6. Sonntag der Osterzeit, 5. Mai

Gar nicht so einfach sich zu konzentrieren.

Wer kennt das nicht- spätestens seitdem das Angebot an Freizeitaktivitäten so riesig ist wie es ist, spätestens seitdem das Smartphone jederzeit mit einer aufploppenden Info ein Gespräch, das Lesen eines Buches oder das Anschauen eines Filmes unterbrechen kann wissen wir wie schwer es ist, die Aufmerksamkeit für eine einzelne Sache aufrechtzuhalten.

Auch wenn es um die genaue Zahl der Sekunden, während derer ein durchschnittlicher Mensch sich ohne Ablenkung auf etwas konzentrieren kann schwankt- in 2000 sollen es noch 12 Sekunden sein, heute nur noch 8- ist die Richtung klar: Wir werden zerstreuter und zappeliger. Sich auf eines- und nur auf eines- zu konzentrieren wird immer schwerer.

Es wäre spannend zu messen, wie viele gedanklich jetzt schon wieder abgeschweift sind, selbst wenn sie beim Einstiegssatz noch ganz dabei waren. Das ist aber völlig normal, weswegen sich gute Ansprachen oder eben auch Predigten im Grunde nur um ein oder zwei Kernsätze drehen. Alles andere ist Hinführung und Ausdeutung dieser wenigen Sätze. Das aber nur am Rande.

 

Jesus spricht in diesem nicht gerade einfach verdaulichen Stück Bibel eben einen Satz, der dieser Entwicklung ziemlich entgegensteht. Der Satz lautet: Bleibt in meiner Liebe. BLEIBT in meiner Liebe.

 

In einer Gesellschaft, die geradezu dazu verführt, ständig etwas Neues auszuprobieren, vieles gleichzeitig zu machen, sich immer wieder neu zu erfinden, ist das Bleiben, das Verbleiben bei einer Sache geradezu hinterwäldlerisch. Einem Menschen, einem Projekt, einer Verpflichtung, einer Ausbildung, einem Ort, einer Partei, einer Religion, einem ehrenamtlichen Engagement in Höhen UND in Tiefen treuzubleiben, eine einmal getroffene Entscheidung nicht gleich beim ersten Gegenwind umzuschmeißen, ist unter den gegenwärtigen Bedingungen immer schwieriger.

Eltern, die die wechselnden Berufs- und Ausbildungswünsche ihrer Kinder mit Sorge betrachten, Menschen, die sich Gedanken um die Treue ihres Partners machen, Vereine, die nicht mehr wissen wie sie ihre Ehrenamtlichen dauerhaft halten sollen, können davon ein Lied singen.

Auch wenn es im Faust von Goethe noch heißt: „Zum Augenblicke dürft‘ ich sagen: Verweile doch, du bist so schön!“ erscheint das heute eher wie ein frommer Wunsch, denn eigentlich steigt im Erleben des schönen Augenblicks eher gleich der Wunsch nach einem neuen Impuls auf, als dass wir den einen schönen halten wollten.

 

„BLEIBT in meiner Liebe“ dürfte heute also noch schwieriger sein als es das schon immer wahr.

 

Und es ist ja nur eine von mindestens zwei Schwierigkeiten, die sich bei diesem Satz auftun.

Die andere lautet: Wie erfahre ich denn überhaupt diese Liebe Christi?

Man kann davon hören, man kann davon lesen, aber wie erlebe ich sie so, dass überhaupt der Wunsch entstehen könnte, sie möge bleiben?

Die Antworten auf diese Frage sind vielfältig und keineswegs als einfache Vorlage kopierbar.

Denn die Liebe Christi kann für den einen in intensiven Momenten des Gebetes erfahrbar werden, für den anderen in anrührenden Begegnungen mit anderen Menschen, für wieder jemand anderen beim Anblick eines Neugeborenen oder einer majestätischen Landschaft. Die Erfahrungen der Liebe Christi sind vielfältig wie Menschen vielfältig sind.

 

Wenn sie dann aber mal erfahren wurde, dann entsteht der Wunsch, eben diese Erfahrung zu halten oder wenigstens zu reproduzieren. Einmal gemacht, muss es doch möglich sein, sie noch einmal und noch einmal zu machen, so denkt und hofft man dann. Aber dafür gibt es keine Garantie und keinen Automatismus. Nichts, was man bei Amazon bestellen könnte.

 

Und dieses Problem scheint nicht neu zu sein. Denn Jesus gibt gleich nachdem er die Aufforderung in seiner Liebe zu bleiben, ausgesprochen hat, einen Hinweis darauf, wie das gelingen könnte: Wenn ihr meine Gebote haltet, werdet ihr in meiner Liebe bleiben,

Das hat nun wenig Poetisches an sich: Gebote halten, um in der Liebe zu bleiben.

Dabei ist es psychologisch betrachtet genau richtig: Um in etwas zu verbleiben, um einer Sache oder einem Menschen treu zu bleiben, bedarf es eines gedanklichen Gerüstes, einer verbindlichen Entscheidung. Gerade weil wir so sind wie wir sind, nämlich verführbar von und zu immer neuen Erfahrungen, angeregt durch unsere Neugier und dem Wunsch nach neuen Reizen und Impulsen, benötigen wir Leitplanken, die uns auf dem Weg halten, uns führen und vor dem Absturz bewahren.

Wenn Ihr meine Gebote haltet, werdet ihr in meiner Liebe bleiben.

 

Die Gebote als Wegweiser- nun hören wir bei Geboten in der Regel die 10 Gebote mit. Dabei dürfte es im Sinne des Evangelisten eher um die Doppelgebot der Liebe gehen, das Jesus bekanntlich so formuliert hat: du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüt und mit all deiner Kraft und dann: Du sollst Deinen Nächsten lieben wie Dich selbst.

Die Liebe ernährt die Liebe sozusagen. Wir bleiben in der Liebe Christi, wenn wir Gott lieben und den Nächsten wie uns selbst lieben. Die Liebe als Aufgabe und die Liebe als Geschenk. Eine Aufgabe am Nächsten und ein Geschenk von Gott.

 

Der Text ist ja ein Konglomerat aus ein paar Wörtern, die sich ständig in neuen Wendungen wiederholen. Dabei kommt immer wieder Liebe, Freunde, Jesus und Vater vor.  Alles ist miteinander verwoben. Jesus liebt seine Jünger wie Gott ihn liebt. Die Jünger sind nicht mehr Knechte sondern Freunde, und wir sollen ihn lieben wie er seinen Vater liebt. Was wie ein Wortteppich über einem zusammenschwappt, wenn man es schnell liest, stößt uns ins Herz der Gottesverkündigung Jesu: die Liebe Gottes des Vaters, die Liebe Jesu und die Liebe, in der wir als seine Jünger leben dürfen bedingen sich gegenseitig. Das eine ist nicht ohne das andere- und wie wir von Gott liebend angeschaut werden, können wir von dieser Liebe durchdrungen auch den Nächsten mit Liebe anschauen.

  1. Dostojewski wird das Zitat zugeschrieben: „Einen Menschen lieben heißt: ihn so sehen, wie Gott ihn gemeint hat“

Einen Menschen lieben heißt, ihn so zu sehen, wie Gott ihn gemeint hat.

Wir neigen ja dazu, einen Menschen so anzusehen, wie WIR ihn gemeint haben, soll heißen, wie wir uns vorstellen, dass ein Mensch leben sollte. Wir beurteilen ihn mit unseren Wert- und Moralvorstellungen, wir bewerten ihn aufgrund unserer eigenen Lebenseinstellungen, die oft gar nicht unsere eigenen sind, weil wir sie wiederum von anderen, Eltern, Freunden, Medien u.a. übernommen haben.

Und damit ist der Satz von Dostojewski zwar sehr schön anzuhören, aber gar nicht so einfach umzusetzen: Einen Menschen zu lieben, nicht zu bewerten, ihn zu lieben- und zwar so wie Gott ihn gemeint hat und nicht wie ich meine, dass er leben sollte.

Eine schwierige, aber lohnenswerte Aufgabe. Im anderen das Schöne zu sehen, die Talente, die ihm mitgegeben wurden, das Lebendige, das Hoffnungsvolle. Nicht die Defizite, die Dinge, die einen ärgern oder gar abstoßen. Nur das Schöne, das Lebendige, das Hoffnungsvolle. Das tut dem anderen unendlich gut und das täte unserem Zusammenleben sehr gut.

Und es würde uns helfen, in Gottes Liebes zu bleiben. Denn wenn ich im anderen den Blick auf das Gute, Hoffnungsvolle und Schöne lenke, lenke ich den Blick auf Gott, der doch der Inbegriff des Guten, Hoffnungsvollen und Schönen ist.

 

Ja, es ist nicht einfach sich zu konzentrieren und so ist es auch nicht einfach, in seiner Liebe zu bleiben. Aber es lohnt sich: für die Welt, für den anderen und für mich selbst.