29. Juni, Gemeindefest
Immer wieder gibt es Stimmen von Leuten, die sagen, dass man doch in bestimmten Zeiten auf fröhliche Feste verzichten sollte. Nach dem Motto: Wenn in Gaza Menschen verhungern, dann dürfen wir in Europa kein Fest feiern.
Ich halte diese vermeintlich edle Haltung für verlogen.
Sie zeugt nur davon, dass jemand von bestimmtem Leid mehr betroffen ist als von anderem.
Bekanntlich sind unsere inneren Aufnahmekapazitäten zum einen beschränkt und zum anderen bekommt nur das Aufmerksamkeit, was es in der großen Bilderflut, die auf jeden von uns einströmt an die Oberfläche schafft. Ein gutes Beispiel dafür war wie in der vergangenen Woche der kurze Israel-Irankrieg das Elend in Gaza oder in der Ukraine in den Hintergrund drängte. Vom Sudan gar nicht erst zu reden.
Wir fokussieren uns auf das eine Leid und verlieren dabei die Aufmerksamkeit für das andere.
Damit endet aber nicht dessen Existenz.
Wegen des Leids in einer Region auf eine Feier oder ein Fest zu verzichten und dabei aber das Leid in einer anderen zu ignorieren, macht einen solchen Verzicht zu einem verlogenen Verzicht.
Selbstverständlich kann ich aber verstehen, wenn jemand aus persönlicher Betroffenheit nicht feiern will- aber das ist etwas völlig anderes. Und sogar in solch einem Fall würde ich je nachdem raten, sich doch für ein Fest zu entscheiden. Denn möglicherweise stärkt mich so ein Fest und lässt mich mit den Dunkelheiten des Alltags viel besser umgehen.
Und deswegen bin ich froh, dass wir heute miteinander feiern- und habe nicht das geringste schlechte Gewissen dabei.
Denn wir brauchen Feste und wir benötigen den Ausgleich. Feiern stärken uns und geben uns Sicherheit und Zuversicht. Manche sogar Orientierung.
Ein solches Fest ist unser Gemeindefest- oder Patronatsfest, weil es uns an Peter und Paul, an den Hl. Petrus und unseren Patron, den Hl. Paulus erinnert- und an eine gewagte Konstruktion, die den Menschen Petrus zum Felsen der Kirche Jesu erklärt; und zwar von ihm selbst, wie wir eben im Evangelium gehört haben.
Da tanzt die Welt gerade mal wieder auf dem Vulkan sozusagen und wir hören, dass die Kirche auf so etwas wankelmütigem Felsen gebaut sein soll wie auf den Apostel Petrus.
Aber eins nach dem anderen.
Versuchen wir einmal zu klären, was diese Stelle bedeutet oder bedeuten kann.
Nun, das Papstamt jedenfalls hat sich gerne auf dieses Wort berufen und seinen letzten Höhepunkt der Macht Ende des 19. Jahrhunderts gehabt als die Unfehlbarkeit eben dieses Petrusamtes, des Papstamtes zum Dogma erklärt wurde.
Dabei muss man deutlich darauf hinweisen, wie dieser Vers eigentlich gemeint ist:
Jesus beruft den Petrus ja VOR Ostern, VOR seiner Auferstehung. Es geht ihm offenbar um die Kontinuität seiner Lehren, Jesu Lehren nach seiner Himmelfahrt.
Ein wenig flapsig formuliert könnte man sagen, dass Jesus zu Petrus in etwa sagte:
Wenn ich nach Ostern nicht mehr da bin, musst Du zusehen, dass der Laden zusammengehalten wird.
Du bist so lange mit mir unterwegs gewesen, dass Du weißt wie ich ticke. Deswegen vertraue ich darauf, dass Du meine Überzeugungen in meinem Sinne weitergibst.
Damit ist Petrus nicht das Fundament der Kirche, das bleibt natürlich Jesus Christus und seine Lehre, sondern der authentische Vermittler. Jesus traut Petrus zu, seine Lehre verstanden zu haben und sie deswegen glaubhaft in die Zukunft tragen zu können. Das ist sein Job, seine Berufung, wortwörtlich- von Jesus gerufen, genau das zu tun. Nicht weniger, aber eben auch nicht mehr.
Wie beruhigend: Damit ist das Fundament unseres Glaubens, der feste Felsen eben doch kein Mensch, sondern -Gott sei Dank- Jesus Christus.
Kein Tanz auf dem Vulkan, sondern ein Tanz auf dem sicheren Boden der Ewigkeit.
Schöne und klingende Worte. Aber sie sind für mich eben mehr.
Ich habe im Moment auch meine Zweifel, ja, ohne Frage. Oft stehe ich z.B. bei der Predigtvorbereitung ratlos da, nicht, weil mein Glaube im Fundament erschüttert wäre- das zum Glück wirklich nicht, aber, weil ich vieles bisher so Selbstverständliche neu sortieren muss. Ich erwische mich dabei, wie ich bisherige Formulierungen überprüfe, ob sie für mich noch stimmig sind.
Wie ist mein Menschenbild z.B.? Der Mensch als Ebenbild Gottes, geschaffen aus der Liebe des Schöpfers? Stimmt dieses Bild noch, wenn wir der Welt das antun können, was wir ihr ständig und immer wieder antun? Stimmt dieses Bild noch, wenn man immer wieder erleben muss, was sich Menschen gegenseitig antun können?
Nicht, dass ich das nicht vorher schon gewusst hätte. Als Deutsche wissen wir genau, wozu wir Menschen fähig sind.
Aber es dann aktuell noch einmal in den Abendnachrichten oder mit jeder Pushnachricht zu sehen ist schon etwas anderes. Spätestens seit Russland wieder zu einer ernsthaften Bedrohung in unserer direkten Nachbarschaft geworden ist, macht sich mancher Gedanken über das, was das auch für einen persönlich bedeuten könnte.
Vermeintliche Glaubensgewissheiten werden noch einmal hinterfragt, erschüttert und durchgerüttelt und müssen sich neu setzen, so dass sie in die neuen Erkenntnisse über Welt und Menschen passen.
Johann Baptist Metz, ein renommierter Theologe der 70er und 80er Jahre sprach immer von der Theologie NACH Auschwitz und meinte damit, dass NACH diesen Grauen die Kirche nicht mehr so vom Glauben sprechen konnte wie sie es zuvorgetan hatte. Es mussten neue Wege gefunden werden, wie man von Gott sprechen konnte.
Wie also von Gott sprechen, wenn seine Schöpfung zur Gefahr für eben diese Schöpfung selbst zu werden droht? Wie von Gott sprechen, der dem Menschen aufgetragen hat, sich zu vermehren und sich die Welt untertan zu machen, dazu führt, dass diese Welt dem Untergang näher rückt, dadurch dass der Mensch diesen Auftrag Gottes ernst genommen hat und bisher nicht überdacht hat?
Wie von Gott sprechen, wenn dessen Krone der Schöpfung eher zur Dornenkrone, gar zum Sargnagel dieser Schöpfung wird?
Was heißt das alles nicht nur für unser Menschenbild, sondern auch für unser Bild von Gott? Um Antworten wäre ich sehr dankbar.
Noch einmal: Ich habe keineswegs mein Vertrauen in Gott verloren. Er ist für mich erfahrbar, wenn wir hier in Gemeinschaft miteinander feiern, er ist für mich erlebbar, wenn ich am frühen Morgen die Natur erwachen höre, er ist für mich anwesend bei der Geburt eines jeden Menschen, genauso wie beim Sterben- beides heilige Momente, in denen ich spüren darf, dass hinter diesem vermeintlich äußeren Geschehen ein tieferes Geheimnis steckt. Gott ist für mich persönlich Realität. D.h. aber nicht, dass ich weiß WIE Gott wirklich ist!
Die Wirklichkeit unserer gegenwärtigen Welt lässt mich vorsichtiger formulieren. Gott der Liebe, Gott der Barmherzigkeit, gnädiger Gott- Anreden, die mir eben nicht mehr so einfach über die Lippen gehen. Ich verwende sie vorsichtiger, fragender, mit geringerer Sicherheit als zuvor. Ein Gott der Fragezeichen, mehr als ein Gott der Ausrufezeichen.
Mir eröffnet unsere Zeit eine neue Tür zur Suche nach diesem Gott. Bisherige Antworten müssen neu hinterfragt werden, Gewissheiten neu erworben werden. Das geht nur zusammen, im Austausch, im offenen Stellen von Fragen, im Zulassen von Zweifeln, auch darin, einfach einmal zu schweigen statt gleich zu reden. Wir sollten uns zusammen auf die Suche machen.
Petrus und Paulus sind mir auch aus diesem Grund so wichtig. Nicht als Fundament unseres Glaubens, das bleibt Jesus Christus, aber als Fundament unserer Suche. Petrus war trotz aller Nähe zu Jesus doch immer auch der ängstliche Leugner seines Herrn- zumindest in dessen Todesnacht. Er war der, der stürmisch über den See auf ihn zulaufen wollte, durch seine eigene Furcht aber zu versinken drohte. Petrus hatte trotz seiner Nähe zu Jesus seine eigenen Zweifel und Ängste, Fragen an seinen Glauben. Gewissheiten wurden auch für ihn immer wieder angekratzt und verloren ihre Eindeutigkeit.
Und Paulus? Ach je, Paulus. Er erscheint uns heute als klarer Denker, der alles ins Kleinste durchbuchstabiert hatte. Aber in Wahrheit machten ihn erst seine vielen Fragen zum großen Theologen, der die theoretischen Grundlagen des Christentums geschaffen hat.
Zwei suchende Menschen als Felsen der Kirche. Das ist doch mal was.
Die Fragen gehören dazu. Unsere Zweifel, unser Hinterfragen von vermeintlichen Wahrheiten, ausgelöst durch unsere Gegenwart sind nichts Neues. Sie erscheinen uns grundstürzend und beziehen sich auf ganz anderes als die Fragen und Zweifel des Petrus und des Paulus; bleiben aber das, was sie im Kern schon immer waren und sein werden: Grundfragen an unsere eigene Existenz, Grundfragen nach dem Sinn der Welt und nach dem, was wir in dieser Welt erleben, Grundfragen nach dem Warum und dem Wozu.
Ja, wir feiern heute ein Fest, Gemeindefest. Wir feiern, dass wir uns zusammengehörig fühlen. Wir feiern unsere gemeinsame Ahnung des Ewigen, wir teilen unsere Zweifel und Ängste, tun das auf dem Fundament zweier Menschen, denen es in total anderen Zeiten dennoch ähnlich ging, weil es die gemeinsamen Fragen aller Menschen und aller Zeiten sind.
Wir feiern, dass wir glauben; glauben an eine gemeinsame Basis, die alle Menschen miteinander verbindet, untereinander und mit der Basis selbst, der wir den Namen Gott gegeben haben.
Mehr wissen wir nicht wirklich, aber auch nicht weniger –
Grund zum Feiern.