26. Mai, Dreifaltigkeitssonntag

Wie soll man diese eine Frage beantworten? Wer soll das tun können?

Wie stellt man diese Frage eigentlich richtig? Soll ich fragen WER ist Gott?

Oder doch besser WAS ist Gott? Oder müsste es heißen, vorausgesetzt ich kann an Gott glauben WIE ist Gott?

Eine einzige Frage, die gleich viele neue aufwirft.

Dabei könnte doch alles klar sein- wir müssten es doch nur glauben. Schließlich bräuchten wir doch nur den heutigen Festinhalt des Dreifaltigkeitssonntags annehmen und schon wäre die Frage beantwortet?! Bewusst an den Sonntag nach dem großen Osterfestzyklus angehängt, sozusagen als Schlussakkord, ist die Antwort doch eindeutig: Gott ist dreifaltig- eindeutig dreifaltig.

Sie hören meine leichte Ironie.

Oft genug habe ich zu diesem Fest abgeklärt und klar gesagt, wofür die Dreifaltigkeit steht: Gott ist in sich schon Beziehung- kein monolithischer Block, sondern einer, der als Vater, Sohn und Hl. Geist in sich schon das Dreieck der Kommunikation repräsentiert: aus 1+1 wird drei aus der Beziehung erwächst etwas drittes, Liebe trägt Frucht. Wenn Gott die Liebe ist, muss er Beziehung sein.

Alles klar, oder?

Nichts ist klar- wie könnte es.

Die Dreifaltigkeit ist das philosophisch-theologische Endprodukt einer langen Entwicklung, die gespeist aus Glaubens- und Lebenserfahrung vom ersten Nachdenken unserer Vorfahren über die eigene Existenz hin zu dieser komplexen Aussage über ein Phänomen geführt hat, das wir Gott nennen, von dem wir aber eigentlich nichts wissen können, sondern nur erahnen können; ein Phänomen, an das wir zwar glauben können, möglicherweise sogar Gewissheit erlangen können,  über das wir aber nie wissenschaftlich nachprüfbar Beweise vorlegen können.

 

Wie konnte es dazu kommen, dass wir dennoch heute hier stehen und dieses Phänomen mit dem Namen Gott feiern, loben und preisen?

 

Vermutlich, weil am Anfang des Bewusstwerdens des Menschen eine ganz andere Frage stand- nicht „wer ist Gott“, sondern „wer ist der Mensch?“

Bald nachdem in den ersten unserer Vorfahren ein Erkennen der eigenen Person, das Bewusstsein, auftauchte, muss sich doch die Frage aufgetan haben „Wer bin ich als Mensch?“

 

Als das erste Mal einer unserer Vorfahren in einen Teich oder See blickte und verstand, dass das Spiegelbild, das ihm da entgegenblickte er selbst war, tat sich die Frage auf, was man als Mensch eigentlich ist?

 

Wer bin ich?

 

Dieses Wesen konnte vielleicht beschreiben, wo es hergekommen war, ob in der Ebene da hinter den Bergen oder eher von der Region nahe dem Ozean, aber nicht mehr.

 

Direkt verbunden mit der Frage nach dem „wer ich bin“, ist doch damit die Frage „woher komme ich eigentlich?“

 

Wo war ich denn als ich mir noch nicht bewusst war, zu sein?

War ich da eigentlich?

Gab es mich da schon?

Und wenn nicht, wie kann es sein, dass ich jetzt bin?

Konnte ich aus dem Nichts erwachsen?

Jede menschliche Erfahrung sagt uns, dass Materie sich immer nur verwandelt, aber nie aus dem Nichts kommen kann.

 

Irgendwann hatte man natürlich verstanden, dass der Mensch aus der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle entstand.

Aus Materie also, die einfach nur wuchs und wuchs bis sie zu dem wurde, was wir ICH nennen. Wir kommen nicht aus dem Nichts, wir kommen von unseren Eltern und die von unseren Großeltern usw.

Aber STOP. Woher kamen denn unsere Ururururur-usw.-Großeltern?

Die Frage war und ist also nur verschoben.

Woher komme ich? Woher kommst Du? Woher kommen wir?

 

Darauf werden die ersten Menschen nicht gleich „Gott“ geantwortet haben.

Aber sie mussten feststellen, dass sie keine Antwort auf die Frage hatten.

Sie wussten nur, dass sie keine Lebewesen erschaffen konnten, keine Sterne am Himmel, keine Berge, kein Wasser, kein Meer, kein Gras der Steppe, kein Eis der Gletscher, keine lästige Mücke und kein prächtiges Mammut. Sie wussten nicht, warum ihr Herz schlug und warum es eines Tages aufhörte und sie dann verändert waren. Der Körper war noch eine Zeit da, aber dem Körper fehlte etwas; etwas Entscheidendes war weg, bei denen, die man tot nannte.

Wo war es, und wo war es hergekommen, was man Leben nannte? Und war es dann irgendwann wieder weg oder nur um die Ecke gegangen, unauffindbar zwar, aber doch noch lebendig?

Der Urmensch wusste nur, dass er all das nicht erklären konnte. Da aber alles aus irgendetwas anderem entstand, musste auch das Leben aus irgendetwas entstehen. Und dieses Irgendetwas war offensichtlich größer als man selbst, schließlich konnte es etwas, was man selbst nicht konnte: Leben erschaffen nämlich.

Und dieses Irgendetwas bezeichnet man bis heute mit Gott.

 

Nun stehen wir in vielfältiger Weise heute auf einer anderen Stufe als die ersten sich ihrer selbst bewusstwerdenden Menschen.

Auf dem Hintergrund der ersten Fragen wurden Erfahrungen gesammelt und Überlegungen angestellt, die sich zu einem größeren Bild zusammenfügten. Auch  -und gerade deswegen, weil die Fragen ja geblieben waren. Jeder einigermaßen achtsame Mensch, der Selbstreflexion fähig, stellt sie sich im Verlauf seines Lebens: Wer bin ich? Woher komme ich? Warum bin ich?

Bis zur Entwicklung der neuzeitlichen Wissenschaften, die zumindest -beispielsweise durch die Evolutionstheorie- ein paar Schleier vor dem Geheimnis beseitigen konnten, waren und sind die Religionen diejenigen, die uns mit Antworten versorgen. So unterschiedlich sie auch erscheinen mögen, sind sie sich in den zentralen Fragen ziemlich einig: Wir sind das Resultat einer göttlichen Entscheidung und wir werden nach unserem biologischen Tod in eine andere Existenzform wechseln. Das gilt von Nord bis Süd, von West bis Ost, vom Buddhismus hin zum Schamaismus, vom Judentum bis zum Hinduismus, von den altägyptischen Religionen hin zu denen der Azteken, vom Christentum bis hin zum Islam und für jede der vielen Natur- und Stammesreligionen, die bis heute in den langen Jahrtausenden der menschlichen Entwicklung die Weltbühne betreten haben. Sie versorgen und versorgten uns nicht nur mit Antworten auf ungelöste Fragen, sondern waren spätestens mit der Sesshaftwerdung des Menschen sozialer Kitt, der den Zusammenhalt der Gruppe, des Stammes oder der Kultur unterstützte.

Sie gehörten und gehören zur Identität einer Gruppe, eines Stammes oder einer Kultur. Und so wie diese in Konkurrenz zueinanderstehen, stehen und standen auch die Religionen in Konkurrenz.

„Wenn unsere Religion recht hat, kann Deine nicht ebenfalls recht haben.“ Und so wurden die Religionen, die in sich meistens einen friedlichen Kern tragen doch oft genug zum Mittel der Aggression, weil der Abgrenzung. Auch das bis heute.

Gespeist aus der Angst vor den anderen, gespeist von der Angst vor dem eigenen Untergang sind sie oft genug der Treibstoff, der das ganze Fass zum Explodieren bringen kann.

Auf diesem Hintergrund hören wir ja im Moment die alttestamentlichen Texte ganz neu und anders, in denen es immer wieder um das Auserwähltsein des Volkes Gottes, um Israel geht. Würden wir mit diesem offenen Sinn den Koran lesen, würden wir auch dort genügend Belege für dessen Überzeugung finden, den anderen überlegen zu sein. Und die Jahrhunderte der Mission christlicher Kirchen bezeugen ebenfalls dieses Gefühl, besser, auserwählter zu sein als die anderen. „Außerhalb der Kirche kein Heil“ ist das Stichwort dazu, das erst durch das 2. Vatik. Konzil relativiert wurde und den anderen Religionen ebenfalls einen Weg zum Heil zugestand.

 

Ein wichtiger und tiefer Grund für die Möglichkeit des Wettbewerbes der Religionen besteht aber darin, dass keine einzige von ihnen stichhaltige Beweise für ihre Richtigkeit vorlegen kann. Niemand kann beweisen, dass es die Seelenwanderung der asiatischen Religionen gibt, niemand, dass Mohammed von Jerusalem aus gen Himmel gefahren ist, niemand, dass Jesus nach seinem Tod wiederauferstanden ist. Keiner kann uns sagen, dass wir wirklich von einem ewigen Gott kommen und am Ende wieder zu ihm zurückkehren. Himmel und Hölle könnten Wirklichkeit sein, genauso aber absoluter Unsinn.

Und wenn wir heute die alten Mythen der Germanen lesen oder die Geschichten der untergegangen ägyptischen Religionen z.B., schmunzeln wir und denken: „Wie konnten die nur so etwas Verrücktes glauben?!“

Und was werden wohl Menschen in 10.000 Jahren von der Idee halten, dass durch die Wandlungsworte des Priesters aus Brot und Wein Leib und Blut Jesu Christi werden? Werden sie nicht auch milde lächeln, wenn sie die Schöpfungsgeschichte lesen oder dass die Frau aus der Rippe des Mannes geschaffen wurde? Oder eben, dass Gott einzig sein sollte, aber dennoch aus drei verschiedenen Personen bestehen sollte? Wer hat sich denn so etwas ausgedacht?

 

Bei nüchterner Betrachtung werden wir nicht umhinkommen, uns ein wenig zurückzuhalten mit der Aussage „Wir haben recht“.

Wir müssen die Religionen als das nehmen, was sie sind: zunächst einmal Ausdruck der Reflexion des Menschen über die Urfragen, die dieser sich von Anfang an seiner Bewusstwerdung gestellt hat.

Und dann müssen wir sie nicht unbedingt auf ihre Logik abklopfen, sondern vor allem darauf, ob sie uns als einzelne Menschen beim Leben helfen und der gesamten Menschheit beim Überleben.

Wir dürfen von den anderen nicht erwarten, dass sie uns glauben, wir dürfen nur hoffen, dass sie es tun. Und genauso dürfen wir aber von denen, die uns nicht glauben erwarten, dass sie uns unseren Glauben zugestehen- insofern er niemanden verletzt, in seinen Möglichkeiten  zum Leben einschränkt oder anderen ihr Recht zur Existenz abspricht.

 

Das Gewand, das ich heute hier trage, ist dominiert vom Schwarz, vom Dunkel unserer Erkenntnis, von den Fragestunden menschlicher Existenz. Aber je höher man am Gewand hinaufschaut, umso größer werden die hellen Flecken; diese werfen Licht auf und in das Dunkel.

 

Unser Glaube versucht Licht in die Fragen menschlicher Existenz zu werfen, versucht uns das Leben leben zu lassen, nicht an ihm zu verzweifeln, Licht am Ende des Tunnels zu sehen.

 

So lächerlich unsere religiösen Aussagen z.B. von der Dreifaltigkeit dem Außenstehenden erscheinen mögen, so können sie dem Glaubenden doch helfen, das Leben zu bestehen.

Wie gut es doch tut, glauben zu können, dass unser Leben von einem Gott umfasst wird, der in sich schon Liebe ist, wie gut es tut, glauben zu können, dass unsere Erfahrungen von Liebe nur ein schaler Vorgeschmack auf die tiefe und umfassende Liebe ist, die uns in der Ewigkeit wieder umgeben wird. Wie gut es doch tut, beim Blick in den Spiegel sagen zu können, dass mich da nicht nur ein dem Vergehen geweihtes Produkt der Biologie müde anschaut, sondern ein Abbild des eine Gottes, der uns in so vielen Formen und Weisen immer nur das eine und selbe zuruft: Du trägst die Ewigkeit in Dir. Du bist mehr als das, was Du da siehst. Du warst mein, Du bist mein und Du wirst mein sein.