Pfingsten

 

 

Die Verhaltensforschung ist sich einig, dass der Mensch ein soziales Wesen ist. Wir verkümmern, wenn wir dauerhaft isoliert werden. Nicht umsonst ist Einzelhaft eine der schlimmsten Strafen, die man einem Menschen antun kann.

 

Ebenso wissen wir  aus der Verhaltensforschung, dass der Mensch zur Abgrenzung neigt. Hat er seine soziale Gruppe, seine Familie, seinen Stammesverband, sein Dorf, seine Landsmannschaft oder seine Nation gefunden, zu der er sich zugehörig fühlt, werden andere parallel existierende Gemeinschaften als Konkurrenz und potentielle Gefahr empfunden.

 

Ob man um die besten Jagdgründe, um neue Kolonien, um Lebensraum im Osten oder um die eigenen Pfründe, Errungenschaften des Sozialstaates oder heimatliche Traditionen kämpft; all das geschieht oft aus sehr unterschiedlichen Motiven, aber eines gehört immer dazu: die Abgrenzung. Hier wir, dort die anderen.

So ist der Mensch, er kann zugewandt, liebevoll, großzügig, umsorgend, auf eigenen Vorteil verzichtend sein;

er kann dem anderen aber auch zum bitteren Feind, zum Wolf werden; dann ist der andere auszubooten, niederzuhalten, abzuweisen oder gar zu vernichten.

 

Ambivalente menschliche Haltung, Geisteshaltung sozusagen.

Keiner kann sich dem zur Gänze entziehen,  niemand ist von den Emotionen frei, die Handlungen in die eine oder andere Richtung auslösen.

Letztlich geht es dem Menschen, genetisch bestimmt, immer ums eigene Überleben, um den eigenen persönlichen Vorteil oder um den Vorteil der Gruppe, zu der er gehört.

 

Menschliche Geisteshaltung.

 

Wenn wir als im Rahmen unsere Firmvorbereitung mit den Jugendlichen –jetzt schon traditionell- ins Kloster Königsmünster nach Meschede fahren, dann stehen das Vorbereitungsteam, aber auch die Teilnehmer bei einem Thema oft genug auf dem Schlauch. Das ist nicht der menschliche Geist, sondern der Heilige Geist.

 

Katechetisch fragen wir uns dann in der Vorbereitung, wie man den beschreiben soll, wie man ihn fassen und vermitteln soll. Und den Jugendlichen fällt bei direkter Frage, was denn der Hl. Geist ist in der Regel auch nicht sehr viel Sinnvolles ein. Wie denn auch.

Das fängt schon sprachlich an. Das Wort „Geist“ ist vieldeutig.

Es bezeichnet im Deutschen z.B. die mentalen Fähigkeiten eines Menschen. „Der ist aber geistreich“- sagen wir, wenn jemand gebildet und witzig ist.

„Wenn mir jemand auf den Geist geht“- dann ist damit meine Person gemeint. Der geht meinem Geist, MIR also, auf die Nerven.

Geister, die man nicht mehr loswird, sind Folgen von Handlungen, die man nicht mehr unter Kontrolle hat.

Unter wenn Geistergeschichten erzählt werden, geht es ums Gruseln, um Gespenster.

 

Dazukommt, dass das Wort Geist im Deutschen zwar männlich ist, das biblische Wort „ruach“ für Hl. Geist weiblich und im ntl. Griechisch daraus Pneuma wird, was grammatikalisch sächlich ist.

Im Lateinischen, der Kirchensprache also, verschob sich das Geschlecht mit dem Wort Spiritus Sanctus endgültig ins männliche, wie es sich dann auch in den romanischen Sprachen erhalten hat.

 

Und dann hat das ursprüngliche hebräische Wort für den Geist auch noch die Nebenbedeutungen „Wind“ und „Hauch“. Kein Wunder, das man am Ende sprachlos ist, wenn man über den Hl. Geist spricht.

 

Bei der Katechese helfen wir uns dann damit, dass wir sagen, dass man den Hl. Geist nur über seine Wirkung erfassen kann. Und nach wie vor halte ich das auch für richtig.

Hl. Geist ist immer da, wo der menschliche Geist in seiner Beschränktheit auf die eigene Gruppe überstiegen wird. Da, wo Menschen Grenzen überwinden, andere nicht als potentielle Feinde, sondern als Ebenbilder Gottes ansehen, da ist Hl. Geist.

Und genau so wird er, oder soll ich sie sagen, ja in den biblischen Stellen zum Pfingstfest beschrieben.

All die Völker, die  zur Verzweiflung mancher Lektoren im zweiten Kapitel der Apostelgeschichte genannt werden, verstanden die Apostel, obwohl diese weiterhin in ihrer Muttersprache sprachen.

Sie alle waren nach Jerusalem gekommen, um das Schawuot zu feiern, das jüdische Fest der Offenbarung der Tora an das Volk Israel, das gleichzeitig ein Erntedankfest für die abgeschlossene Weizenernte war. 50 Tage nach dem Passahfest wurde das begangen. So feiern wir noch heute Pfingsten fünfzig nach dem Osterfest.

Man kam -der Apostelgeschichte nach- also zusammen aus allen bekannten Ecken der Welt, ob aus Rom, Kreta, Pamphylien, Asien oder Arabien und war urplötzlich so miteinander verbunden, dass man gefühlt EINE Sprache sprach, eines  Sinnes war, oder wie wir auch sagen, eines Geistes war- Heiligen Geistes war.

 

Eine Verbundenheit, die die, dem Menschen eigentlich natürliche Grenze dem Fremden gegenüber, überwand. Der Fremde war nicht mehr der Feind, sondern gehörte, verhaltensbiologisch gesprochen zur eigenen Gruppe. Es gab nur noch EINE Gruppe, die Menschen waren EINS. Paradies sozusagen. Der Geist, der da vom Himmel fiel, hatte die Menschen kurzzeitig in den ursprünglichen Zustand der Verbundenheit aller mit allem versetzt. Er hatte das nach außen gekehrt, was sonst nur verborgen in jedem  Einzelnen, oft ganz versteckt, vorhanden ist. Unser göttlicher Kern, das, was uns mit unserem Ursprung aus Gott verbindet, wurde öffentlich, verband sich mit allem- und ein paradiesischer Zustand war erreicht.

Leider nicht dauerhaft, aber so deutlich, dass er es bis heute Menschen, die vom Hl. Geist erfasst sind ermöglicht, die Grenzen zu überwinden, die dem Menschen biologisch eingeprägt sind.

 

Die ganzen Auseinandersetzungen über Flüchtlinge, Asylbewerber, über Heimat und Abgrenzung lassen sich im Kern darauf zurückführen. Verhaltensbiologisch braucht der Mensch die Geborgenheit der vertrauten Gruppe, weswegen es so einfach ist, ihn darauf anzusprechen. Der Populismus kann so erfolgreich sein, weil er unsere natürlichen Impulse der Abgrenzung anspricht, weil er an ein jahrtausendealtes Grundmuster menschlichen Verhaltens anknüpfen kann. Wir können sozusagen die an unserer Höhle vorbeiziehende fremde Horde von Menschen nicht einschätzen, unterstellen ihnen vorsichtshalber erst einmal schlechte Absichten und halten sie von uns fern. Dann sind wir auf der sicheren Seite.

 

Spätestens aber in einer Welt, die wir globalisiert nennen, die durch Technik, Freizeitverhalten und Handel so miteinander verbunden ist, dass jeden Tag eine fremde Horde vor der eigenen Höhle steht, muss sich andere Regeln des Zusammenlebens  suchen.

Da sind wir gerade mittendrin und es ist naturgemäß- und das Wort nutze ich bewusst- naturgemäß sehr schwer. Das, was uns so lange zum Überleben genutzt hat, soll es nun nicht mehr sein. Plötzlich sollen wir alle eins sein.

 

Für Christen gilt das schon lange. Für Christen gibt es seit dem Pfingsttag keine Grenze zwischen Menschen mehr. Alle, aus aller Herren Länder waren nach Jerusalem gekommen, verstanden sich durch den Hl. Geist und überwanden alle Grenzen und Gegensätze.

 

Klingt wunderbar, ist aber nicht immer einfach, denn bekanntlich sind Christen  natürlich auch Menschen, ABER, sie sind Menschen, die  im Idealfall diesen so menschlichen Instinkten nach Abgrenzung nicht nachgeben, allein schon, weil sie Jesus Christus folgen, der alle Grenzen überwand, sogar die von Leben und Tod.

Christen und Grenzen- das passt schlichtweg seit Pfingsten nicht mehr zusammen.

 

Christen in einem Sozialwesen müssen aber natürlich Rücksicht darauf nehmen, was die empfinden, die eben keine Christen sind. Das Zusammenleben einer Gemeinschaft, eines Landes, einer Nation kann nur dann funktionieren, wenn –wie sagt man das heute- möglichst alle mitgenommen werden. Oder besser gesagt, dass die große Mehrheit der in dieser Gemeinschaft Lebenden davon überzeugt ist oder wird, dass Grenzen überwinden, etwas Gutes ist. Gegen den Widerstand zu vieler, ist so etwas nicht machbar, reißt es die Gemeinschaft auseinander.

Und da stehen wir nun in so vielen Ländern des sogenannten Westens, in unseren liberalen Gemeinwesen.

 

Christen allerdings stehen seit Jesus auf der Seite derer, die Grenzen zwischen Menschen überwinden oder zumindest überwinden wollen. Oder sollten zumindest da stehen. Auch wenn es darüber nicht mit allen Christen Einigkeit geben wird meine ich  aber, dass es, das heutige Fest betrachtend, keine andere Deutung geben kann.

 

Der Hl. Geist hat alle Grenzen überwunden  und diejenigen, die ihm folgen, stehen in dieser Tradition.

 

Nach wie vor- das geht in den täglichen Nachrichten ja unter- arbeiten in vielen Kommunen, Städten wie Dörfern, viele Ehrenamtliche mit, um Flüchtlingen ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen. Das führt  sicher oft genug auch zu Enttäuschungen, weil der Helfende sich auch einmal ausgenutzt fühlen kann, wovon immer wieder berichtet wird. Und es fällt manchem schwer, wenn die Stimmung gegenüber Migranten immer schlechter wird, wenn die Kriminalstatistiken z.B. in NRW zeigen, dass die Mehrheit der Messerattacken auf Ausländer zurückzuführen sind, am Prinzip der Humanität festzuhalten; es wird fällt schwerer, die eigenen Vorurteile zu bekämpfen. Natürlich kämpfen auch Christen mit ihren urmenschlichen Instinkten, die sie zwischen vom Hl. Geist-geleitetem Handeln und eigenen Urängsten hin- und herreißen. Enttäuschungen und Frustrationen gehören zum Leben dazu. Nicht immer läuft alles gerade auf die große Erkenntnis und das ewige Erleuchtetsein zu. Selbst von unserem großen Vorbild Jesus Christus werden aus seinen letzten Tagen Zweifel und Ängste berichtet.

 

Lassen wir uns also nicht irre machen; wer den Populisten auf den Leim geht, geht den eigenen, tief im Inneren verankerten Urinstinkten auf den Leim. Wir haben Geist mitbekommen, Heiligen Geist empfangen, der Grenzen überwindet, Menschen nicht als Phrygier, Pamphylier, Meder, Elamiter, Ägypter oder Libyer, Asiaten, Römer,  Juden, Kreter oder Araber sieht, sondern als Menschen, als Abbilder des einen Gottes.