Ein Zwischenruf

von Wolfgang Severin

 

Wie schwer es uns doch fällt, die Dinge einmal loszulassen, einmal etwas anders sein zu lassen, den gewohnten Pfad zu verlassen und zu schauen, was sich Neues dabei auftut.

 

Das fiel mir auf als ich heute eine Bemerkung hörte, dass wir in St. Paulus zu Weihnachten viel weniger anbieten würden als unsere evangelische Schwestergemeinde.

Es sei einmal dahingestellt, ob das tatsächlich so ist, denn in manchem ist so ein Vergleich der Vergleich von Äpfel und  Birnen und führt zu vorschnellen oder falschen Schlussfolgerungen.

Aber viel entscheidender ist für mich, was wohl hinter dieser Anmerkung stand. Welche Haltung, welche Erwartung?

 

Selbstverständlich kann ich verstehen, dass sich viele Gläubige danach sehnen, wieder Messe zu feiern. Selbstverständlich vermissen wir die Gemeinschaft im Glauben, gerade an Weihnachten, selbstverständlich tut es weh, wenn man sich an die vielen schönen Erfahrungen und Erlebnisse, die sich mit dem Fest verbinden, erinnert.

Kein Fest ist emotional tiefer in uns verankert.

Und so trauern viele darum, dass ihnen das in diesem Jahr vorenthalten wird.

Auch sind viele darüber besorgt, dass ihre Kinder diese Erfahrungen in 2020 nicht machen können und dadurch eine wichtige Bindung an die Christengemeinschaft verloren zu gehen droht.

 

Aber: würde eine Messe mit maximal 15 Personen, die, um möglichst viele Gläubige „zu versorgen“, viele Male über die Festtage hintereinander gefeiert werden würde, dazu mit Maske und ohne die vertrauten Lieder singen zu können, tatsächlich ein Ersatz für die enge, voll besetzte klassische Weihnachtsmesse sein?

Würde ein digitaler Zoomgottesdienst, unterbrochen durch die Sätze „Kannst Du mich hören?“ oder „mach doch mal das Mikrophon aus“ tatsächlich das andächtige Geschehen der Christmette vom Hl. Abend ersetzen können?

Die Antwort dürfte ziemlich deutlich ausfallen.

 

Warum aber soll es für manchen dennoch so sein? Ist es so schwer, einmal auszuhalten, dass die Stille Nacht tatsächlich eine Stille Nacht sein wird in diesem Jahr?

Ist es so schwer, sich bei Kerzenschein unter den Weihnachtsbaum zu setzen, sich die ersten Kapitel des Lukasevangeliums in Ruhe durchzulesen, es auf sich wirken zu lassen und den Abend mit einem Gebet alleine oder mit den Hausgenossen zu beenden?

Sind wir wirklich so von unserer Eventgesellschaft konditioniert, dass jedes Entfallen eines Events uns Angst macht?

 

Ist das nicht eine Erfahrung, die wir möglicherweise nur in diesem Jahr 2020 machen können?

 

Warum suchen wir die schlechte Kopie von etwas, was sich nicht kopieren lässt? Warum setzen wir uns nicht mal dem ganz anderen aus?

 

Oder hat Blaise Pascal recht, wenn er schreibt:  „Ich habe es so oft gesagt: das ganze Unglück der Menschen kommt daher, dass sie nicht ruhig in einem Zimmer bleiben können“

Ob er recht hat?

Es erklärt nicht alles, aber vieles.

Wenn uns 2020 eines gelehrt hat, dann, dass die Reduktion die neue Moderne ist. Weniger ist mehr. Nicht das Füllen mit immer mehr macht uns frei, sondern die Leere, das Zurücknehmen. Nicht die Quantität der Ereignisse und Events, sondern das Loslassen, das Aushalten des Weniger.

Nutzen wir es als  Chance und feiern wir die STILLE Nacht. Schön nächstes Jahr könnte sie wieder sein was sie zuvor viel zu oft war: Ein Abend, angefüllt mit hohen Erwartungen, jeder Moment ausgefüllt mit dem „so war es schon immer“ und enttäuschend für die, die es gerne einmal anders gemacht hätten.

Jetzt ist die Zeit, jetzt ist die Stunde, heute wird getan oder auch vertan, worauf es ankommt, wenn er kommt

https://www.youtube.com/watch?v=QAelCHx7REo&ab_channel=J%C3%BCrgenR.