Fronleichnam, 8. Juni

Wie viele Leute haben mir in den Tagen vor dem heutigen Fest gesagt, dass sie möglichst in die Kirche kommen wollen, alleine um den Blumenteppich zu sehen. Verständlich, denn in der Tat ist es ganz wunderbar, was hier von Antje und ihren Freundinnen gelegt worden ist.

Was mich neben der Tatsache, dass aus diesen einzelnen Blüten solch ein Pracht gelegt werden konnte, besonders berührt, ist, dass es nicht vieler Zutaten dafür brauchte: eigentlich nur zweier: der Blumen, die um diese Jahreszeit üppig in den Gärten und in der freien Natur wachsen und des schöpferischen Geistes von ein paar Menschen- und fertig ist ein Ornament, das uns im Tiefsten berührt.

Die Schönheit der Einfachheit.

Kein technischer Schnickschnack, keine Vielzahl von Werkzeugen, keine Verbundmaterialien oder andere Zutaten; Blüten und ein kreativer Geist- das war’s.

 

Mir scheint, dass das in dieser Hinsicht sehr gut zum heutigen Fest passt. Die Schönheit der Einfachheit.

Nun, wer die vielen, prächtigen Fronleichnamsprozessionen in Erinnerung hat, die die meisten von uns zumindest noch in der Kindheit erleben durften, kommt zunächst nicht auf die Idee, Einfachheit damit zu verbinden. Es war ja eher Pomp and Circumstances.

Die prächtigen Gewänder der Priester, der oft barocke Schmuck des sogenannten Himmels, unter der die kunstvoll gearbeitete Monstranz durch die Gemeinde getragen wurde; begleitet vom Bläserchor und in der Kirche durch die Orgel, an der der Organist alle zur Verfügung stehenden Register zog, um „Großer Gott wir loben Dich“ und „Die Kirche ist erbauet“ zu Gehör zu bringen. Alle die singen konnten- und auch diejenigen, die es eigentlich nicht konnten- stimmten ein in den Lobgesang, das Weihrauchfass wurde von einem hoch motivierten Messdiener geschwungen bis alles im mystischen Nebel verschwand und sich auch beim letzten Frommen in der hintersten Ecke der überfüllten Kirche eine Gänsehaut gebildet hatte.

Von Einfachheit keine Spur- dafür musste man schon genau hinschauen. Ich weiß noch, dass ich als Kind oft gedacht habe, was ist denn das da in der Mitte dieses goldenen  Dingens. Warum machen die so einen Bohei darum? Warum wird damit gesegnet, warum knieen sich alle davor hin?

Das ist doch das Hl. Brot- sagte dann meine Mutter. Als wäre es das Selbstverständlichste der Welt. Brot und heilig- eine Kombination, die sonst nicht vorkam in meiner Welt. Das Brot wurde geschätzt zuhause, besonders wenn es frisch war, aber heilig?

Fragen eines Kindes.

Berechtigte Fragen dennoch.

Das ganze Brimborium drehte sich um eines der einfachsten Dinge: Um das Brot- um ein Grundnahrungsmittel, um etwas Alltägliches.

Mit einer Einschränkung, oder besser: mit einer Erweiterung: HEILIGES Brot, Kommunion. Wann immer der Priester, so erklärte es mir meine Mutter, die Worte von Jesus beim letzten Abendmahl aussprach, dann wurde aus dem Brot Heiliges.

Ich verstand zwar nicht wie, aber das war ja egal. Wenn Gott das machte, dann würde es wohl stimmen, denn der konnte ja alles, der Allmächtige.

Und so hat sich bei mir bis heute eine Ehrfurcht vor diesem Hl. Brot erhalten. Alle Zweifel in meiner Pubertät, das Theologiestudium und alle Jahre des Erwachsenenlebens konnten diesen Glauben nicht erschüttern. Gott, der Allmächtige, alles Umfassende, der, der in allem und durch alles zu finden ist, er hatte sich entschieden, in diesem Brot unter uns zu sein, sich uns mitzuteilen, eins mit uns zu werden, indem wir ihn in jeder Kommunionsfeier in uns aufnehmen.

Die ganze Schönheit der Einfachheit.

Und so wie uns dieser wunderschöne Teppich mit den Mitteln von Blüten und menschlicher Fantasie einen höheren Einblick in die wahre Schönheit der Welt gibt, gibt uns der Blick auf das vermeintlich einfache Brot in der Monstranz den Blick frei auf das tiefe Geheimnis Gottes: Ganz in uns, ganz mit uns. Der ganz Andere im uns so Bekannten und Gewöhnlichen.

 

Nicht jeder wird meine Begeisterung teilen- aber ich will mit ihr nicht hinter den Berg halten. Und zwar nicht, weil ich einfach meine persönliche Frömmigkeit mit Ihnen teilen möchte, sondern weil sich daraus eine tiefere Einsicht ergibt. Die Schönheit der Einfachheit.

In dieser Zeit, in der alles so kompliziert erscheint, alles wie ein kunstvoll in sich verschachteltes Kartenhaus-  und deswegen so verletzlich wirkt und ist- in so einer Zeit hat die Sehnsucht nach Übersichtlichkeit, Klarheit und Einfachheit Konjunktur. Wir besinnen uns auf das Wesentliche. Wir erkennen, dass uns so vieles zur Zerstreuung angeboten ist, das uns aber eher verführt und wegführt von den zentralen Wahrheiten unseres Lebens als das es uns dorthin führt.

In der Coronazeit, die gefühlt schon wieder etliche Jahre hinter uns liegt, haben wir eine Ahnung von der Schönheit der Einfachheit bekommen. Ich weiß für viele Familien war es nicht einfach, im Gegenteil: Beruf UND Kinder unter einen Hut zu bekommen, war keine Einfachheit, sondern eine Schwierigkeit, an der viele zu verzweifeln drohten. Ich will das hier also nicht romantisieren.

Und dennoch konnte man manchmal eine Ahnung davon erspüren, was wir in Wahrheit wirklich benötigen: Menschliche Nähe, Verlässlichkeit, ein gutes Wort am  Telefon und die seltene und daher intensive gemeinsame Zeit mit anderen. Auf vieles mussten und konnten wir verzichten, aber nicht auf die einfache Schönheit menschlichen Miteinanders, das tägliche Brot der Zuwendung.

Wir drohen dies alles wieder verloren oder vergessen zu haben. Dabei wären darin Rezepte zu finden, wie unsere Welt, unsere Gesellschaft in eine andere Form zu überführen wäre, die eine größere Chance für alle böte, die nächste Epoche menschlicher Entwicklung ohne größeren Schaden zu erreichen.

Die Einfachheit der Schönheit gilt es wiederzuentdecken. Das Fest Fronleichnam führt es uns vor Augen: Das Wesentliche, das Existentielle ist einfach. In den Blüten des Frühlings, im täglichen Brot lässt sich erkennen, was wir zum Leben und zum Überleben wirklich benötigen: Geteilte Gemeinschaft untereinander, die der Vereinzelung entgegenwirkt, uns miteinander verbindet und die Hoffnung weckt, über die eigene Begrenztheit hinauszuwachsen. Gott, so glauben wir, hat uns die Mittel dazu mitgegeben. Unser Geist muss sie nur so zusammensetzen, dass sie für alle wirksam werden.