Weihnachten
(Die Passagen zu Magdeburg wurden frei gehalten und sind nicht in diesem Manuskript zu finden)
Sind Sie noch ganz bei Trost?
An einem der dunkelsten Abende im Jahr machen Sie sich auf in einen Raum, in dem Sie sich mit vielen anderen so richtig knubbeln, auch noch um die Plätze rangeln müssen, nur um mit mehr oder weniger guten Mitsingern ein paar alte Lieder mit merkwürdigem Text zu singen, einem Geschehen an einem großen Tisch zu folgen, das nur Insidern so richtig was sagt, dann auch noch 10 Minuten oder gar länger einem Monolog zuhören müssen ohne dass Sie sich wehren können?
Sie hätten doch diese Zeit auch gut Zuhause verbringen können. Schließlich ist die Familie zusammengekommen, ein Ereignis, das so oft im Jahr doch gar nicht vorkommt. Man hätte in Ruhe Geschenke verteilen können, die gute Garderobe im Schrank lassen können, noch eine weitere Flasche edlen Weines auftischen können und sich keine Gedanken darüber machen müssen, wer denn nun fährt und deswegen besser Selters statt Sekt trinkt?
Sind Sie noch ganz bei Trost? Sind wir noch ganz bei Trost?
Was machen wir hier eigentlich?
Heribert Prantl schrieb kurz vor den Feiertagen einen Artikel in der SZ, der überschrieben war mit: „Menschen brauchen Trost“
Als Untertitel: In diesen Tagen spüren viele, was ihnen fehlt. Sie erleben schmerzhaft die Diskrepanz zwischen Schein und Sein. Was hilft da?
Er beschreibt darin, wie das Fest für viele auch ein Fest der Angst ist. Wie viele doch auch froh sind, wenn es wieder vorbei ist. Manchen Trauernden, Einsamen und Verwundeten graut regelrecht vor ihm– so schreibt Prantl. Und weiter: Es ist dies die Widersprüchlichkeit von Weihnachten: Für die, denen der Himmel, glaubt man den Liedern und Predigten, an diesen Tagen besonders offensteht, also die Leidenden und die Trostlosen, die Einsamen und die Vereinsamten – für sie sind die drei Tage oftmals ein Horror. An diesen Tagen wird die Einsamkeit noch einsamer. Der Schmerz wird noch schmerzhafter. Die Untröstlichkeit wird noch untröstlicher.
So ist das wohl. Und so wird es auch unter uns hier Versammelten genügend geben, die aus diesem Grunde froh sein werden, wenn es wieder vorbei ist: Diejenigen, die sich im nun ablaufenden Jahr von einem lieben Angehörigen verabschieden mussten, weil eine Krankheit unheilbar war. Diejenigen, deren Lebenspläne ganz überraschend ge- oder sogar zerstört wurden. Diejenigen, deren Welt von Sorgen und Nöten mit einem Grauschleier überzogen ist und denen das Frohe und Süßliche des Festes die eigene Lebenssituation umso deutlicher vor Augen führt. Diejenigen, die nach dem vollen Magen des Weihnachtsessens und der vollen Kirche der Weihnachtsmesse umso mehr die Leere in ihrem Leben verspüren.
Und gar nicht so wenige werden hier heute auch versammelt sein, die sich vom Kerzenschein und den alten Geschichten und Liedern ein wenig Ablenkung vom besorgniserregenden Alltag versprechen, in einer kälter und orientierungsloser werdenden Welt so etwas wie Trost suchen.
Das Wort Trost hängt etymologisch eng mit dem Wort treu zusammen und bedeutet „Festigkeit“. Noch alles beieinanderhabend schwingt da mit, sich treu sein ebenfalls.
Sind wir noch ganz bei Trost? Viele von uns sind es nicht, weil uns die Festigkeit zu verloren droht. Der sichere Boden wackelt manchem zu sehr unter den Füßen. Und so suchen wir dieses Fundament abzusichern, zu stärken. Wir suchen Trost.
Und da helfen alte Rituale, da hilft Gemeinschaft, da hilft Altbewährtes. Das muss man nicht alles eins zu eins verstehen, es reicht, sich darauf einmal einzulassen. Das ist das Wesen von Ritualen. Sie wirken in gewisser Weise automatisch.
Und so ist es schön und ganz wunderbar, wenn wir auf diese Weise hier zusammenkommen.
Aber Sie hören es schon- da kommt ein Aber hinterher.
Das Aber bezieht sich auf das danach.
Heribert Prantl weist darauf hin wie schwer es ist richtig zu trösten. Trost kann eigentlich nur der wirklich spenden, der bereit ist, die schreckliche Situation mit dem Leidenden auszuhalten, mit ihm und bei ihm zu sitzen, stundenlang, tagelang. Da hilft keine Stippvisite, kein schnelles „Das wird schon“, kein „mir aber hat geholfen“ oder „Du solltest mal“. Es braucht menschliche Nähe. Das kann keine ablenkende TV-Serie, keine Fernreise, kein gutes Essen oder gar ein oder mehrere Drinks; und das kann auch keine KI, so viel Hype auch immer gerade um diese neue technische Revolution gemacht wird. Es braucht menschliche Nähe, Menschen, es braucht Menschwerdung.
Und schon sind wir mitten im Kern des heutigen Festes. Gott wird in diesem kleinen Kind, in diesem Säugling Mensch. Gott kommt dem Menschen nahe: Gott will sagen: Ihr seid nicht alleine. Das oftmals Drückende des Alltags teile ich mit Euch. Gott will das Auf und Ab menschliches Lebens kennenlernen, am eigenen Leibe erfahren, im Dreck des Stalls geboren werden und am Exekutionsort des Kreuzes sterben.
Das ist der Wesenskern christlichen Glaubens. Nicht irgendein menschlicher Prophet oder Religionsgründer ist durch seinen Glauben dem Göttlichen besonders nahe, sondern das Göttliche ist durch seine eigene Entscheidung der menschlichen Welt besonders nahe.
Die Logik anderer Religionen wird im Christentum herumgedreht. Nicht wir Menschen suchen mühsam Gott, sondern Gott sucht mühsam den Menschen.
Die große existentielle Angst des Menschen alleine vor dem rätselhaften Dunkel des Universums zu stehen wird hier aufgegriffen. Du bist nicht allein, so ruft uns Gott zu. Das vermeintlich gleichgültige, unentschiedene All ist vom entschieden mitleidigen Allmächtigen umfasst.
Die dunklen Stunden, in denen man als Mensch über den Sinn und den Unsinn des Lebens grübelt, in denen die Angst vor dem Vergehen leise an der inneren Tür anklopft, können durch den Trost erhellt werden, der da lautet: Da ist noch einer, einer von dem Du kommst und zu dem Du wieder heimkehren wirst.
Vielleicht ist es das, was uns an Weihnachten innerlich so anrührt, ja erfüllen kann. Und leider nach den Feiertagen so schnell wieder verdampft.
Denn das Fest kann leicht zu dem werden, was wir eben schon erwähnt haben: ein schnell vergehender Trostsatz, ein festliches „ach, das wird schon wieder“, das aber nicht von Dauer ist, weil es in den Mühen der Ebene schnell wieder vergessen wird und nur eine ferne Erinnerung bleibt.
Was tun? Jeden Tag Weihnachten feiern? Da rufen nicht nur die festtagbratenden, stundenlang in den Küchen stehenden Mütter und manchmal Väter: Nein, auf keinen Fall.
Feste sind deswegen Feste, weil sie nicht alltäglich sind.
Aber es gibt Möglichkeiten, sich den Inhalt des Festes immer wieder vor Augen zu halten. Man muss nicht bis Hl. Abend 2025 warten, um die tröstende Botschaft der Bibel zu lesen- das geht eigentlich jeden Tag. Man muss nicht bis zum 24.12.25 warten, um die singende und betende Gemeinschaft der Suchenden und der Frommen zu erfahren. Wenn man will geht das jeden Sonntag. Gebet, Meditation oder eine kurze Zeit der täglichen Stille können mir den tröstlichen Gedanken von der Gegenwart Gottes immer wieder vor Augen führen.
Erst dann kann er sich setzen, erst dann kann er wirken, nur dann entfaltet er sein ganzes Potential. Erst dann kann er zum Trost werden.
Sind Sie noch bei Trost?
Ich hoffe, dass Sie heute und an den meisten Tagen des neuen Jahres mit vollem Herzen darauf mit Ja antworten können.