8. September, 23. Sonntag im Jahreskreis

Markus 7,31ff

 

Sowohl die Lesung als auch das Evangelium kennen wir sonst in anderem Zusammenhang- nämlich aus dem Advent.

Dort sind sie verbunden mit dem, was vom Messias zu erwarten ist und wie Jesus diese Erwartungen in den Augen des Evangelisten erfüllt hat. Jesus als Heil- und Heilung bringender Messias.

Allerdings kommt das kurz vor Weihnachten immer ein wenig kitschig rüber. Es ist dann in Gefahr seine Kraft nicht ganz entfalten zu können, weil es im Lächeln des Neugeborenen und im Kerzenglanz und Lebkuchenduft leicht verharmlost wird.

Mitten im September wirkt es aber vielleicht anders. Taube hören, Stumme sprechen, Blinde sehen, Lahme gehen…eine von Grund auf revolutionäre Botschaft!

 

Das Revolutionäre ergibt sich erst auf den zweiten  Blick. Zunächst ist es ja erstmal „nur“ eine Heilungsgeschichte, die wir heute gehört haben. Aber sie NUR so zu sehen, wäre eine Verkürzung. Dabei will ich gar nicht ausschließen, dass Jesus durch seine Kraft und Gottverbundenheit Menschen wirklich geheilt hat. Warum soll das dem Sohn Gottes nicht möglich sein?

Wäre das allerdings alles, wäre die Frage wohl erlaubt, was ich denn heute davon habe, dass Jesus DAMALS Menschen geheilt hat. Dabei will ich auch nicht ausschließen, dass es auch heute Heilungen durch das Gebet und damit durch die Kraft Gottes gibt- nicht nur im berühmten Lourdes, sondern auch in unseren Gemeinden, wo Menschen durch das Gebet und die Zuwendung anderer verändert, geheilt werden.

 

Und trotzdem steckt noch mehr in den Wundererzählungen.

Dabei ist es hilfreich auch einmal darauf zu schauen, in welchem Zusammenhang gerade auch die heutige Erzählung steht:

Davor erzählt Mk wie die Bitte einer heidnischen Frau erhört wird. Dabei wird davon berichtet wie Jesus die Reinheitsgebote seiner jüdischen Religion in Frage stellt. Danach kommt das Wunder der Speisung der 4000. Und mittendrin das heutige Evgl.

Diese Stellen alle zusammen gelesen, stellen so etwas wie das Programm Jesu dar. Hier wird gesagt, wie Gott ist:

  • zum einen stellt er immer wieder die Regeln in Frage, ob und wie weit sie noch dem Willen Gottes entsprechen – wie wir es letzte Woche ausführlicher auch betrachtet haben
  • dann erhört er die Bitte der heidnischen Frau. Unerhört, denn damit öffnet er seine eigene Religion allen Menschen. Er gibt das Exclusivrecht auf und macht jeden Menschen zum Auserwählten Gottes, nicht nur das jüdischen Volk
  • er speist die 4000 und sagt damit, dass der Glaube satt macht –im positiven Sinn, der Glaube sättigt die Sehnsucht nach Frieden, nimmt die innere Unzufriedenheit, die innere Unruhe
  • UND: dazu die heutige Erzählung: Der Glaube heilt. Und das eben nicht nur gerade einen Menschen, der zufällig vor 2000 Jahren Jesus in die Arme lief; sondern jeden, der sich auf ihn einlässt.

 

Und das meine ich vor allem im übertragenen Sinn: Der Glaube an Jesus macht hörend, lässt einen sprechen.

Ich meine das so: Jede Generation, jeder Mensch war und ist immer in der Gefahr, SO beeinflusst zu werden, dass er keinen Sinn mehr hat für das WESENTLICHE im Leben- sei es durch vorgegebene Meinungen, durch den Zeitgeist, durch mangelndes Wissen, durch Propaganda absolutistischer Staaten usw.

Das war nie anders und so ist das eben auch heute: Jede Zeit hat da ihre typischen Merkmale, mit der das Wesentliche gefährdet wird- und das sind für mich die Menschlichkeit und die Göttlichkeit. Ich glaube, dass es für jeden Menschen wesentlich ist –also zum Wesen gehört- den Menschen und Gott zu berücksichtigen. Es ist wesentlich, dass wir andere Menschen nicht aus den Augen verlieren, es ist wesentlich, dass uns das  Schicksal anderer Menschen und Völker nicht gleichgültig ist, es ist wesentlich, dass ich selbst über mich nachdenke: Wer bin ich als Mensch, was macht mich zum Menschen. UND: Es ist wesentlich, den Bezug des Menschen zum Religiösen nicht zuzuschütten. Das muss gar nicht unbedingt eine enge Bindung an die Kirche sein. Es ist wesentlich, dass dem Menschen bewusst bleibt, dass er mehr ist als das Ergebnis der Biologie, dass er einen religiösen Hintergrund hat, einen Ursprung im Göttlichen und auch eine Zukunft dort hat. Und das kann in allen Religionen geschehen; entscheidend ist, dass der Mensch seinen Gottesbezug nicht verliert.

Ich bin fest davon überzeugt, dass wir durch den Glauben mehr von der Welt wissen, sie besser deuten können und damit auch ein tieferes Verständnis davon erhalten, was der Mensch ist.

Die Gefahr ist wieder viel größer geworden, Konflikte mit Waffen und Kriegen zu lösen und dabei aus den Augen zu verlieren, dass dabei jedes Mal –selbst bei edleren Motiven wie Friedenserhaltung oder reine Landesverteidigung- Menschen sterben, also Gottes Geschöpfe, sich der Hass langsam in allen  Beteiligten festsetzt und sich seine vernichtende Kraft wie ein Schwelbrand verbreitet.

Die Gefahr ist nach wie vor groß oder größer als je zuvor, dass wir unsere Welt so nutzen, ausnutzen, dass sie nach uns keiner mehr nutzen kann.

 

Liebe Gemeinde, wenn Jesus Menschen sehend, hörend und sprechend macht, dann bedeutet das für mich vor allem, dass der Glaube an Gott eine Unabhängigkeit bewahrt, die mir Augen und Ohren für die Welt, auch für das aktuelle Geschehen öffnet; dieses Geschehen besser deuten lässt.

Ich sehe besser, welche Motive hinter einem Krieg stehen, ich höre besser, welche Absichten diese Reklame, jener Politiker oder diese Mediengröße in Wahrheit hat. UND: ich spreche viel leichter die Wahrheit aus.

Liebe Gemeinde, ich glaube, dass Jesus damals die Kraft hatte Menschen zu heilen, aber ich bin 100%ig davon überzeugt, dass er Glaube an ihn uns heute sehend und hörend machen kann, unsere Welt, unsere Gesellschaft mit einem Abstand zu sehen, der es ermöglicht, diese Welt zu heilen…