3. Advent

Es ist sicher nicht übertrieben, wenn man sagt, dass viele Menschen heute eher ratlos sind, wenn sie an die Entwicklung unserer Welt und unserer Gesellschaft denken. Es ist vieles so unübersichtlich, zu nebulös als dass man klar erkennen könnte, wohin unsere Welt gerade steuert.

Alles scheint möglich, vom Ende der Welt wie wir sie kennen bis zu einer glorreichen Zukunft, in der der technologische Fortschritt die meisten unserer heutigen Probleme lösen wird.

Wie schon oft beschrieben führt diese Unsicherheit bei vielen zur Flucht in alte Konzepte, zu Frust, manchen zur Mutlosigkeit, andere zum Zynismus.

Ratlosigkeit an vielen Ecken und Enden.

 

Da wünscht man sich einen Heilsbringer, jemanden, von dem man weiß oder zumindest hofft, dass er die Lösung kennt, vorangeht und die Welt in eine gute Richtung führt. Manche dieser Heilsbringer entpuppen sich als Rattenfänger, andere zeigen Wege auf, die gangbar, aber nicht bequem sind.

 

Erstaunlich wie wenig sich in fundamentalen Fragen der Menschen unsere Reaktionen verändert haben.

Hören Sie auf diesem Hintergrund noch einmal den ersten Satz des heutigen Evangeliums: In jener Zeit fragten die Scharen Johannes den Täufer: Was sollen wir also tun?

Die Scharen, heute würde man sagen, die Masse. Man fragt sich würde man wohl formulieren: Was sollen wir tun?

So deutlich würden das Menschen heute zwar nicht formulieren, aber es ist ja auch eine Zuspitzung des Autors, die aber genau unsere Situation widerspiegelt: Ratlos angesichts so vieler anstehender Probleme fragen sich die meisten, was denn nun zu tun sei.

Und dann schaut man sich um auf dem Markt der Ideologien, der Weltanschauungen und der religiösen und politischen Konzepte: manche landen auf der Suche nach einem festen Grund bei religiösen Fundamentalisten, die eben diesen festen Grund versprechen, andere ziehen sich in ihr privates Schneckenhaus zurück und hoffen, dass der Sturm irgendwie an ihnen vorübergeht, wieder andere setzen auf die vielfach benannten und in vielen Ländern aufgetauchten Vereinfacher, in der Hoffnung, dass diese den gordischen Knoten mit einem schlichten Hieb gegen alles, was ihnen nicht passt, durchschlagen. Die Linken wollen wieder aufstehen und alle möglichen Ungerechtigkeiten  beseitigen, die Rechten übertragen ihre eigene Angst auf  andere und machen diesen wiederum Angst, die Mitte sucht den Weg durch die vermeintlich goldene Mitte usw.-

und so finden viele ihre Anhänger, aber niemand den Weg, der ALLEN Wohl und Gerechtigkeit bringen könnte.

 

Was können wir also tun.

Johannes gibt ein paar Antworten:

Ich weiß nicht, ob Sie sich noch an seine Antworten erinnern?…Vielleicht schon tausendmal gehört und tausendmal an unserem Ohr vorbeigegangen.

Wer zwei Gewänder hat, der gebe eines davon dem, der keines hat, und wer zu essen hat, der handle ebenso! 

Das war seine erste Antwort.

Und auch die Zöllner kamen zur Taufe und fragten das gleiche: Was sollen wir tun? Seine Antwort an sie:

Verlangt nicht mehr als festgesetzt ist

Und dann kamen noch Soldaten und stellten wieder die gleiche Frage: Was sollen denn wir tun?
Und er sagte zu ihnen: Misshandelt niemanden, erpresst niemanden, begnügt euch mit eurem Sold

 

Drei Antworten von Johannes: Vorschläge, die zwar radikal sind, aber umsetzbar sind; es geht darum, eine Haltung des Teilens, der Unbestechlichkeit und der Gewaltfreiheit einzunehmen, Tag für Tag, Schritt für Schritt.

 

Wie so oft lähmen uns die großen Fragen und Probleme. Immer wieder auch die Antwort, dass ich als Einzelner nichts tun kann. Wie soll ich denn den Klimawandel aufhalten, was kann ich denn dazu beitragen, dass die Welt gerechter zugeht, wie kann ich denn Konflikte und drohende Kriege aufhalten? Ich bin doch gar nicht in der Position. Stimmt: Ich kenne  zwar nicht alle hier, aber doch viele. Es würde mich wundern, wenn hier ein mächtiger Staatenlenker säße, ein Präsident, eine Kanzlerin, ein Sultan oder ein ZK-Vorsitzender. Wenn ich mich irren sollte, bitte melden!

 

Aber unter den Scharen, die damals zu Johannes stürmten, waren auch keine Könige und Statthalter, sondern die Masse, alltägliche Menschen.

 

Was sollen wir tun?

 

Noch einmal die Antwort Johannes zusammengefasst: das zu teilen, was man hat- und zwar so, dass einem selber noch das Nötige bleibt,

und bestimmte Dinge zu unterlassen: nicht mehr verlangen als festgesetzt ist sagt er den Zöllnern;

und die Soldaten fordert er auf niemanden zu misshandeln und zu erpressen.

Nutzt also die Versuchungen nicht aus, die sich aus Euren jeweiligen beruflichen Positionen ergeben. So würde man das heute zusammenfassen.

 

Nachfolge heißt hier nicht, gleich den Beruf aufzugeben, sondern ihn so auszuüben, dass er sozial verträglich ist.

 

Wir können etwas tun. Ich weiß nicht, welche Antworten Johannes anderen gegeben hätte. Hier waren es Antworten für die jeweils Fragenden, deren Situation angepasst. Aber es waren alles zwar radikale, aber umsetzbare Vorschläge für den Alltag. Niemals hätte er gesagt: Die Probleme sind zu groß, da könnt Ihr nichts tun. Kehrt um, war sein Motto. Richtet Euch neu aus, orientiert Euch an den Maßstäben Gottes, folgt dem nach, dem ich nicht würdig bin, die Schnürriemen zu öffnen. Kehrt um, im alltäglichen Handeln.

In den Kleinigkeiten mindestens so wie im Großen. Bequemer ist das Alte, herausfordernd das Neue. Aber dieses neue, solidarische Handeln kann Menschen zusammenführen, von einer Schicksalsgemeinschaft hin zur Menschheitsfamilie.

Diese Haltung – ausgedrückt in den kleinen Handlungen des Lebens – wirkt fort in den Menschen unserer Umgebung, verbreitet ein Klima des Wohlwollens, des Respekts und der gegenseitigen Achtung. Man spürt: Da sorgt sich jemand um mich, ich bin nicht egal, unsere Schwester Erde ist uns nicht egal.
So kann Umkehr, Neuausrichtung eine Wirkung haben für mich, für mein Umfeld, für die Menschen und für die Erde. Und mir selbst gibt es die Gewissheit, tatsächlich etwas tun zu können. Dafür muss ich keiner großen Bewegung folgen, dafür muss ich nicht andere ausschließen, verdammen oder bekämpfen. Das alles kann ich mit MIR machen: Ungerechtes Handeln in MIR ausschließen, MEINE Bequemlichkeit und MEINEN Egoismus verdammen und das, was man Sünde nennt in MIR zu bekämpfen.

 

Ich glaube, dass wir uns in den letzten Dekaden zu sehr um uns selbst gekümmert haben, viel zu sehr um uns gekreist sind: Selbstverwirklichung und Individualismus auf den Schild gehoben haben und uns dabei der Gefahr ausgesetzt haben, aus uns und unseren Kindern Prinzen und Prinzessinnen gemacht zu haben. DU bist großartig, DU bist so wunderbar als Ebenbild Gottes geschaffen, DU solltest Deine einzigartigen Talente und Fähigkeiten ausdrücken und umsetzen. Wer sich aber auf so einen hohen Thron setzt, erniedrigt die anderen um sich, verliert sie aus den Augen und am Ende wird aus Selbstverwirklichung Egoismus.

Wir merken gerade auf bedrängende Weise, dass wir in einer Schicksalsgemeinschaft mit allen Menschen dieser Erde leben und müssen den Sinn für die anderen wieder ganz neu und frisch entwickeln. Eigenschaften, die altbacken klingen, sind wieder gefragt: Rücksichtnahme, Demut, Höflichkeit und Respekt, Teilen, Maßhalten und Menschlichkeit.

 

Komme mir also keiner mit: Da kann ich doch sowieso nichts tun: Das stimmt nicht, mit diesem Satz machen wir uns etwas vor, mit diesem Satz rechtfertigen wir nur unsere Bequemlichkeit.

 

Damit überkommen wir nicht direkt unsere Ratlosigkeit angesichts so vieler drängender Fragen und Probleme. Und dennoch lässt sich etwas machen. Was sollen wir tun, muss nicht mit: „Nichts“ beantwortet werden. Die Antworten setzen nur nicht bei den anderen, bei den Verhältnissen oder sonst wo im Nebulösen an, sondern in guter alter Tradition: bei mir!