18. Juni, 11. So. im Jahreskreis

Zwei Sätzen des heutigen Evangeliums gehen mir besonders nach- und sie umrahmen die Stelle, weil sie am Anfang und am Ende stehen: Der erste lautet:  Als er die vielen Menschen sah,
hatte er Mitleid mit ihnen; denn sie waren müde und erschöpft wie Schafe, die keinen Hirten haben.

Und der zweite: Umsonst habt ihr empfangen, umsonst sollt ihr geben.

 

Der erste spricht mich an, weil er eine Situation beschreibt, die mir bekannt vorkommt: Jesus schaute auf die Leute, die ihn umgaben, sich an ihn gewandt hatten, ihm an den Lippen hingen- und hatte vor allem eines mit ihnen: Mitleid. Denn sie waren müde und erschöpft- müde und erschöpft wie Schafe, die keinen Hirten haben.

 

Diese Beschreibung kommt mir vor wie eine, die auf die heutige Zeit bezogen sein könnte: wie viele Menschen sind müde und erschöpft, können nicht mehr, sehnen sich nach Ruhe und Erholung und finden doch keine. Ich muss die ganzen Ursachen ja gar nicht mehr beschreiben. Wir kennen sie ja alle aus eigener Anschauung:

Den Druck der Arbeit,

die Ansprüche, die sich aus der sogenannten work- life- balance ergeben, die viel zu oft keine Balance ist, sondern eher zum work als zum life hintendiert,

die psychische Bewältigung all der Krisen, die unaufhörlich an uns zerren

und anderes mehr.

 

Ich stelle mir manchmal vor, wie es wohl wäre, wenn Jesus uns heute sähe. Würde er sich an den Kopf fassen, wenn er unsere tägliche Routine erlebte, die morgens mit Kinder versorgen, auf den Schulweg setzen, auf dem Weg zur Arbeit noch die letzten Mails checken, am Steuer oder in der Bahn ein paar Anrufe tätigen, den Tag im Büro oder in der Firma verbringen, Kinder abholen, einkaufen, zum Sport, schnell was kochen, noch eine Sitzung, die mir mein Ehrenamt bei der Kirche eingebrockt hat und nach 22h endlich zu Hause sein, kurzes Hallo zum Ehepartner, der hoffentlich nicht auch noch mit irgendeinem Problem aufwartet, dann irgendwie runterkommen, um bald einzuschlafen?

Und was würde er sagen, wenn er sähe, dass der nächster Tag nicht besser wäre, wir dem kein Ende setzten, sondern im Gegenteil, der nächste Tag genauso aussähe wie der vorige? Und was würde er sagen, wenn er dann sähe, dass es da  zwar ein Wochenende gibt, das oft aber auch nur einem Arbeitstag gleicht statt einem von der Muße bestimmten Zeitabschnitt.

 

Ähnlich wie im Evangelium dürfen wir wohl davon ausgehen, dass er auch heute erst einmal etwas sehr Ermutigendes täte: er würde nicht mit Mahnungen, mit erhobenem Zeigefinger oder mit Drohungen kommen. Er würde vermutlich

auch kein Wochenendseminar mit Meditationen anbieten, wo sie lernen, mit ihrem Stress umzugehen, um noch effektiver zu sein, keine Retreats,  um den Alltag besser durchzustehen.

Von ihm wird nur berichtet, dass er -als er die müden und erschöpften Menschen sah- Mitleid hatte.

Und seine Diagnose: wie Schafe, die keinen Hirten haben: zielloses, ängstliches Hin- und Hergeblöcke, verloren auf einem Weg, von dem man nicht sicher ist, ob es der richtige ist. Orientierungslos bis zur Erschöpfung, müde vom Suchen und Nicht-finden.

Und er hatte- Gott sei Dank- Mitleid. Keine Vorwürfe, nur Mitleid.

 

Und er handelt dann: er schickt seine Apostel mit einem Auftrag auf den Weg: Geht und verkündet: Das Himmelreich ist nahe!
Heilt Kranke, weckt Tote auf, macht Aussätzige rein, treibt Dämonen aus!

 

Nun steht das da als Auftrag an die Apostel. Und er wird damit zum Auftrag aller, die Jesus nachfolgen.

 

Und da haben wir nun ein Problem: Wir sind viel zu oft diejenigen, die müde und erschöpft sind, aber gleichzeitig eben auch diejenigen, die den Müden und Erschöpften unserer Zeit verkünden sollen, dass das Reich Gottes nahe ist. Wir sind Geber UND Empfänger, Helfer und Bedürftiger.

Im Idealfall wären die Nichtchristen diejenigen, die müde und erschöpft sind und wir die vom Hl. Geist Vollgepumpten, die den armen zu Bemitleidenden von der Kraft Gottes erzählen.

Im Idealfall. Aber Ideale sind ja deswegen Ideale, weil sie nicht Realität sind. Die Wirklichkeit ist nie schwarz oder weiß, sondern ein buntes Grau. Und so sind wir selbst viel zu oft diejenigen, die aufs Neue den Zuspruch bräuchten: Das Reich Gottes ist nahe. Gott hat Mitleid mit Dir. Vertrau Dich ihm an.

 

Aber vielleicht ist das Ganze ja gar kein Widerspruch. Menschen sind eben nicht Gott, wir sind nicht Jesus, selbst wenn er uns mit seinen Gaben ausgestattet hat. Wir kennen nur etwas vom Weg  zum Glück, oder besser zum Heil, aber sind oft genug gleichzeitig diejenigen, die auf diesem Weg einmal selbst wieder Zuspruch benötigen. Geben und Nehmen ist Teil jeden menschlichen Lebens. Manchmal sind wir stark und fühlen uns in der Lage, den Auftrag Jesu in unsere Zeit umzusetzen und manchmal sind wir eben schwach und dürfen die anderen bitten, uns den Trost Jesu, sein Mitleid zuzusprechen.

Wichtig finde ich nur, dass es überhaupt diesen Zuspruch gibt. Wichtig ist, dass wir vertrauen dürfen, dass das Wort Jesu grundsätzlich die Kraft hat uns zu heilen, unsere Dämonen auszutreiben, uns vom Aussatz zu befreien und aus Totem Lebendiges zu machen.

 

Die Apostel hatten es an sich erfahren und dann haben sie den Auftrag bekommen, es weiterzugeben.

Wir sind erst einmal Empfänger, bevor wir zu Gebern werden.

Ihr dürft Euch erst heilen lassen, bevor Ihr loszieht, um andere zu heilen, Ihr dürft Euch erst trösten lassen, bevor Ihr andere tröstet, Ihr dürft Euch erst einmal ausruhen, bevor Ihr Euch auf den Weg macht, um andere zu stärken.

 

Umsonst habt Ihre empfangen, umsonst sollt Ihr geben. Das ist nicht ohne Grund der andere Satz, der die heutige Stelle abschließt. Das war den Christen zu Beginn besonders wichtig zu betonen. Gottes Zuspruch ist umsonst, es ist ein Geschenk, Gnade. Dafür zahlt man nicht, das kostet nichts. Und weil das so ist, gibst Du es auch umsonst weiter. Du machst keinen Gewinn daraus, Du machst keinen Reibach damit. Gott hat immer nur eine einzige Bedingung: Öffne Dich für ihn. Bereite Dein Inneres so vor, dass Gott eine Chance hat. Mach Dich bereit für sein Mitleid, lass es zu. Du musst es nicht alles selbst lösen, Gott ist der Allmächtige, nicht Du.

 

Und so stelle ich mir vor, dass Jesus heute versuchte, auf sich aufmerksam zu machen. Er würde möglicherweise verzweifeln darüber, dass sein Weg nicht mehr gesehen würde, gerade von denen, mit denen er so viel Mitleid hat. Er würde traurig an unseren geschäftigen Wegen sitzen und sich wundern über unsere Blindheit.

Denn das könnte er uns nicht abnehmen: Auf ihn einlassen müssen wir uns schon selbst. Alles andere widerspräche der uns eingegebenen Freiheit der Geschöpfe.

Er bietet die Brücke zu einem anderen Leben an, darüber gehen aber müssen wir schon selbst.