Allerheiligen
Für Sie mag das eine Überraschung sein, aber es gibt Tage, da fühle ich mich geistlich leer.
So vieles erscheint mir dann plötzlich nicht mehr stimmig.
Rede ich oft und gerne vom Gott der Liebe kommt mir das manchmal hohl vor. Nicht, weil ich nicht glauben könnte, dass es da einen Gott gibt, der die Liebe ist.
Es ist eher die Selbstverständlichkeit, mit der ich, mit der wir professionellen Gläubigen, um uns Theologen und Priester mal so zu nennen, unsere Überzeugungen kundtun. So als gäbe es keine Zweifel, keine Fragezeichen, so als hätten wir immer eine Antwort auf das, was uns begegnet, auf die Fragen der Alten, die sich auf den Tod vorbereiten müssen, auf die Fragen der Opfer von Katastrophen, die ihr Leben neu beginnen müssen, auf die Sinnlosigkeit, die mancher Jugendlicher empfindet, der in Schule und Ausbildung gedrillt wird, um in der Gesellschaft der Gewinnoptimierung bestehen zu können oder auch auf die eigenen Fragen, die mir manchmal kommen, wenn ich die Welt mit ihren Abgründen, Oberflächlichkeiten und ihren Ungerechtigkeiten sehe.
Manchmal habe ich schlichtweg das Gefühl: Halt doch einfach mal den Mund, um es mal so deutlich zu sagen.
Allerheiligen ist so ein Fest, bei dem ich das in diesem Jahr so empfinde: Da werden wir innerlich, das nahende Dunkel des Winters macht uns nachdenklich, die Erinnerung an unsere Verstorbenen lässt uns über das Leben und den Tod nachdenken, da werden wir gleich wieder die Namen derer hören, die uns so nahe waren, wir werden Kerzen für sie entzünden und eigentlich sollte ich schöne Worte finden, um uns allen neuen Mut zu machen.
Manchmal aber denke ich, sollten wir möglicherweise nicht mal einfach den Schmerz zusammen aushalten, das Fragen und die Trauer? Muss es sofort eine Antwort geben?
Sollten wir nicht auch mal aushalten können, dass das Wort der Bibel an manchen Stellen irrtümliches aussagt? Wie z.B. heute, wenn Paulus an seine Gemeinde in Thessaloniki schreibt: Wir, die Lebenden, die noch übrig sind, wenn der Herr kommt, werden den Verstorbenen nichts voraushaben.
Und dann:
Zuerst werden die in Christus Verstorbenen auferstehen; dann werden wir, die Lebenden, die noch übrig sind, zugleich mit ihnen auf den Wolken in die Luft entrückt, dem Herrn entgegen.
Offenbar meinte er, dass Christus noch zu seinen Lebzeiten zurückkommen würde. Seit 2.000 Jahren lesen wir diese Stelle nun und müssen feststellen, dass Jesus Christus noch nicht wiedergekommen ist.
Oder im Evangelium, wo wir die Geschichte von Lazarus hören, der ja am Ende wieder lebt. Wie schön, aber alle unsere Verstorbenen sind tot, in deren Grab ist Jesus nicht gegangen, so dass sie wieder leben.
Ja, zu beiden Stellen könnte ich theologisch etwas sagen, wie es gemeint ist: Jesus handelte exemplarisch an einem; ein Beispiel also nur dafür, was eines Tages für uns alle gelten wird. Oder: Paulus meinte nicht nur sich und die damals lebende Gemeinde, sondern zu jedem Zeitpunkt gibt es ja lebende Gemeinden, so dass es immer Menschen gibt oder geben wird, die zum Zeitpunkt der Wiederkunft Jesu leben.
Aber merken Sie wie hohl das klingt, wie unbefriedigend?
Ich verlege mich dann in solchen Situationen lieber darauf zu akzeptieren, dass ich darauf keine Antwort weiß. Der christliche Glaube hat keine klare Antwort darauf warum die Welt so ist, wie sie ist. Die Geschichte von Adam und Eva, die aus dem Paradies, aus der perfekten Welt also, vertrieben wurden, weil sie ungehorsam waren, ist doch für uns keine zufriedenstellende Antwort auf den Sinn und vor allem den Unsinn, den wir in der Welt erleben müssen. Krieg, Klimakrisen, Hurricanes und Überflutungen, persönliche Erkrankungen, frühes sinnloses Sterben als Ergebnis des Fehlers mythischer Ureltern? Nein, das ist etwas dünn.
Und so verlege ich mich lieber auf das Schweigen darüber als mit vielen Worten die Sinnleere zu ersticken, die aber zu entsprechenden Situationen umso deutlicher wieder hervortritt.
Was also tun?
Nun, Allerheiligen ist für mich insofern ein schönes Fest, weil es mir die vielen Menschen vor Augen stellt, die vor mir gelebt haben und heute heilig oder selig genannt werden. Und je genauer man die Heiligen anschaut, umso deutlicher wird, dass sie ebensolche menschlichen Schwächen hatten wie wir. So sagt der hl. Heinrich Seuse: „Meine Seele ist wie ein kranker Mensch, dem nichts schmeckt, dem alle Dinge überdrüssig geworden sind. Der Leib ist träge, das Herz ist schwach.“
Die hl. Kirchenlehrerin Teresia von Lisieux hatte innere Kämpfe durchzustehen und machte sich nichts vor. Sie schrieb: „Meine äußerste Empfindlichkeit machte mich unausstehlich. Fing ich endlich an, mich über das zu trösten, was ich verkehrt gemacht hatte, so weinte ich darüber, dass ich geweint hatte.“
Nur zwei Beispiele für die menschlichen Befindlichkeiten, die die Heiligen ebenso durchmachten wie wir.
Neben diesen menschlichen Schwächen scheint durch sie aber noch etwas anderes hindurch, etwas, das ich ein Grundvertrauen nennen möchte. Sie haben in sich etwas entdeckt, das sie nicht wieder los ließ, etwas, das ihnen so eine Art Versprechen für die Lösung ihrer Fragen war.
Sie haben offenbar die Erfahrung gemacht, von etwas zu kommen und zu etwas hinzugehen, etwas, das wir Gott nennen. Sie hatten nicht alle Antworten auf alle Fragen, sie waren kein Wikipedia des Glaubens, aber sie hatten Vertrauen. Sie konnten loslassen, auch ihre Fragen, auch ihre Ängste, sie konnten sich fallenlassen in etwas Tieferes, etwas Größeres, dem sie zutrauten, Antworten zu haben, ohne sie schon jetzt genannt zu bekommen.
Dieses Vertrauen kann man nicht auf Knopfdruck produzieren, aber mir hilft zu wissen, dass es offenbar viele Menschen vor mir schon hatten und damit zu Menschen wurden, deren Leben sinnvolle Gestalt bekam und die aus einer Hoffnung leben konnten, die sie die Wirrnisse ihrer jeweiligen Zeit aushielten ließ.
Reihen wir uns ein in diese große Schar, als Heilige, denn das sind wir, wenn wir dem Heiland vertrauen.
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