und den hat dieses Lamm Gottes, dieser Jesus von Nazareth überwunden.

Alles irgendwie sehr theoretisch, philosophisch-theologisches Hirngeplänkel im Elfenbeinturm.

Ich habe es hier aber schon hundertmal gesagt und sage es gerne auch  noch ein hundertunderstes Mal: Jesus hat uns an unsere tiefe, wahre Realität erinnert: Immer und ewig zu Gott zu gehören, untrennbar. Die Überzeugung, dass in Jesus Gott das Leben der Menschen angenommen hat, ist der Ausdruck und das Zeugnis dafür, dass menschlicher Kern, die Seele, und Gott nie getrennt sind- immer zusammengehören und dementsprechend der Tod für den Menschen nur ein Übergang, aber kein Ende bedeutet, sondern eher so etwas wie Heimkehr, zurück zum Ursprung ist.

Der Sund der Trennung, die Sünde also, ist mit Jesus überwunden, oder besser als Illusion enttarnt worden.

Wer nun aus dieser Ãœberzeugung lebt, wer im anderen dieselbe Gottebenbildlichkeit wie in sich erkennt, der geht anders mit dem anderen um.

Denn, wenn wir mit unserem inneren Kern, der Seele, immer und untrennbar mit Gott verbunden sind, dann auch mit den anderen.

Alles, was ihr dem oder dem getan habt, habt ihr mir getan, sagt Jesus. Alles, was ihr dem oder dem getan habt, habt ihr, wenn man es weiterdenkt, Euch selbst getan.

Wenn einer leidet, leiden alle; ganz konkret spürbar gerade in unserer heutigen Zeit, wo wir immer dramatischer bemerken, wie wir alle von den Entscheidungen anderer betroffen sind.

Wenn einer sich freut, freuen sich alle. Nicht, weil man sich aus Anstand mit einem glücklichen Menschen mitfreut, es ihm gönnt, sondern, weil innerlich alle eine Einheit bilden, so dass sich die Freude des einen automatisch auf die anderen auswirkt- wie kommunizierende Röhren in der Chemie.

Und in der Kommunion wird dies besonders deutlich: wir werden zu kommunizierenden, nein, nicht Röhren, aber Menschen, kommunizierende Menschen, miteinander verbunden durch das eine Brot, von dem wir glauben, dass es Gott ist.

Deswegen heißt es immer wieder direkt vor dem Kommunionempfang: Seht das Lamm Gottes, das hinwegnimmt die Sünde der Welt; die Trennung also.

Wir sind alle miteinander verbunden, schicksalhaft- und unser Schicksal heißt Gott, der Gott Jesu Christi.

 

Im Grunde ruft uns dieses Leitmotto des Johannes direkt vor der Kommunion immer wieder zu:  Schaut doch hin, kapiert ihr es denn immer noch nicht? Das gebrochene Brot, der am Kreuz zerbrochene Jesus, ist der Weg Gottes gewesen, Euch daran zu erinnern, was Ihr wirklich und in Wahrheit seid: Untrennbar verbunden, mit ihm und untereinander. Und das in Ewigkeit