Gründonnerstag
Ohne Frage erleben wir die Welt wieder als rauer. Minderheiten haben es schwerer, der sogenannte gesunde Menschenverstand ist zunehmend der allgemeingültige Maßstab und einfache Antworten finden größere Akzeptanz als die nachdenklich komplexen. Da ist es kein Wunder, dass das Recht des Stärkeren wieder Oberhand bekommt und Schwächere zusehen müssen, wo sie bleiben. Wer an die einfachen Triebe des Menschen appelliert hat es wieder einfacher als zuletzt. Mitgefühl wird in bestimmten Kreisen als Schwäche ausgelegt und Einsatz für andere als naive linke Spinnerei.
Auch wenn es in Russland und in den USA gerade auch in Kirchenkreisen modern geworden zu sein scheint, sich diesen Tendenzen anzuschließen oder gar eifrige Verteidiger bzw. Wegbereiter zu sein, muss doch jedem ehrlichen Gläubigen klar sein, dass das nicht im Sinne Jesu ist.
Wer das heutige Evangelium hört und meditiert kann nicht auf der Seite derer stehen, die sich gegen die Schwachen verbünden. Wer das Evangelium vom füßewaschenden Sohn Gottes hört muss taub sein, wenn er sich dennoch für das Recht des Stärkeren einsetzt.
Gerade in diesen Zeiten muss man als Christ und auch als Mensch dankbar sein, dass die Kirche in diesen zentralen Feiern unseres Glaubens das Zentrum unseres Glaubens betont- und gerade heute, wo wir uns an das letzte Abendmahl erinnern eben nicht ausführlich von diesem Mahl erzählen lässt, sondern das Evangelium des Johannes gewählt hat, das die klassische Szene vom letzten Abendmahl in den drei anderen Evangelien ersetzt.
Nicht, dass es dieses ergänzt, nein, es kommt schlichtweg nicht vor. Nur am Rande wird erwähnt, dass die Fußwaschung sich während des Paschamahles ereignete. Das Mahl selbst wird bei Johannes nicht beschrieben.
Inhaltlich ersetzt die Fußwaschung das Abendmahl.
Dabei geht es um dasselbe: Was in den anderen drei Evangelien durch den Brot- und Kelchritus des letzten Mahles ausgedrückt wird, erzählt Johannes durch die Fußwaschung: Das ist mein Leib, der für Euch hingegeben wird.
Jesus sagt sozusagen: Wenn Du Dir von mir Deine Füße waschen lässt, dann teilst Du meinen Lebensstil, dann wirst Du zu einem Teil von mir, genauso als wenn Du meinen Leib im Abendmahl isst und mein Blut in der Kommunion trinkst.
Johannes drückt dasselbe aus wie Markus, Matthäus und Lukas, nur mit ganz anderen Mitteln und einem anderen Akzent.
Das Füßewaschen ist nun mal etwas anderes als an einem feinen Tisch zu sitzen und ein Dinner, ein gutes Abendmahl zu halten.
Füßewaschen findet in den Niederungen des Alltags statt: Füße sind sozusagen ganz unten.
Zerfurcht, staubig, oft unbeachtet – sie bekommen bei Johannes erst ein ganz anderes Gewicht, weil Jesus seine ganze Liebe in dieses Tun hineinlegt:
„Begreift ihr, was ich an euch getan habe?“ so sagt Jesus bei Johannes.
Kapiert Ihr worum es geht? Macht mir das hier nach und Ihr seid wirklich meine Jünger.
Für sie war er der Meister, der Herr- undenkbar, dass er ihnen die Füße wäscht, den Dienst der Sklaven übernimmt. Und natürlich wehren sie sich, angeführt vom –wie immer – feurigen Petrus:
Nein, Herr, auf keinen Fall. Das geht gar nicht. Bei allem Respekt, wenn hier einer wem die Füße wäscht, dann ich Dir, aber sicher nicht umgekehrt.
Aber da kennt er Jesus schlecht. Nach all den Jahren hat er ihn immer noch nicht verstanden. Er hat gesehen wie er Arme, Kranke und Benachteiligte behandelt hat, hat seine Predigten gehört, davon, dass den Armen das Himmelreich gehöre- aber wenn dieser für ihn so vorbildliche Meister konkret auch an ihm die gewohnten Verhältnisse zwischen Herrn und Diener aufheben will, hört er auf, kann nicht mehr mit, versteht ihn nicht.
Und so erklärt Jesus es ihnen.
Später- wir haben es im heutigen Abschnitt nicht gehört, aber bald danach wird er sagen: „Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt.“ (Joh 15,13).
Es gibt nichts Wichtigeres als die Liebe, die sich hingibt, den anderen in den Mittelpunkt stellt und nicht sich selbst.
Es gibt keine größere Liebe als genau die. Es gibt nichts Größeres, auch nicht das Abendmahl.
Im Handeln Jesu wird klar worauf Gott Wert legt, im Handeln Jesu wird klar, wie Gott ist.
Wir sagen und glauben es doch: Jesus ist nicht nur Mensch, sondern auch Gott. So ist Gott: Der Diener der Menschen.
Gottesdienst heißt Gottesdienst, weil es den Dienst Gottes am Menschen beschreibt, nicht umgekehrt. Wir tun Gott mit dieser Feier keinen Dienst, das hat er gar nicht nötig. Er dient uns.
Wer anderes behauptet, hat Johannes nicht gelesen und erst recht nicht verstanden.
Jesus ist sozusagen die fleischgewordene Zärtlichkeit Gottes. In der Fußwaschung zeigt er, dass er mit seiner Liebe bis zum Äußersten gehen wird. Davon kann ihn nichts und niemand abhalten, nicht Petrus und am Ende auch nicht das Kreuz.
„Tut dies zu meinem Gedächtnis.“ So sagt er und so müsste man es betonen: Tut DIES zu meinem Gedächtnis.
Immer wenn wir uns, die wir in der Nachfolge Jesu stehen, hinunter beugen, nach ganz unten gehen, den Staub wahrnehmen, das Zerfurchte und oft Unbeachtete – immer dann ereignet sich Kommunion, haben wir intensivsten Anteil an – communio mit – Jesus Christus.
Und in der Logik des Gründonnerstags, in der Logik des Evangelisten Johannes ist dies gleichzusetzen mit der Brot- und Weinkommunion in der Eucharistiefeier.
Dort begegnet uns Jesus Christus leiblich, er ist gegenwärtig im Nächsten, besonders in den Notleidenden, in den Armen und Bedrängten jeder Zeit.
Man kann ja von Papst Johannes Paul II. halten, was man will, aber in Zeichen war er großartig: Unvergesslich wie er in Indien ein an Aids erkranktes Kind hochgehoben, geküsst und gerufen hat: Du bist Jesus Christus!
Oder es soll einen Priester und Theologen im mittelalterlichen Rom gegeben haben, der von der Kirchenleitung mit einem Eucharistieverbot belegt wurde. Er soll geantwortet haben: „Das ist nicht weiter schlimm. Dann nehme ich mir halt einen Armen ins Haus, so habe ich Christus immer bei mir.“
Und der jetzige Papst Franziskus wird ja nicht müde, den Einsatz der Christen für die Armen immer wieder einzufordern, mit ihnen Communio zu halten, zu wissen, was sie brauchen und entsprechend mit ihnen zu teilen.
Nicht nur aus dem Beispiel der Fußwaschung ergibt sich sozusagen ein allgemeines Diakonat für alle Getauften: „Ich habe euch ein Beispiel gegeben, damit auch ihr so handelt, wie ich an euch gehandelt habe.“ (Joh 13,15) so sagt Jesus am Schluss des heute gehörten Abschnittes.
Auch bei Lukas heißt es am Ende des Beispiels vom barmherzigen Samariter: „Da sagte Jesus zu ihm: Dann geh und handle genauso!“ (Lk 10,37).
Ständig fordert Jesus uns auf, sein Tun und sein Handeln zu begreifen und nachzuahmen. Auch in unserem Leben, in den konkreten Umständen unseres Daseins, in den kleinen Dingen und Momenten des Alltags die Aufmerksamkeit von uns selber wegzulenken, hinüber zum Nächsten, zum Du.
So gesehen ist der Gründonnerstag der jährliche Tag zur Einübung der Haltung des Dienens.
Jesus wäscht uns nicht den Kopf, sondern die Füße.
Eine alltägliche Geste bekommt eine Idee von Ewigkeit. Diese Stunde der Fußwaschung geht nie zu Ende, sondern bringt immer wieder die Frage hervor: Was haben wir füreinander übrig?
Füße waschen heißt: sich meinem Nächsten zuzuwenden. Und dabei ganz unten anzufangen.
Wir feiern heute das Abendmahl Jesu und treten in das Geschehen von damals ein. Am Gründonnerstag ist in das Hochgebet immer ein kurzer Satz eingefügt: – das ist heute- heißt es da. Was damals geschah, geschah zwar damals, aber geschieht immer wieder, auch heute.
Achten Sie nachher einmal darauf, wenn ich das Hochgebet spreche.
Eucharistie zu feiern, ist kein sich erinnern an etwas vor langer Zeit Gewesenes, sondern etwas, das immer wieder neu geschieht.
Ich weiß noch wie unser Liturgieprofessor in den Vorlesungen zum Eucharistieverständnis auf den Unterschied zwischen Erinnerung und Gedächtnis hinwies. Jesus hatte ja nicht gesagt: Tut dies in meiner Erinnerung, sondern tut dies zu meinem Gedächtnis.
Gedächtnis hieß für Prof. Nussbaum, dass etwas aus der Vergangenheit immer wieder lebendig wurde, gegenwärtig wurde. Das von damals geschieht heute: Heute sitzt Jesus mit Euch am Abendmahlstisch, heute wäscht er euch die Füße, heute seid Ihr aufgefordert, es ihm gleich zu tun und den Armen die Füße zu waschen, ihnen zu dienen, die Hierarchien aufzuheben, Brüder und Schwestern zu werden. Nicht gestern in Erinnerung, nicht morgen als Vorhaben und gute Absicht, sondern heute.
Wer das feiert, kann hier nicht einfach mit einem seligen Gefühl der Verbundenheit mit Jesus hinausgehen, das auch, aber eben nicht nur: der wird hier erfüllt von der Liebe Gottes, mit der Liebe zum Nächsten hinausgehen.
Wir können nicht mehr so tun, als hätten wir es nicht gesehen, nicht gehört: Ich habe Euch ein Beispiel gegeben, damit auch Ihr so handelt wie ich an Euch gehandelt habe.
Wir waren im Abendmahlssaal dabei. Was den Jüngern galt, gilt uns: Ihr könnt nicht mehr am Armen auf der Straße, in Eurem Leben, wo auch immer er Euch begegnet, vorbeigehen. So wie wir glauben, dass Jesus in Brot und Wein bei jeder Eucharistiefeier gegenwärtig wird, so wird er auch in jedem Armen gegenwärtig. Verehrung der Eucharistie geht nicht ohne die Verehrung der Armen. Aus dem schönen Gefühl der Verbundenheit mit Gott erwächst für den Christen die Verbundenheit mit dem Nächsten.
Leider geht es nicht bequemer, nicht einfacher.
Nicht sehr populär in unseren selbstdarstellerischen Zeiten von Instagram und Konsorten, aber alles andere ginge am eindeutigen Willen Jesu vorbei: Tut DIES zu meinem Gedächtnis.