13. November Wiedereröffnung Kirche

Lk 21,5-19

 

Nein, dieses Evangelium habe ich nicht extra für heute ausgewählt. Es ist das, was heute in allen kath. Kirchen rund um den Globus vorgelesen wird. Die Leseordnung hat es vorgegeben. Und doch war ich beim Lesen der ersten Zeilen arg perplex. Hören Sie es noch einmal:

In jener Zeit, als einige darüber sprachen, dass der Tempel mit schön bearbeiteten Steinen und Weihegeschenken geschmückt sei, sagte Jesus:
Es werden Tage kommen, an denen von allem, was ihr hier seht, kein Stein auf dem andern bleibt, der nicht niedergerissen wird.

Na denn…

 

Da wollen wir uns heute daran erfreuen, endlich wieder zurück in unserem Tempel zu sein und ebenso an den schön bearbeiteten Steinen, da wird uns gerade dies vergrault.

Es werden Tage kommen, wo kein Stein auf dem andern bleibt

Also: kein Bau für die Ewigkeit.

 

Bei näherem Hinsehen allerdings ist das ja keine wirkliche Neuigkeit. Im Grunde ist es sogar banal.

Das wissen wir doch. Manche Gebäude halten zwar etwas länger, manche finden Archäologen sogar nach hunderten oder gar tausenden von Jahren wieder, aber das sind Ausnahmen. Dass kein Stein auf dem anderen bleibt ist die Norm. Auch von unserem neuen Steinfußboden wird irgendwann nichts mehr übrig sein, auch wenn wir noch so sehr davon überzeugt sind, jetzt etwas Stabiles geschaffen zu haben.

Es werden Tage kommen, an denen von allem, was ihr hier seht, kein Stein auf dem anderen bleibt, der nicht niedergerissen wird.

So ist das und so war das schon immer. Nichts Neues.

 

Und dann geht es weiter in diesem heutigen Evangelium: Volk wird sich gegen Volk und Reich gegen Reich erheben.
Es wird gewaltige Erdbeben und an vielen Orten Seuchen und Hungersnöte geben; schreckliche Dinge werden geschehen

 

Jesus beschreibt das Ende- nachdem ihn die Jünger danach gefragt haben.

Volk gegen Volk, Erdbeben, Seuchen und Hungersnöte.

Man könnte fast auf die Idee kommen, dass es nun so weit sei.

Schließlich scheint es kaum eine Zeit gegeben zu haben, in der so viele Krisen und Bedrohungen gleichzeitig auftauchten, unsere Zukunft so fragil und unsicher erschien.

 

Aber: Hat es Szenarien für den Weltuntergang nicht schon oft genug gegeben?

 

Heute wird in Deutschland der Volkstrauertag begangen. Und aus diesem Anlass versammeln sich jetzt gerade auf dem großen Soldatenfriedhof in Lommel, wo über 50.000 Gefallene aus dem ersten Weltkrieg begraben sind, Menschen um eben dieses Krieges zu gedenken- und all der Opfer, die dieser und andere Kriege verursacht haben.  Es wäre einfach gewesen, damals vor gut 100  Jahren an den nahenden Weltuntergang zu glauben, ebenso wie in den Bombennächten des zweiten Weltkrieges in vielen europäischen Städten oder in Japan beim Abwurf der Atombomben. Für den, der es erlebt hat, war das Weltuntergang.

 

Nichts Neues im Grunde also.

 

Was sollen dann dieses 21. Kapitel bei Lukas und analog dazu die entsprechenden Kapitel bei Matthäus und Markus? Entweder sind sie nicht ernstzunehmender Unsinn oder sie haben eine andere Bedeutung.

 

Es wird Ihnen nicht schwerfallen zu glauben, dass ich an das letztere glaube. Diese Szenarien haben eine andere Bedeutung. Sie wollen nicht auf das bevorstehende Ende hinweisen- jedenfalls nicht so wie wir es mit den Bildern vom Weltgericht im Kopf haben.

Dazu hilft vielleicht ein Blick darauf wie die heutige Stelle in das Gesamt des Lukasevangeliums eingebettet ist.

Sie erinnern sich vielleicht wie im Spätsommer ein Kapitel nach dem anderen bei Lukas um den Gebrauch weltlicher Güter ging: Immer wurde vor der Abhängigkeit davor gewarnt. Nie war Geld oder Besitz als etwas Schlechtes an sich beschrieben worden, aber die Abhängigkeit davon wurde als große Gefahr beschrieben.  Letztendlich ein Hinweis darauf, dass das, was in dieser Welt gilt und von Bedeutung ist, nicht das Endgültige darstellt. Es ist das, was unser Leben zwar oft besetzt, uns beschäftigt und in seinen Bann zieht, aber es ist nicht das eigentliche Leben.

Dann am vergangenen Sonntag, als Jesus die bizarre Frage der Sadduzäer aufnahm, mit wem denn eine Frau im Himmel verheiratet sei, wenn sie im irdischen Leben sieben unterschiedliche Ehemänner hatte- und Jesus mit seiner Antwort darauf hinweist, dass das ewige Leben nicht die Fortsetzung des jetzigen sei. Auch das also ein Hinweis darauf, dass das, was in dieser Welt gilt und von Bedeutung ist, nicht das Endgültige darstellt.

 

Und nun das heutige Evangelium. Es steht im 21. Kapitel nach dem gerade Beschriebenen. Darin beschreibt Jesus, was alles auf die Jünger zukommen wird: Ein Katalog all der grauenvollen Dinge, die die Welt immer schon beschäftigt hat.

 

Und genau das ist es.

Jesus beschreibt die Welt so wie sie ist: Verfolgung war immer und wird immer sein, Kriege waren immer schon und scheinen auch immer wieder zu sein, ebenso Erdbeben, Fluten und Feuersbrünste. Nichts Neues. Die Welt war schon immer so und hat sich vom Grundsatz her nicht verändert.

Alles hat seine Zeit.

Und so schleicht sich hier ein wenig griechisches Gedankengut ein, geprägt von der Wiederkehr des immer Gleichen, dem man am besten mit dem Genuss des Jetzt oder mit Stoizismus begegnet.

 

Diese Verse des heutigen Evangeliums sind keine Beschreibungen einer noch auf uns zukommenden Welt, es ist unsere Welt, die da beschrieben wird- das, was jeder, der die Augen offenhält Tag für Tag sehen, lesen oder erleben kann.

 

Und doch ist es nicht alles. Der Text heute endet mit Sätzen, die das Ganze einordnen, in einen anderen Zusammenhang stellen: Und doch wird euch kein Haar gekrümmt werden. Wenn ihr standhaft bleibt, werdet ihr das Leben gewinnen.

DAS ist Zukunftsbeschreibung. DAS ist die neue Welt, die wir zu erwarten haben, DAS ist das, was hinter dem tagtäglich zu Erlebendem steht.

Ihr seid nicht von dieser Welt und doch Teil dieser Welt. Das ist dieser immer wieder auftauchende vermeintliche Widerspruch. Ihr Menschen erlebt all diese Dinge, aber ihr sollt wissen, dass das nicht alles ist. Das ist nicht der eigentliche Sinn, der eigentliche Kern des Lebens.

Ihr seid in dieser Welt, um Euren Ursprung wiederzufinden, Euren wirklichen Kern, Eure Bestimmung. Und die liegt eben nicht in dieser Welt. Deswegen immer wieder die Aufrufe, sich nicht in dieser Welt zu verlieren, so an ihr zu hängen, dass man nicht loslassen kann.

Hier herrschen andere Regeln, in denen man danach fragen kann, wer mit wem im Himmel verheiratet ist. Hier herrschen andere Regeln, nach denen man fragen kann, wer denn wohl was und warum im Himmel womit verdient hat.

Hier herrschen die Regeln einer nicht perfekten Welt mit Katastrophen, Verfolgung und Kriegen.

Den Satz, dass uns kein Haar gekrümmt wird, ist eine Zukunftsbeschreibung oder besser eine Beschreibung der Existenz, die wir HINTER der jetzigen führen, eine Beschreibung dessen, was wir im Kern, wahrhaft sind.

Interessant ist aber nicht nur, was VOR der heutigen Textstelle im Lukasevangelium steht, sondern was DANACH kommt: und das ist die ganze Passionsgeschichte, gefolgt von der Auferstehung. In dem EINEN Leben dieses Jesus Christus kulminiert die ganze Bedeutung menschlicher Existenz.

Zu dieser Welt gehören neben vielem an glücklichen Stunden eben auch Katastrophen, Kriege und Krankheiten, Leid, PASSION eben. Exemplarisch in diesem Leben Jesu, das vermeintlich am Kreuz endet.

 

Aber, was dann durch die Auferstehung durchscheint, ist das, was ich zuvor immer als Kern unserer menschlichen Existenz beschrieben habe.

Das ist das Leben an sich, das, was wir wirklich und in Wahrheit sind, noch versteckt, aber nach unserem Ende offenbar: Auferweckte, mit dem Sinn, mit dem Leben ewig Verbundene.

 

Darin kann man eine Vertröstung auf das Jenseits sehen, auf ein Später.

Aber:  wer ahnt oder sogar für wahr hält, dass hinter dieser menschlichen Existenz mit ihren Freuden, aber auch den vielen Schattenseiten eine tiefere, göttlichere steckt, wird von diesem Ende her leben; der kann Trost spenden, der kann Zeichen dieser wahren Existenz setzen.

Die aktuellen Katastrophengebiete dieser Welt stellen uns das ganze Elend immer wieder vor Augen. Und es wäre vermessen Empfehlungen darüber abzugeben, wie man als Betroffener durch solch ein Elend kommen mag.

Ich meine aber, dass die Wahrnehmung dieser Welt als nicht endgültig durchaus das Potential hat, ihr mit Standhaftigkeit zu begegnen, mit Zeichen der neuen Welt. Wenn wir uns gegen Katastrophen wehren, uns einsetzen für eine bessere Welt, dann tun wir es nicht, weil wir glauben, aus eigenen Kräften das Paradies zu schaffen, sondern weil wir bezeugen wollen, dass das nicht alles ist. Es gibt mehr, es gibt Hoffnung, es gibt neues Leben.

Wenn Ihr standhaft bleibt, werdet ihr das Leben gewinnen!

 

Uns daran zu erinnern will uns auch dieser Raum hier helfen. Er ist nicht für die Ewigkeit, aber er zeugt von der Ewigkeit.

Die Steine, auf denen wir stehen, werden eines Tages vergehen, aber sie sind uns heute Zeichen für den festen Boden, auf denen wir stehen, wenn wir den Worten Jesu vertrauen.

Nichts bleibt wie es ist. Da können wir noch so viel versuchen, es festzuhalten. Vertrautes verändert sich, geliebte Gewohnheiten müssen wir aufgeben, Menschen müssen wir loslassen, weil nie ein Stein auf dem anderen bleiben wird. Leben, so wie wir es kennen, bedeutet Veränderung. Ohne die Dynamik des Veränderns gäbe es kein Leben. Das ist der Grundsatz der Evolution, von dem wir als Menschen Teil sind.

Aber- und das ist der Glaube, den wir hier Sonntag für Sonntag feiern und in dem wir uns darin gegenseitig bestärken: Und doch wird euch kein Haar gekrümmt werden. Wenn ihr standhaft bleibt, werdet ihr das Leben gewinnen.

Dem einen eine Illusion, oder Torheit, wie Paulus es formuliert hat, uns aber Gewissheit