Hl. Nacht, 24.12. 2022

Was für ein Jahr- ich stelle mir vor, dass so viele Gespräche im Familienkreis begonnen haben, jetzt, wo die meisten von uns sich zum Fest in eben diesem Kreis treffen, in der Familie.

Was für ein Jahr. Dabei fällt einem auf, dass wir möglicherweise dasselbe schon im letzten Jahr und sicherlich auch an Weihnachten 2020 gesagt haben oder zumindest gedacht haben könnten.

 

Ein drittes Weihnachten also, an dem man auf das Jahr zurückblickt und sich wundert über all das, was da geschehen ist.

Wie vergleichbar ruhig war es doch da an Weihnachten 2019 als Covid noch ein beherrschbares Virus im fernen China zu sein schien und die Ukraine zwar z.T. besetzt war, aber sich nur wenige wirkliche Sorgen über eine mögliche Eskalation gemacht haben.

Wir hatten uns in Mitteleuropa daran gewöhnt, dass alles schon irgendwie so weitergeht wie bisher, wir schon einen Weg finden, der uns weiterhin unseren Lebensstandard sichert und auch die Welt nicht gänzlich aus den Fugen gerät. Das letztere ist sie zwar immer noch nicht, aber doch weitaus näher dran als wir uns das Weihnachten 2019 vorstellen konnten.

Was für ein Jahr also.

 

Und mittendrin dann noch eine Kirche, unsere Kirche, die mehr mit sich selbst und ihrem Innenleben beschäftigt ist als Zeit und Kraft zu finden, dieser aus den Fugen zu drohenden Welt Zuversicht zu geben und Mut zu machen.

 

Und dennoch sind Sie heute hier.

Ich habe in diesem Jahr mit den Mitgliedern des Gemeinderates einige Male darüber spekuliert, wie es wohl nach Corona weitergehen würde, ob sich Neues tun würde, ob Altes wegbräche, ob andere Leute zu uns finden werden oder schlichtweg viel weniger Menschen kommen würden. Ich war da eher auf der pessimistischen Seite, konnte mir nicht vorstellen, dass die vielen parallel verlaufenden Entwicklungen keinen Einfluss auf St. Paulus haben würden.

Doch das hatten sie, aber offensichtlich nicht in der Weise, dass es bei uns ruhiger oder leerer geworden wäre.

Natürlich freut uns das alle, die in dieser Gemeinde ehren- oder hauptamtlich Verantwortung tragen. Und so könnten wir uns stolz gegenseitig auf die Schulter klopfen und uns unserer Großartigkeit versichern.

 

Ich hielte das aber für einen Fehlschluss.

 

In Anlehnung an das Bonmot  aus Bill Clintons Wahlkampagne in 1992 „it’s the economy, stupid“ könnte man sagen „it’s the message, stupid“

 

Es muss an der Botschaft liegen. Es muss daran liegen, dass die dem christlichen Glauben zugrundeliegende Botschaft von Frieden, von Gerechtigkeit und von Liebe spricht. Davon, dass die Kleinen die Größten und die Größten die Kleinen, die Letzten die Ersten und die Ersten die Letzten sein werden.

Es liegt an der grundumstürzenden Botschaft, dass der Glaube an Christus, der Glaube an den Gott der Bibel sich nicht mit der Welt, so wie sie ist, zufriedengibt, sondern nach eben, Frieden, Gerechtigkeit und Liebe strebt. Wir wollen nicht glauben, dass diese Welt dem Untergang geweiht ist, sondern dass es für uns alle immer wieder Zukunft gibt- und zwar eine gute Zukunft.

 

Und da sich all das in den Symbolen und Zeichen von Weihnachten ausdrückt, ist dieses Fest wie kein anderes geeignet, uns in diesem Glauben und in dieser Hoffnung zu bestärken.

Das Grün des Weihnachtsbaumes steht für die Hoffnung auf den Frühling, auf den Neubeginn des Lebens. Das Licht der Kerzen gibt der Überzeugung Ausdruck, dass es nach jeder Nacht einen Morgen gibt. Die Geschenke, die wir uns geben, machen Mut, dass uns nicht ausschließlich der Egoismus beherrscht, sondern der Blick für den Nächsten ebenfalls Teil des Menschseins ist.

Und die Krippe, ja die Krippe, sie ist DAS Symbol des Weihnachtsfestes, weil im Zentrum jeder Krippe etwas steht, was wie kein anderes Zeichen, der Hoffnung des Menschen auf Zukunft Ausdruck verleiht- ein Kind.

 

Wie sagen wir: Sie ist in guter Hoffnung. Ein Kind ist Zukunft, ein Kind ist neues Leben, ein Kind zeigt, dass es doch immer irgendwie weitergeht.

 

Mancher von Ihnen wird die amerikanische TV-Serie „Handmaid’s Tale“ kennen, in der eine Diktatur auf amerikanischen Boden aufgebaut wird, deren Auslöser die zunehmende Unfruchtbarkeit der Menschen war. Es entstand dabei ein Kult um jedes dennoch geborene Kind- fruchtbare Frauen wurden gezwungen, mit und für die Mächtigen dieser Diktatur Kinder zu zeugen und zu gebären und wurden mit religiösen Ritualen versucht davon zu überzeugen, dass sie das für das größere Ganze tun.

In vielerlei Hinsicht eine bemerkenswerte Serie.

In unserem Zusammenhang aber betont sie von einer anderen Seite her noch einmal die nicht hoch genug einzuschätzende Bedeutung von Kindern.

Ein Kind ist Hoffnung, ein Kind ist Zukunft, ein Kind ist Leben.

 

Und im Falle des christlichen Glaubens ist es nicht nur irgendein Kind eines bedeutungslosen Elternpaares aus dem Hinterhof eines damals großen Imperiums, des Römischen Reiches, nein, es ist gleich das Kind Gottes, Gottes Sohn.

 

Es ist für viele gar nicht so sehr die Frage, ob das sein kann, gar nicht so sehr die Frage, ob diese Maria nun eine Jungfrau oder einfach eine junge Frau war, ob der Hl. Geist oder Josef der Vater war- who cares.

 

Entscheidend ist der Mythos vom Kind Gottes, die Idee, dass wir Menschen nicht allein unserem Schicksal ausgeliefert sind, sondern dass he cares, dass Gott sich sorgt, dass es etwas gibt, das über uns hinausweist. Dass wir armen Seelen nicht allein dieser Welt ausgeliefert sind, sondern etwas viel Größeres verspricht, uns zu halten, uns zu heilen, uns in seine Arme zu nehmen.

 

Darüber kann man lachen, gerade dann, wenn einem z.B. als jungem Menschen die Welt offen steht, wenn einem als erfolgreichen Menschen vermeintlich alles gelingt, aber das Lachen hört auf, wenn die Welt sich von ihrer dunklen Seite zeigt, wenn sich Schatten auf unser Leben legen, wenn die Zukunft unsicher wird, uns Krankheiten, Katastrophen und Kriege, Artensterben und Klimawandel bedrohen.

Wenn man die eigene Machtlosigkeit verspürt, mit seinen Möglichkeiten an Grenzen stößt- dann ist es tröstlich glauben zu können, dass es ein höheres Wesen gibt, das uns hält, uns Zukunft verspricht, seine Engel vom Frieden auf Erden singen lässt und sich nicht zu schade ist, sich selbst in den Dreck des Stalls, in das Elend der Welt zu geben.

Das ist Weihnachten und ich wage zu behaupten, dass Sie alle, dass wir alle deswegen hier sind.

 

Die Hoffnung stirbt zuletzt, so sagen wir. Ohne Hoffnung können wir nicht leben, deswegen suchen wir, was uns Hoffnung macht.

 

Und so lange die Botschaft vom göttlichen Kind, das uns die Zuwendung eines allmächtigen, ewigen, alles umfassenden Wesens verspricht bekannt ist, wage ich zu prognostizieren, dass Weihnachten nichts von seiner Faszination verlieren wird.

So lange diese Botschaft bekannt ist.

 

Das ist die Bruchstelle- so lange die Botschaft bekannt ist.

 

Noch geben wir sie uns weiter, noch kennen viele Menschen die Geschichte von Bethlehem und vom besonderen Kind, das dort geboren wurde. Noch erkennen viele das Lied „Stille Nacht“, wenn es irgendwo erklingt, noch bekommen Menschen glänzende Augen, wenn ein Weihnachtsbaum sein mildes Licht verströmt. Aber diese Traditionsweitergabe droht unterbrochen zu werden.

Wie viele wohl erzählen sich noch die Geschichte aus dem Lukasevangelium, wenn sie weihnachtlich zusammenkommen?

Wie viele singen mit ihren Kindern wohl noch die alten Lieder von der Heiligen Nacht, den o du fröhlichen Weihnachten oder von der Mär, die vom Himmel kommt?

Wie lange noch wird es  dauern, bis aus Weihnachten ausschließlich ein hübsches Lichterfest geworden ist, das so ausgezehrt von seiner ursprünglichen Botschaft geworden ist, dass es auch in einer Mall im streng islamischen Saudi-Arabien, im vermeintlich kommunistischen China oder im schintoistischen Japan als Dekoration genutzt werden kann ohne irgendeinen Anstoß zu nehmen?

 

Und hier kommen wir nun alle ins Spiel.

Ich möchte uns heute mit diesem Fest, wie an jedem Weihnachtsfest, vor allem trösten und Hoffnung geben, aber ich möchte Ihnen auch eine Aufgabe mitgeben:

Halten Sie, halten wir die Botschaft lebendig. Das schulden wir nicht der Kirche, das schulden wir nicht Gott, das schulden wir dieser Welt. Diese Welt braucht die Botschaft des Friedens, der Gerechtigkeit und der Liebe.

Diese Welt benötigt die Hoffnung, dass wir Menschen eben nicht alleine sind, dass die existentielle Einsamkeit des Menschen in seinem Leben überwunden ist durch die Zuwendung eines Wesens, das wir den Gott Jesu Christi nennen, der sich mit uns auf radikale Weise solidarisiert, indem er Mensch wird.

Singen Sie die Lieder zu Hause, erzählen sie sich die Geschichte von Bethlehem, wie sie bei Lukas und seinem Evangelium zu finden ist, lassen Sie die Traditionen nicht einschlafen, geben Sie Ihren Kindern Antworten, wenn sie fragen, wer das in der Krippe ist, warum ein Baum zu diesem Fest in der Wohnung steht und warum wir Kerzen entzünden und uns Geschenke geben. Nicht, weil das so hübsch und gemütlich ist, sondern, weil es Ausdruck unserer Hoffnung auf Zukunft ist. Christen glauben an eine bessere Welt, Christen glauben, dass das Leben Zukunft hat, Christen sind davon überzeugt, dass uns langfristig nicht das Leid, sondern die Freude beherrschen.

 

Was für ein Jahr- ja, in der Tat. Aber für uns Christen kein Grund, die Hoffnung aufzugeben, sondern Ansporn, diese Welt zu einer besseren zu machen.